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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Ans der Wiener Gesellschaft.
i.
Heimkehr. -- Alt-und Neu-Wien.

Nun sind sie Alle zurück! Die Einen aus den böhmischen Wäl¬
dern, wo sie auf Hirsche und Rebhühner gejagt, die Andern von
den steyerischen Hochalpen, wo sie Tage lang auf die vereinsamten
Gemsen gelauert, die letzten Abkömmlinge jener lustigen Heerden,
die vor Jahrhunderten in Schaaren auf diesen Gebirgen gehaust,
und die der Militärische Sinn der Civilisation decimirt hat. O Gemse,
vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun. Sie bedenken
nicht, daß du selbst ein Bild jenes alten Nitteradels bist, der früher
auf seinen felsigen Horsten so selbstzufrieden gelebt, müsstg über Berge
jagte, unbekümmert um daS fleißige Hausthier, das in den Ebenen
unten die Ackerfurche zog und auf der staubigen Landstraße die Waaren-
ballen schleppte! Nun hat der Schuß aus der Tiefe dich wie sie
aufgeschreckt; Viele, Viele, die ihr Horn stolz den Wolken zeigten,
sind herabgestürzt von der Höhe und die Übriggebliebenen ziehen sich
noch scheuer von den Thälern und Tiefen zurück, wo die gemeinen,
fleißigen Menschen Hausen.

Auch die Frauen sind heimgekehrt -- schöne Sünderinnen, die
in den Bädern von Gastein, Ischl und Töplitz die schwachen Ner¬
ven in Schwefel- und Salzquellen gestärkt, lustige Büßerinnen, die
im ernsten Schooße der Natur zwei, drei Monate lang den Sünden
der Gesellschaft abschwuren, um bald darauf Schwur und Vorsatz
leichtsinnig wieder zu vergessen. Der katholische Glaube hat unter
Ver Frauen stets die eifrigsten Anhänger. In dem großen Dome
der Natur gehen sie des Sommers gern zur Beichte, holen sich Ab-


Grcnzboten. l"is. IV- 5b
Ans der Wiener Gesellschaft.
i.
Heimkehr. — Alt-und Neu-Wien.

Nun sind sie Alle zurück! Die Einen aus den böhmischen Wäl¬
dern, wo sie auf Hirsche und Rebhühner gejagt, die Andern von
den steyerischen Hochalpen, wo sie Tage lang auf die vereinsamten
Gemsen gelauert, die letzten Abkömmlinge jener lustigen Heerden,
die vor Jahrhunderten in Schaaren auf diesen Gebirgen gehaust,
und die der Militärische Sinn der Civilisation decimirt hat. O Gemse,
vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun. Sie bedenken
nicht, daß du selbst ein Bild jenes alten Nitteradels bist, der früher
auf seinen felsigen Horsten so selbstzufrieden gelebt, müsstg über Berge
jagte, unbekümmert um daS fleißige Hausthier, das in den Ebenen
unten die Ackerfurche zog und auf der staubigen Landstraße die Waaren-
ballen schleppte! Nun hat der Schuß aus der Tiefe dich wie sie
aufgeschreckt; Viele, Viele, die ihr Horn stolz den Wolken zeigten,
sind herabgestürzt von der Höhe und die Übriggebliebenen ziehen sich
noch scheuer von den Thälern und Tiefen zurück, wo die gemeinen,
fleißigen Menschen Hausen.

Auch die Frauen sind heimgekehrt — schöne Sünderinnen, die
in den Bädern von Gastein, Ischl und Töplitz die schwachen Ner¬
ven in Schwefel- und Salzquellen gestärkt, lustige Büßerinnen, die
im ernsten Schooße der Natur zwei, drei Monate lang den Sünden
der Gesellschaft abschwuren, um bald darauf Schwur und Vorsatz
leichtsinnig wieder zu vergessen. Der katholische Glaube hat unter
Ver Frauen stets die eifrigsten Anhänger. In dem großen Dome
der Natur gehen sie des Sommers gern zur Beichte, holen sich Ab-


Grcnzboten. l»is. IV- 5b
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[0433] Ans der Wiener Gesellschaft. i. Heimkehr. — Alt-und Neu-Wien. Nun sind sie Alle zurück! Die Einen aus den böhmischen Wäl¬ dern, wo sie auf Hirsche und Rebhühner gejagt, die Andern von den steyerischen Hochalpen, wo sie Tage lang auf die vereinsamten Gemsen gelauert, die letzten Abkömmlinge jener lustigen Heerden, die vor Jahrhunderten in Schaaren auf diesen Gebirgen gehaust, und die der Militärische Sinn der Civilisation decimirt hat. O Gemse, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun. Sie bedenken nicht, daß du selbst ein Bild jenes alten Nitteradels bist, der früher auf seinen felsigen Horsten so selbstzufrieden gelebt, müsstg über Berge jagte, unbekümmert um daS fleißige Hausthier, das in den Ebenen unten die Ackerfurche zog und auf der staubigen Landstraße die Waaren- ballen schleppte! Nun hat der Schuß aus der Tiefe dich wie sie aufgeschreckt; Viele, Viele, die ihr Horn stolz den Wolken zeigten, sind herabgestürzt von der Höhe und die Übriggebliebenen ziehen sich noch scheuer von den Thälern und Tiefen zurück, wo die gemeinen, fleißigen Menschen Hausen. Auch die Frauen sind heimgekehrt — schöne Sünderinnen, die in den Bädern von Gastein, Ischl und Töplitz die schwachen Ner¬ ven in Schwefel- und Salzquellen gestärkt, lustige Büßerinnen, die im ernsten Schooße der Natur zwei, drei Monate lang den Sünden der Gesellschaft abschwuren, um bald darauf Schwur und Vorsatz leichtsinnig wieder zu vergessen. Der katholische Glaube hat unter Ver Frauen stets die eifrigsten Anhänger. In dem großen Dome der Natur gehen sie des Sommers gern zur Beichte, holen sich Ab- Grcnzboten. l»is. IV- 5b

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/433>, abgerufen am 05.02.2025.