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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Roms "Nichtsen", ohne zu fühlen, daß auch ich in meinen Gedanken
sagte: ja wohl, Nichts! -- aber in anderm Sinne, als es Jener
meinte. -- Und wie war es mit der donnernden Allocution? fragte
ich weiter. -- Possen! versetzte er; wer hat nur das aufgebracht?
Was gab es zu donnern? -- Nun, wider Rußland diesmal freilich
nicht, und wenn zehntausend Nonnen mit abgeschnittenen Ohren ka¬
men und sich heiser schrien, und wenn statt fünf Millionen alle Po¬
len der Welt griechisch gemacht würden: wider Nußland diesmal doch
nicht; aber wider Deutschland, um Czersky, Norge und wie sie hei¬
ßen, und wegen der umsichfressenden großen Abtrünnigkeit ... --
Was wollen Sie? unterbrach er mich, indem seine Augen funkelten.
Meinen Sie, daß der Pfeiler, auf den der Heiland seine Kirche ge¬
gründet, den die Pforten der Hölle nicht überwinden sollen ... --
Nicht so feierlich, verehrter Herr! unterbrach nun ich ihn wieder; las¬
sen wir das! Kennen wir uns nicht? -- Er lächelte. Spaß bei
Seite! sagte er und sein Gesicht nahm sogleich wieder einen düster¬
flammenden Ausdruck an. Dieser ganze Abfall ist Kinderspiel, nicht
der Aufmerksamkeit ernster Männer werth, am wenigsten eines Koma
lo^rieur. Der heilige Vater hat im heutigen Eonsistorio dem verstor¬
benen Erzbischof von Cöln eine Lobrede gehalten. Das ist zugleich
ein Gericht über die Widersacher. Hatte diese nicht der Cölner Han¬
del dreist gemacht, so hatten sie ihr Haupt nicht erhoben; sie selbst
sind zu klein, als daß sich Rom gegen sie verwahren dürfte. Ob da
mitten in der Umgebung ketzerischer Länder tausend und vielleicht noch
tausend arme Sünder, die uns nie angehört haben und nie angehören
würden, ihren innerlichen Abfall laut aussprechen, was thut uns das?
Laß sie fahren, desto besser! -- Sie reden nicht wie Sie denken, sagte
ich. Dieses laut Aussprechen ist gefährlich. Das verführerische Bei¬
spiel ! Die Zahl der Angehörigen scheint mir ein nicht verächtliches
Moment. -- Sie haben Recht! Aber verlieren wir Diese, so gewin¬
nen wir Andere. Des heiligen Ignaz Kinder sind noch immer brave
Ackerleute. Sie finden guten Boden genug für ihre Saat, auch in
eurem Deutschland; ja, mehr da, als in Frankreich. Als ob man
den Katholicismus nicht brauchte! -- Sie rechnen noch immer auf
die Wiedereroberung Deutschlands? siel ich ein. -- Nein, wahrlich
nicht, entgegnete er. Aber auch euer Deutsch-Katholicismus, wie sie
die norcUei ii" nennen, wird nicht so viel wieder erobern, als schon vor
dreihundert Jahren protestantisch gewesen ist; ihr müßt entweder zu
lauter Philosophen werden, oder ihr werdet ein gut Stück Katholicis¬
mus behalten; ja, eure eifrigsten Protestanten selbst werden alle Tage
katholischer, das kann nicht anders sein, und sie werden uns zuletzt
doch noch in die Arme rennen, so gut wie in England die Puseyisten.

Was dieser Mann sagte, drückt so ziemlich die Ansicht aus, die
hier überhaupt herrscht. Ich verließ ihn und ging durch das Heilige-


Roms „Nichtsen", ohne zu fühlen, daß auch ich in meinen Gedanken
sagte: ja wohl, Nichts! — aber in anderm Sinne, als es Jener
meinte. — Und wie war es mit der donnernden Allocution? fragte
ich weiter. — Possen! versetzte er; wer hat nur das aufgebracht?
Was gab es zu donnern? — Nun, wider Rußland diesmal freilich
nicht, und wenn zehntausend Nonnen mit abgeschnittenen Ohren ka¬
men und sich heiser schrien, und wenn statt fünf Millionen alle Po¬
len der Welt griechisch gemacht würden: wider Nußland diesmal doch
nicht; aber wider Deutschland, um Czersky, Norge und wie sie hei¬
ßen, und wegen der umsichfressenden großen Abtrünnigkeit ... —
Was wollen Sie? unterbrach er mich, indem seine Augen funkelten.
Meinen Sie, daß der Pfeiler, auf den der Heiland seine Kirche ge¬
gründet, den die Pforten der Hölle nicht überwinden sollen ... —
Nicht so feierlich, verehrter Herr! unterbrach nun ich ihn wieder; las¬
sen wir das! Kennen wir uns nicht? — Er lächelte. Spaß bei
Seite! sagte er und sein Gesicht nahm sogleich wieder einen düster¬
flammenden Ausdruck an. Dieser ganze Abfall ist Kinderspiel, nicht
der Aufmerksamkeit ernster Männer werth, am wenigsten eines Koma
lo^rieur. Der heilige Vater hat im heutigen Eonsistorio dem verstor¬
benen Erzbischof von Cöln eine Lobrede gehalten. Das ist zugleich
ein Gericht über die Widersacher. Hatte diese nicht der Cölner Han¬
del dreist gemacht, so hatten sie ihr Haupt nicht erhoben; sie selbst
sind zu klein, als daß sich Rom gegen sie verwahren dürfte. Ob da
mitten in der Umgebung ketzerischer Länder tausend und vielleicht noch
tausend arme Sünder, die uns nie angehört haben und nie angehören
würden, ihren innerlichen Abfall laut aussprechen, was thut uns das?
Laß sie fahren, desto besser! — Sie reden nicht wie Sie denken, sagte
ich. Dieses laut Aussprechen ist gefährlich. Das verführerische Bei¬
spiel ! Die Zahl der Angehörigen scheint mir ein nicht verächtliches
Moment. — Sie haben Recht! Aber verlieren wir Diese, so gewin¬
nen wir Andere. Des heiligen Ignaz Kinder sind noch immer brave
Ackerleute. Sie finden guten Boden genug für ihre Saat, auch in
eurem Deutschland; ja, mehr da, als in Frankreich. Als ob man
den Katholicismus nicht brauchte! — Sie rechnen noch immer auf
die Wiedereroberung Deutschlands? siel ich ein. — Nein, wahrlich
nicht, entgegnete er. Aber auch euer Deutsch-Katholicismus, wie sie
die norcUei ii» nennen, wird nicht so viel wieder erobern, als schon vor
dreihundert Jahren protestantisch gewesen ist; ihr müßt entweder zu
lauter Philosophen werden, oder ihr werdet ein gut Stück Katholicis¬
mus behalten; ja, eure eifrigsten Protestanten selbst werden alle Tage
katholischer, das kann nicht anders sein, und sie werden uns zuletzt
doch noch in die Arme rennen, so gut wie in England die Puseyisten.

