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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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R.um im Innern des Serails, der an den Kiosk von Gul-Hane
(Pavillon der Rosen) stößt, empfing die Repräsentanten aller euro¬
päischen Mächte, den Prinzen von Joinville, die Minister des Reiches,
die Pascha-Gouverneurs der Provinzen, die ersten Generale und die
höchsten Beamten, das Corps der Ulemaö, die Patriarchen aller
nichtinohamedanischen Confessionen, eine Deputation der SarrafS
(der armenischen Bankiers), und endlich eine zahlreiche Volksmenge,
aus Türken sowohl wie aus NahjahS bestehend. Der junge Sul¬
tan thronte im offenen Pavillon, vor welchem eine Tribune errichtet
war, die Reschid-Pascha bestieg, um mit tönender Stimme nichts
geringeres als die Wiedergeburt des Reiches zu verkünden.

Wir wissen sehr wohl, daß der Hatlischerif von Gul-Hane,
den Europa Anfangs mit Enthusiasmus aufnahm, Sparer sehr viel
Anlaß gab zu Spöttereien über türkischen Liberalismus und beson¬
nenen Fortschritt auf gesetzlich mohamedanischen Wegen. Indessen
möge der Leser selbst urtheilen. Wir werden die Hauptzüge und die
schlagenden Stellen des merkwürdigen DocumenteS gewissenhaft an¬
führen.


"Man weiß," sagte der Sultan durch den Mund seines Mi¬
nisters, "daß in den ersten Zeiten des ottomanischen Reiches die
"glorreichen Gebote des Korans und die Gesetze des Staates stets
"beobachtet wurden. In Folge davon wurde das Reich groß und
"mächtig, und alle Unterthanen, ohne Ausnahme (?), lebten in
"Glück und Wohlsein. Seit hundert und fünfzig Jahren aber hat
"eine Reihe von unglücklichen Ereignissen diesen Gehorsam gegen
"die heiligen Gesetze geschwächt, der frühere Flor des Reiches ist
"geschwunden und hat der Erschlaffung und Verarmung Platz ge¬
macht. Denn ein Staat muß erschüttert werden, wenn er auf-
"hört, nach seinen Gesetzen zu leben.

"Diese Betrachtungen haben fortwährend unsern Geist be¬
schäftigt :c. ze. Indem wir also die Hilfe des Allerhöchsten und
"die Verwendung unseres Propheten anrufen, erachten wir es für
"gut, durch neue (!) Institutionen den Provinzen unseres Reiches
"die Wohlthat einer guten Verwaltung zu verschaffen."

Es gehört allerdings nicht erst die Gründlichkeit unserer histo¬
rischen Schule dazu, um die kleinen Sophismen nachzuweisen, auf
welche der Eingang dieser türkischen Charte gebaut ist. Die Bern-


R.um im Innern des Serails, der an den Kiosk von Gul-Hane
(Pavillon der Rosen) stößt, empfing die Repräsentanten aller euro¬
päischen Mächte, den Prinzen von Joinville, die Minister des Reiches,
die Pascha-Gouverneurs der Provinzen, die ersten Generale und die
höchsten Beamten, das Corps der Ulemaö, die Patriarchen aller
nichtinohamedanischen Confessionen, eine Deputation der SarrafS
(der armenischen Bankiers), und endlich eine zahlreiche Volksmenge,
aus Türken sowohl wie aus NahjahS bestehend. Der junge Sul¬
tan thronte im offenen Pavillon, vor welchem eine Tribune errichtet
war, die Reschid-Pascha bestieg, um mit tönender Stimme nichts
geringeres als die Wiedergeburt des Reiches zu verkünden.

Wir wissen sehr wohl, daß der Hatlischerif von Gul-Hane,
den Europa Anfangs mit Enthusiasmus aufnahm, Sparer sehr viel
Anlaß gab zu Spöttereien über türkischen Liberalismus und beson¬
nenen Fortschritt auf gesetzlich mohamedanischen Wegen. Indessen
möge der Leser selbst urtheilen. Wir werden die Hauptzüge und die
schlagenden Stellen des merkwürdigen DocumenteS gewissenhaft an¬
führen.


