Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lassen, daß er alle mögliche Thatkraft und Gewandtheit aufbot, um
das Programm des Roscnpavillons zu verwirklichen; und man muß
in Anschlag bringen, daß nur eine sehr kleine Minorität redlicher
und einsichtsvoller Männer ihn dabei unterstützte. Seine mächtige
Beredsamkeit gewann ihm das Vertrauen des jungen Sultans, der
von Hause aus gut ist; und so behauptete er sich, trotz der Schwie¬
rigkeiten der ägyptischen Frage, zwei Jahre lang gegen alle diploma¬
tischen und Hausintriguen und wußte auf mehreren Punkten die ge¬
lobten Verbesserungen einzuführen. So schaffte er das System der
Verpachtung der Staatseinkünfte (>Ili,..'im) ab, ein System, das auch
im übrigen Europa nicht unerhört ist, welches aber in der Türkei
zu den gräßlichsten Schindereien führte. Der Staat verkaufte jähr¬
lich an den Meistbietenden Pascha den Ertrag der verschiedenen
Steuern; und da die Paschas in der Regel kein Vermögen besitzen,
so wendeten sie sich ihrerseits wieder an die armenischen Bankiers
lind erhoben bei ihnen Anlehen zu blutigen Interessen, um die Can<
lion zu bestreiten. Die Provinz hatte dann den Staat, den wuchern¬
den Bankier und endlich die habgierigen Paschas zu befriedigen;
denn diese wollten so schnell als möglich ihre Beutel füllen, da sie
von einem Tag auf den andern abgesetzt werden konnten. Statt
dessen wurden nun die Gemeinden selbst mit der Vertheilung und
Eintreibung der Steuern beauftragt; die Centralgewalt, die bisher
der Pascha in Händen führte, wurve getrennt; die militärische, Ju¬
stiz- und Finanzverwaltung wurde nämlich drei verschiedenen, von
einander unabhängigen und unter dem unmittelbaren Befehl der Ne¬
gierung stehenden Häuptern anvertraut. -- Eben so ward der Ka-
ratsch oder die Kopfsteuer der Rajahs, deren Erhebung bisher zu
den empörendsten Mißhandlungen der Nichtmohamedaner Anlaß ge¬
geben, den Gemeinden selbst zur gleichmäßigen und billigen Verthei-
lnng überlassen. -- Die Mnnicipalbchörden wurden mit Bürgern
aller Konfessionen, ohne Unterschied!, besetzt und man sah, was
man auch im civilisirtcru Europa nicht überall sieht, Muselmänner,
Juden und Christen der verschiedensten Seelen friedlich zusammen-
sitzen und nach Stimmenmehrheit über ihre inneren Angelegenheiten
entscheiden. -- Endlich wurde auch ein Strafgesetzbuch abgefaßt, aus
welchem einige der altbarbarischen, dem mohamedanisch-türkischen
Princip angemessenen HinrichtungSmethoden, das Spießen, Rädern


lassen, daß er alle mögliche Thatkraft und Gewandtheit aufbot, um
das Programm des Roscnpavillons zu verwirklichen; und man muß
in Anschlag bringen, daß nur eine sehr kleine Minorität redlicher
und einsichtsvoller Männer ihn dabei unterstützte. Seine mächtige
Beredsamkeit gewann ihm das Vertrauen des jungen Sultans, der
von Hause aus gut ist; und so behauptete er sich, trotz der Schwie¬
rigkeiten der ägyptischen Frage, zwei Jahre lang gegen alle diploma¬
tischen und Hausintriguen und wußte auf mehreren Punkten die ge¬
lobten Verbesserungen einzuführen. So schaffte er das System der
Verpachtung der Staatseinkünfte (>Ili,..'im) ab, ein System, das auch
im übrigen Europa nicht unerhört ist, welches aber in der Türkei
zu den gräßlichsten Schindereien führte. Der Staat verkaufte jähr¬
lich an den Meistbietenden Pascha den Ertrag der verschiedenen
Steuern; und da die Paschas in der Regel kein Vermögen besitzen,
