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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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In dem Theater an der Wien hat eine seltsame Manifestation
unseres Publikums stattgefunden, die unter den obwaltenden Verhält¬
nissen nicht ohne Bedeutung scheint. Der Verfasser des "Aau-
berschleierS," eines beliebten Ausstattungsstückes, das über drei-
hundertmal über die Bretter schritt, hatte sich an die Dramarisi-
rung des bekannten Deklamationsgedichlcs: "Der verkaufte Schlaf,"
von Saphir, gewagt, welches seiner rhetorischen Stärke wegen allge¬
meinen Beifall gefunden und die Leiden und Qualen eines Bösewichts
schildert, der im Besitz des Mammons schlaflose Nachte voll.Gewis¬
senspein und Herzensangst verlebt und in seiner Verzweiflung ent¬
schlossen ist, mit Ermächtigung der Schlafesgöttin sich durch schweres
Geld den Schlummer des Armen zu erkaufen. Doch auch mit dem
erkauften Schlaf d.s Bettlers kann der ungerechte reiche Mann nicht
zur ersehnten Ruhe gelangen, denn der versicherte Schlummer wird
ihm zur wahren Höllenpein durch die schrecklichen Traumgebilde, die
seine Einbildungskraft erhitzen und von denen seine Seele unablässig
gefoltert wird. Er hat sich nur den Schlaf der Armuth, aber nicht
die Träume eines guten Gewissens erkaufen können, und ist dazu ver¬
urtheilt, seine eigenen Traume im fremden Schlummer zu träumen.
Diese etwas spitzfindig zugeschlissene Allegorie hat nun der bewußte
Dramatiker, der, nebenbei gesagt, Artillerieoffizier ist, dadurch zu lö¬
sen gesucht, basi er den von den Furien Verfolgten im Hafen eines
Klosters Ruhe suchen läßt. Die Schlußscene nun, in welcher die klö¬
sterlichen Hallen mit der zahlreichen Bruderschaft erscheinen, obschon
nach den üblichen Theatergesetzen Oesterreichs keine Priester auf der
Bühne erscheinen dürfen, veranlaßten einen furchtbaren Tumult, dessen
Getöse die Vollendung des Stückes fast unmöglich machte, und die
Worte der Schauspieler wurden von den lautgesprochenen spöttischen
Bemerkungen des Publikums vollkommen übertäubt. Es ließen sich
einzelne Stimmen vernehmen, welche sich beklagten, daß man nicht
einmal mehr im Schauspielhause von den Liguorianern (?) unbehelligt
bleibe, wieder Andere lachten und bekrittelten die äußere Erscheinung
der ehrwürdigen Vater, die eine gute Miene zum bösen Spiele mach¬
ten und sich selbst nicht recht zu Hause fühlten in den dunkeln Kutten.
"

Das Hofburgtheater brachte den "Correggio von Oehlenschlagcr
in trefflicher Besetzung und durchaus neuer Ausstattung zur Na-
mensfeier seines Chefs, des Grafen Dietrichstein, zur Darstel¬
lung, und es wird diesem Drama, das sich noch immer der durchgrei¬
fendsten Wirkung erfreut, ein anderes von demselben Dichter, näm¬
lich: "Axel und Walburg" nachfolgen. Die Direction beabsichtigt
damit den ziemlich außer Cours gekommenen Namen des dänischen
Sängers wieder populär zu machen, um sodann fein neuestes Werk:
"Dina" zur Aufführung zu bringen, welches bei der Anwesenheit des
Dichters angenommen, aber bis jetzt liegen geblieben ist. Auch er-


In dem Theater an der Wien hat eine seltsame Manifestation
unseres Publikums stattgefunden, die unter den obwaltenden Verhält¬
nissen nicht ohne Bedeutung scheint. Der Verfasser des „Aau-
berschleierS," eines beliebten Ausstattungsstückes, das über drei-
hundertmal über die Bretter schritt, hatte sich an die Dramarisi-
rung des bekannten Deklamationsgedichlcs: „Der verkaufte Schlaf,"
von Saphir, gewagt, welches seiner rhetorischen Stärke wegen allge¬
meinen Beifall gefunden und die Leiden und Qualen eines Bösewichts
schildert, der im Besitz des Mammons schlaflose Nachte voll.Gewis¬
senspein und Herzensangst verlebt und in seiner Verzweiflung ent¬
schlossen ist, mit Ermächtigung der Schlafesgöttin sich durch schweres
Geld den Schlummer des Armen zu erkaufen. Doch auch mit dem
erkauften Schlaf d.s Bettlers kann der ungerechte reiche Mann nicht
zur ersehnten Ruhe gelangen, denn der versicherte Schlummer wird
ihm zur wahren Höllenpein durch die schrecklichen Traumgebilde, die
seine Einbildungskraft erhitzen und von denen seine Seele unablässig
gefoltert wird. Er hat sich nur den Schlaf der Armuth, aber nicht
die Träume eines guten Gewissens erkaufen können, und ist dazu ver¬
urtheilt, seine eigenen Traume im fremden Schlummer zu träumen.
Diese etwas spitzfindig zugeschlissene Allegorie hat nun der bewußte
Dramatiker, der, nebenbei gesagt, Artillerieoffizier ist, dadurch zu lö¬
sen gesucht, basi er den von den Furien Verfolgten im Hafen eines
Klosters Ruhe suchen läßt. Die Schlußscene nun, in welcher die klö¬
sterlichen Hallen mit der zahlreichen Bruderschaft erscheinen, obschon
nach den üblichen Theatergesetzen Oesterreichs keine Priester auf der
Bühne erscheinen dürfen, veranlaßten einen furchtbaren Tumult, dessen
Getöse die Vollendung des Stückes fast unmöglich machte, und die
Worte der Schauspieler wurden von den lautgesprochenen spöttischen
Bemerkungen des Publikums vollkommen übertäubt. Es ließen sich
einzelne Stimmen vernehmen, welche sich beklagten, daß man nicht
einmal mehr im Schauspielhause von den Liguorianern (?) unbehelligt
bleibe, wieder Andere lachten und bekrittelten die äußere Erscheinung
der ehrwürdigen Vater, die eine gute Miene zum bösen Spiele mach¬
ten und sich selbst nicht recht zu Hause fühlten in den dunkeln Kutten.
"

