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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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gehalten, aber Daumas -- als Tourist ein noch größerer Erfinder
als Dumas -- zeigt uns, daß sie von ungeahnten Wundern erfüllt
ist. Man glaubt "tausend und Eine Nacht" zu lesen, so phantastisch
sind diese Mysterien der Sahara, die der Franzose großentheils den
beredten Lippen arabischer Erzähler abgelauscht hat. Das Herrlichste
ist, daß Europa nie im Stande sein wird, das zerstörende Gift seiner
Civilisation dahin zu tragen; kein puritanischer Pelzhändler, kein eng¬
lischer Missionair in Frack und Makintosh, kein Actionair oder Diplo¬
mat wird hoffentlich seinen Einfluß jemals unter dem Aequator in
Afrika geltend machen. Es gibt zwar dort, nach Daumas, Oasen,
die der seligen Atlantis und den Garten der Semiramis an Pracht
der Vegetation und Thierwelt gleichen, aber sie liegen Tausende von Mei¬
len weit von einander zerstreut, und wo ist der Ingenieur, der es
unternähme, sie durch Eisenbahnen mit dem bewohnbaren Festland
zu verbinden? Königreiche und Republiken liegen dort zwischen Sand¬
bergen, von denen jeder einzelne hinreichen würde, um die ganze preu¬
ßische Mark zu begraben. Manche Erscheinungen dagegen sind wohl
nur eine humoristische Fata-Morgana, eine karrikirende Luftspiegelung
europäischer Austande. So erzählt Daumas von einer Stadt in der
Sahara, die für Dunkelmänner gebaut scheint. Die ganze Stadt --
und sie zahlt über IWll Hauser -- hat ein einziges Dach; nur
sparsam sind da und dort kleine Luftlöcher oben angebracht, welche
die Finsterniß in den Straßen mildern. Ein Sonnenstrahl dringt nie
hinein. Von jeher waren die Bewohner dieser Stadt in zwei Par¬
teien getheilt, die sich blutig bekämpften; wie es scheint, aus Reli¬
gionshaß, obwohl beide gleich sehr den Schatten lieben. Auf das
Urtheil eines arabischen Salomo wurde daher die Stadt durch eine
hohe und dicke Mauer, die mittendurch von einem Punkte des Ring¬
walles zum entgegengesetzten führt, in zwei Theile geschieden, und die
beiden Confessionen leben nun zwar unter einem Dach, müssen sich
aber vertragen. -- In einer andern Oase herrscht eine zwölfjährige
Königin, welche IN Männer, I0l) Kebsmänner und IMV Liebhaber
besitzt, und der zugleich göttliche Ehren erwiesen werden. Mit den
Liebhabern, die den Ehrentitel: Sclaven führen, werden alle öffent¬
lichen Stellen besetzt, aus ihnen werden die Kebsmanner und aus
diesen wieder die Männer erwählt, und zwar geschieht das Avance¬
ment nach dem Anciennetatsprincip. In diesem Reiche der Liebe sol¬
len jedoch manche Mißbräuche vorkommen.

-- Rom hat einen Gegner, furchtbarer als Norge und Czerski,
als Abs>! ßhatel und Hermes, als Bruno Bauer und Feuerbach:
den Kaiser Nikolaus. Die Geschichte war immer eine Homöopathie,
die Gleiches mit Gleichem behandelt, sie heilt nicht, aber sie rächt.
Die Nemesis der Wen herrscht auch in unsern christlichen Zeiten und
straft ein Unrecht durch ein anderes. Jetzt wird der Katholicismus
in Rußland eben so bitter verfolgt, wie er einst selber in Frankreich,


gehalten, aber Daumas — als Tourist ein noch größerer Erfinder
als Dumas — zeigt uns, daß sie von ungeahnten Wundern erfüllt
ist. Man glaubt „tausend und Eine Nacht" zu lesen, so phantastisch
sind diese Mysterien der Sahara, die der Franzose großentheils den
beredten Lippen arabischer Erzähler abgelauscht hat. Das Herrlichste
ist, daß Europa nie im Stande sein wird, das zerstörende Gift seiner
Civilisation dahin zu tragen; kein puritanischer Pelzhändler, kein eng¬
lischer Missionair in Frack und Makintosh, kein Actionair oder Diplo¬
mat wird hoffentlich seinen Einfluß jemals unter dem Aequator in
Afrika geltend machen. Es gibt zwar dort, nach Daumas, Oasen,
die der seligen Atlantis und den Garten der Semiramis an Pracht
der Vegetation und Thierwelt gleichen, aber sie liegen Tausende von Mei¬
len weit von einander zerstreut, und wo ist der Ingenieur, der es
unternähme, sie durch Eisenbahnen mit dem bewohnbaren Festland
zu verbinden? Königreiche und Republiken liegen dort zwischen Sand¬
bergen, von denen jeder einzelne hinreichen würde, um die ganze preu¬
ßische Mark zu begraben. Manche Erscheinungen dagegen sind wohl
nur eine humoristische Fata-Morgana, eine karrikirende Luftspiegelung
europäischer Austande. So erzählt Daumas von einer Stadt in der
Sahara, die für Dunkelmänner gebaut scheint. Die ganze Stadt —
und sie zahlt über IWll Hauser — hat ein einziges Dach; nur
sparsam sind da und dort kleine Luftlöcher oben angebracht, welche
die Finsterniß in den Straßen mildern. Ein Sonnenstrahl dringt nie
hinein. Von jeher waren die Bewohner dieser Stadt in zwei Par¬
teien getheilt, die sich blutig bekämpften; wie es scheint, aus Reli¬
gionshaß, obwohl beide gleich sehr den Schatten lieben. Auf das
Urtheil eines arabischen Salomo wurde daher die Stadt durch eine
hohe und dicke Mauer, die mittendurch von einem Punkte des Ring¬
walles zum entgegengesetzten führt, in zwei Theile geschieden, und die
beiden Confessionen leben nun zwar unter einem Dach, müssen sich
aber vertragen. — In einer andern Oase herrscht eine zwölfjährige
Königin, welche IN Männer, I0l) Kebsmänner und IMV Liebhaber
besitzt, und der zugleich göttliche Ehren erwiesen werden. Mit den
Liebhabern, die den Ehrentitel: Sclaven führen, werden alle öffent¬
lichen Stellen besetzt, aus ihnen werden die Kebsmanner und aus
diesen wieder die Männer erwählt, und zwar geschieht das Avance¬
ment nach dem Anciennetatsprincip. In diesem Reiche der Liebe sol¬
len jedoch manche Mißbräuche vorkommen.

— Rom hat einen Gegner, furchtbarer als Norge und Czerski,
als Abs>! ßhatel und Hermes, als Bruno Bauer und Feuerbach:
den Kaiser Nikolaus. Die Geschichte war immer eine Homöopathie,
die Gleiches mit Gleichem behandelt, sie heilt nicht, aber sie rächt.
Die Nemesis der Wen herrscht auch in unsern christlichen Zeiten und
straft ein Unrecht durch ein anderes. Jetzt wird der Katholicismus
in Rußland eben so bitter verfolgt, wie er einst selber in Frankreich,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/430>, abgerufen am 05.02.2025.