so wendeten sie sich ihrerseits wieder an die armenischen Bankiers
lind erhoben bei ihnen Anlehen zu blutigen Interessen, um die Can<
lion zu bestreiten. Die Provinz hatte dann den Staat, den wuchern¬
den Bankier und endlich die habgierigen Paschas zu befriedigen;
denn diese wollten so schnell als möglich ihre Beutel füllen, da sie
von einem Tag auf den andern abgesetzt werden konnten. Statt
dessen wurden nun die Gemeinden selbst mit der Vertheilung und
Eintreibung der Steuern beauftragt; die Centralgewalt, die bisher
der Pascha in Händen führte, wurve getrennt; die militärische, Ju¬
stiz- und Finanzverwaltung wurde nämlich drei verschiedenen, von
einander unabhängigen und unter dem unmittelbaren Befehl der Ne¬
gierung stehenden Häuptern anvertraut. — Eben so ward der Ka-
ratsch oder die Kopfsteuer der Rajahs, deren Erhebung bisher zu
den empörendsten Mißhandlungen der Nichtmohamedaner Anlaß ge¬
geben, den Gemeinden selbst zur gleichmäßigen und billigen Verthei-
lnng überlassen. — Die Mnnicipalbchörden wurden mit Bürgern
aller Konfessionen, ohne Unterschied!, besetzt und man sah, was
man auch im civilisirtcru Europa nicht überall sieht, Muselmänner,
Juden und Christen der verschiedensten Seelen friedlich zusammen-
sitzen und nach Stimmenmehrheit über ihre inneren Angelegenheiten
entscheiden. — Endlich wurde auch ein Strafgesetzbuch abgefaßt, aus
welchem einige der altbarbarischen, dem mohamedanisch-türkischen
Princip angemessenen HinrichtungSmethoden, das Spießen, Rädern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271717"/>
          <p xml:id="ID_1262" prev="#ID_1261" next="#ID_1263"> lassen, daß er alle mögliche Thatkraft und Gewandtheit aufbot, um<lb/>
das Programm des Roscnpavillons zu verwirklichen; und man muß<lb/>
in Anschlag bringen, daß nur eine sehr kleine Minorität redlicher<lb/>
und einsichtsvoller Männer ihn dabei unterstützte. Seine mächtige<lb/>
Beredsamkeit gewann ihm das Vertrauen des jungen Sultans, der<lb/>
von Hause aus gut ist; und so behauptete er sich, trotz der Schwie¬<lb/>
rigkeiten der ägyptischen Frage, zwei Jahre lang gegen alle diploma¬<lb/>
tischen und Hausintriguen und wußte auf mehreren Punkten die ge¬<lb/>
lobten Verbesserungen einzuführen.  So schaffte er das System der<lb/>
Verpachtung der Staatseinkünfte (&gt;Ili,..'im) ab, ein System, das auch<lb/>
im übrigen Europa nicht unerhört ist, welches aber in der Türkei<lb/>
zu den gräßlichsten Schindereien führte.  Der Staat verkaufte jähr¬<lb/>
lich an den Meistbietenden Pascha den Ertrag der verschiedenen<lb/>
Steuern; und da die Paschas in der Regel kein Vermögen besitzen,<lb/>
so wendeten sie sich ihrerseits wieder an die armenischen Bankiers<lb/>
lind erhoben bei ihnen Anlehen zu blutigen Interessen, um die Can&lt;<lb/>
lion zu bestreiten.  Die Provinz hatte dann den Staat, den wuchern¬<lb/>
den Bankier und endlich die habgierigen Paschas zu befriedigen;<lb/>
denn diese wollten so schnell als möglich ihre Beutel füllen, da sie<lb/>
von einem Tag auf den andern abgesetzt werden konnten. Statt<lb/>
dessen wurden nun die Gemeinden selbst mit der Vertheilung und<lb/>
Eintreibung der Steuern beauftragt; die Centralgewalt, die bisher<lb/>
der Pascha in Händen führte, wurve getrennt; die militärische, Ju¬<lb/>
stiz- und Finanzverwaltung wurde nämlich drei verschiedenen, von<lb/>
einander unabhängigen und unter dem unmittelbaren Befehl der Ne¬<lb/>
gierung stehenden Häuptern anvertraut. &#x2014; Eben so ward der Ka-<lb/>