Was dieser Mann sagte, drückt so ziemlich die Ansicht aus, die
hier überhaupt herrscht. Ich verließ ihn und ging durch das Heilige-


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[0470] Roms „Nichtsen", ohne zu fühlen, daß auch ich in meinen Gedanken sagte: ja wohl, Nichts! — aber in anderm Sinne, als es Jener meinte. — Und wie war es mit der donnernden Allocution? fragte ich weiter. — Possen! versetzte er; wer hat nur das aufgebracht? Was gab es zu donnern? — Nun, wider Rußland diesmal freilich nicht, und wenn zehntausend Nonnen mit abgeschnittenen Ohren ka¬ men und sich heiser schrien, und wenn statt fünf Millionen alle Po¬ len der Welt griechisch gemacht würden: wider Nußland diesmal doch nicht; aber wider Deutschland, um Czersky, Norge und wie sie hei¬ ßen, und wegen der umsichfressenden großen Abtrünnigkeit ... — Was wollen Sie? unterbrach er mich, indem seine Augen funkelten. Meinen Sie, daß der Pfeiler, auf den der Heiland seine Kirche ge¬ gründet, den die Pforten der Hölle nicht überwinden sollen ... — Nicht so feierlich, verehrter Herr! unterbrach nun ich ihn wieder; las¬ sen wir das! Kennen wir uns nicht? — Er lächelte. Spaß bei Seite! sagte er und sein Gesicht nahm sogleich wieder einen düster¬ flammenden Ausdruck an. Dieser ganze Abfall ist Kinderspiel, nicht der Aufmerksamkeit ernster Männer werth, am wenigsten eines Koma lo^rieur. Der heilige Vater hat im heutigen Eonsistorio dem verstor¬ benen Erzbischof von Cöln eine Lobrede gehalten. Das ist zugleich ein Gericht über die Widersacher. Hatte diese nicht der Cölner Han¬ del dreist gemacht, so hatten sie ihr Haupt nicht erhoben; sie selbst sind zu klein, als daß sich Rom gegen sie verwahren dürfte. Ob da mitten in der Umgebung ketzerischer Länder tausend und vielleicht noch tausend arme Sünder, die uns nie angehört haben und nie angehören würden, ihren innerlichen Abfall laut aussprechen, was thut uns das? Laß sie fahren, desto besser! — Sie reden nicht wie Sie denken, sagte ich. Dieses laut Aussprechen ist gefährlich. Das verführerische Bei¬ spiel ! Die Zahl der Angehörigen scheint mir ein nicht verächtliches Moment. — Sie haben Recht! Aber verlieren wir Diese, so gewin¬ nen wir Andere. Des heiligen Ignaz Kinder sind noch immer brave Ackerleute. Sie finden guten Boden genug für ihre Saat, auch in eurem Deutschland; ja, mehr da, als in Frankreich. Als ob man den Katholicismus nicht brauchte! — Sie rechnen noch immer auf die Wiedereroberung Deutschlands? siel ich ein. — Nein, wahrlich nicht, entgegnete er. Aber auch euer Deutsch-Katholicismus, wie sie die norcUei ii» nennen, wird nicht so viel wieder erobern, als schon vor dreihundert Jahren protestantisch gewesen ist; ihr müßt entweder zu lauter Philosophen werden, oder ihr werdet ein gut Stück Katholicis¬ mus behalten; ja, eure eifrigsten Protestanten selbst werden alle Tage katholischer, das kann nicht anders sein, und sie werden uns zuletzt doch noch in die Arme rennen, so gut wie in England die Puseyisten. Was dieser Mann sagte, drückt so ziemlich die Ansicht aus, die hier überhaupt herrscht. Ich verließ ihn und ging durch das Heilige-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/470>, abgerufen am 05.02.2025.