„Man weiß," sagte der Sultan durch den Mund seines Mi¬
nisters, „daß in den ersten Zeiten des ottomanischen Reiches die
„glorreichen Gebote des Korans und die Gesetze des Staates stets
„beobachtet wurden. In Folge davon wurde das Reich groß und
„mächtig, und alle Unterthanen, ohne Ausnahme (?), lebten in
„Glück und Wohlsein. Seit hundert und fünfzig Jahren aber hat
„eine Reihe von unglücklichen Ereignissen diesen Gehorsam gegen
„die heiligen Gesetze geschwächt, der frühere Flor des Reiches ist
„geschwunden und hat der Erschlaffung und Verarmung Platz ge¬
macht. Denn ein Staat muß erschüttert werden, wenn er auf-
„hört, nach seinen Gesetzen zu leben.

„Diese Betrachtungen haben fortwährend unsern Geist be¬
schäftigt :c. ze. Indem wir also die Hilfe des Allerhöchsten und
„die Verwendung unseres Propheten anrufen, erachten wir es für
„gut, durch neue (!) Institutionen den Provinzen unseres Reiches
„die Wohlthat einer guten Verwaltung zu verschaffen."

Es gehört allerdings nicht erst die Gründlichkeit unserer histo¬
rischen Schule dazu, um die kleinen Sophismen nachzuweisen, auf
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[0453] R.um im Innern des Serails, der an den Kiosk von Gul-Hane (Pavillon der Rosen) stößt, empfing die Repräsentanten aller euro¬ päischen Mächte, den Prinzen von Joinville, die Minister des Reiches, die Pascha-Gouverneurs der Provinzen, die ersten Generale und die höchsten Beamten, das Corps der Ulemaö, die Patriarchen aller nichtinohamedanischen Confessionen, eine Deputation der SarrafS (der armenischen Bankiers), und endlich eine zahlreiche Volksmenge, aus Türken sowohl wie aus NahjahS bestehend. Der junge Sul¬ tan thronte im offenen Pavillon, vor welchem eine Tribune errichtet war, die Reschid-Pascha bestieg, um mit tönender Stimme nichts geringeres als die Wiedergeburt des Reiches zu verkünden. Wir wissen sehr wohl, daß der Hatlischerif von Gul-Hane, den Europa Anfangs mit Enthusiasmus aufnahm, Sparer sehr viel Anlaß gab zu Spöttereien über türkischen Liberalismus und beson¬ nenen Fortschritt auf gesetzlich mohamedanischen Wegen. Indessen möge der Leser selbst urtheilen. Wir werden die Hauptzüge und die schlagenden Stellen des merkwürdigen DocumenteS gewissenhaft an¬ führen. „Man weiß," sagte der Sultan durch den Mund seines Mi¬ nisters, „daß in den ersten Zeiten des ottomanischen Reiches die „glorreichen Gebote des Korans und die Gesetze des Staates stets „beobachtet wurden. In Folge davon wurde das Reich groß und „mächtig, und alle Unterthanen, ohne Ausnahme (?), lebten in „Glück und Wohlsein. Seit hundert und fünfzig Jahren aber hat „eine Reihe von unglücklichen Ereignissen diesen Gehorsam gegen „die heiligen Gesetze geschwächt, der frühere Flor des Reiches ist „geschwunden und hat der Erschlaffung und Verarmung Platz ge¬ macht. Denn ein Staat muß erschüttert werden, wenn er auf- „hört, nach seinen Gesetzen zu leben. „Diese Betrachtungen haben fortwährend unsern Geist be¬ schäftigt :c. ze. Indem wir also die Hilfe des Allerhöchsten und „die Verwendung unseres Propheten anrufen, erachten wir es für „gut, durch neue (!) Institutionen den Provinzen unseres Reiches „die Wohlthat einer guten Verwaltung zu verschaffen." Es gehört allerdings nicht erst die Gründlichkeit unserer histo¬ rischen Schule dazu, um die kleinen Sophismen nachzuweisen, auf welche der Eingang dieser türkischen Charte gebaut ist. Die Bern-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/453>, abgerufen am 06.02.2025.