ratsch oder die Kopfsteuer der Rajahs, deren Erhebung bisher zu<lb/>
den empörendsten Mißhandlungen der Nichtmohamedaner Anlaß ge¬<lb/>
geben, den Gemeinden selbst zur gleichmäßigen und billigen Verthei-<lb/>
lnng überlassen. &#x2014; Die Mnnicipalbchörden wurden mit Bürgern<lb/>
aller Konfessionen, ohne Unterschied!, besetzt und man sah, was<lb/>
man auch im civilisirtcru Europa nicht überall sieht, Muselmänner,<lb/>
Juden und Christen der verschiedensten Seelen friedlich zusammen-<lb/>
sitzen und nach Stimmenmehrheit über ihre inneren Angelegenheiten<lb/>
entscheiden. &#x2014; Endlich wurde auch ein Strafgesetzbuch abgefaßt, aus<lb/>
welchem einige der altbarbarischen, dem mohamedanisch-türkischen<lb/>
Princip angemessenen HinrichtungSmethoden, das Spießen, Rädern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0456] lassen, daß er alle mögliche Thatkraft und Gewandtheit aufbot, um das Programm des Roscnpavillons zu verwirklichen; und man muß in Anschlag bringen, daß nur eine sehr kleine Minorität redlicher und einsichtsvoller Männer ihn dabei unterstützte. Seine mächtige Beredsamkeit gewann ihm das Vertrauen des jungen Sultans, der von Hause aus gut ist; und so behauptete er sich, trotz der Schwie¬ rigkeiten der ägyptischen Frage, zwei Jahre lang gegen alle diploma¬ tischen und Hausintriguen und wußte auf mehreren Punkten die ge¬ lobten Verbesserungen einzuführen. So schaffte er das System der Verpachtung der Staatseinkünfte (>Ili,..'im) ab, ein System, das auch im übrigen Europa nicht unerhört ist, welches aber in der Türkei zu den gräßlichsten Schindereien führte. Der Staat verkaufte jähr¬ lich an den Meistbietenden Pascha den Ertrag der verschiedenen Steuern; und da die Paschas in der Regel kein Vermögen besitzen, so wendeten sie sich ihrerseits wieder an die armenischen Bankiers lind erhoben bei ihnen Anlehen zu blutigen Interessen, um die Can< lion zu bestreiten. Die Provinz hatte dann den Staat, den wuchern¬ den Bankier und endlich die habgierigen Paschas zu befriedigen; denn diese wollten so schnell als möglich ihre Beutel füllen, da sie von einem Tag auf den andern abgesetzt werden konnten. Statt dessen wurden nun die Gemeinden selbst mit der Vertheilung und Eintreibung der Steuern beauftragt; die Centralgewalt, die bisher der Pascha in Händen führte, wurve getrennt; die militärische, Ju¬ stiz- und Finanzverwaltung wurde nämlich drei verschiedenen, von einander unabhängigen und unter dem unmittelbaren Befehl der Ne¬ gierung stehenden Häuptern anvertraut. — Eben so ward der Ka- ratsch oder die Kopfsteuer der Rajahs, deren Erhebung bisher zu den empörendsten Mißhandlungen der Nichtmohamedaner Anlaß ge¬ geben, den Gemeinden selbst zur gleichmäßigen und billigen Verthei- lnng überlassen. — Die Mnnicipalbchörden wurden mit Bürgern aller Konfessionen, ohne Unterschied!, besetzt und man sah, was man auch im civilisirtcru Europa nicht überall sieht, Muselmänner, Juden und Christen der verschiedensten Seelen friedlich zusammen- sitzen und nach Stimmenmehrheit über ihre inneren Angelegenheiten entscheiden. — Endlich wurde auch ein Strafgesetzbuch abgefaßt, aus welchem einige der altbarbarischen, dem mohamedanisch-türkischen Princip angemessenen HinrichtungSmethoden, das Spießen, Rädern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/456
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/456>, abgerufen am 11.02.2025.