Das Hofburgtheater brachte den „Correggio von Oehlenschlagcr
in trefflicher Besetzung und durchaus neuer Ausstattung zur Na-
mensfeier seines Chefs, des Grafen Dietrichstein, zur Darstel¬
lung, und es wird diesem Drama, das sich noch immer der durchgrei¬
fendsten Wirkung erfreut, ein anderes von demselben Dichter, näm¬
lich: „Axel und Walburg" nachfolgen. Die Direction beabsichtigt
damit den ziemlich außer Cours gekommenen Namen des dänischen
Sängers wieder populär zu machen, um sodann fein neuestes Werk:
„Dina" zur Aufführung zu bringen, welches bei der Anwesenheit des
Dichters angenommen, aber bis jetzt liegen geblieben ist. Auch er-


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[0047] In dem Theater an der Wien hat eine seltsame Manifestation unseres Publikums stattgefunden, die unter den obwaltenden Verhält¬ nissen nicht ohne Bedeutung scheint. Der Verfasser des „Aau- berschleierS," eines beliebten Ausstattungsstückes, das über drei- hundertmal über die Bretter schritt, hatte sich an die Dramarisi- rung des bekannten Deklamationsgedichlcs: „Der verkaufte Schlaf," von Saphir, gewagt, welches seiner rhetorischen Stärke wegen allge¬ meinen Beifall gefunden und die Leiden und Qualen eines Bösewichts schildert, der im Besitz des Mammons schlaflose Nachte voll.Gewis¬ senspein und Herzensangst verlebt und in seiner Verzweiflung ent¬ schlossen ist, mit Ermächtigung der Schlafesgöttin sich durch schweres Geld den Schlummer des Armen zu erkaufen. Doch auch mit dem erkauften Schlaf d.s Bettlers kann der ungerechte reiche Mann nicht zur ersehnten Ruhe gelangen, denn der versicherte Schlummer wird ihm zur wahren Höllenpein durch die schrecklichen Traumgebilde, die seine Einbildungskraft erhitzen und von denen seine Seele unablässig gefoltert wird. Er hat sich nur den Schlaf der Armuth, aber nicht die Träume eines guten Gewissens erkaufen können, und ist dazu ver¬ urtheilt, seine eigenen Traume im fremden Schlummer zu träumen. Diese etwas spitzfindig zugeschlissene Allegorie hat nun der bewußte Dramatiker, der, nebenbei gesagt, Artillerieoffizier ist, dadurch zu lö¬ sen gesucht, basi er den von den Furien Verfolgten im Hafen eines Klosters Ruhe suchen läßt. Die Schlußscene nun, in welcher die klö¬ sterlichen Hallen mit der zahlreichen Bruderschaft erscheinen, obschon nach den üblichen Theatergesetzen Oesterreichs keine Priester auf der Bühne erscheinen dürfen, veranlaßten einen furchtbaren Tumult, dessen Getöse die Vollendung des Stückes fast unmöglich machte, und die Worte der Schauspieler wurden von den lautgesprochenen spöttischen Bemerkungen des Publikums vollkommen übertäubt. Es ließen sich einzelne Stimmen vernehmen, welche sich beklagten, daß man nicht einmal mehr im Schauspielhause von den Liguorianern (?) unbehelligt bleibe, wieder Andere lachten und bekrittelten die äußere Erscheinung der ehrwürdigen Vater, die eine gute Miene zum bösen Spiele mach¬ ten und sich selbst nicht recht zu Hause fühlten in den dunkeln Kutten. " Das Hofburgtheater brachte den „Correggio von Oehlenschlagcr in trefflicher Besetzung und durchaus neuer Ausstattung zur Na- mensfeier seines Chefs, des Grafen Dietrichstein, zur Darstel¬ lung, und es wird diesem Drama, das sich noch immer der durchgrei¬ fendsten Wirkung erfreut, ein anderes von demselben Dichter, näm¬ lich: „Axel und Walburg" nachfolgen. Die Direction beabsichtigt damit den ziemlich außer Cours gekommenen Namen des dänischen Sängers wieder populär zu machen, um sodann fein neuestes Werk: „Dina" zur Aufführung zu bringen, welches bei der Anwesenheit des Dichters angenommen, aber bis jetzt liegen geblieben ist. Auch er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/47>, abgerufen am 05.02.2025.