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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Persönlichkeiten jeder Art -- Persönlichkeiten, so gehässig und wider¬
wärtig, daß man sie Niemanden ungerügt nachsehen könne, seien hin¬
zugekommen und hätten den Streit vollends vergiftet. Vergeblich
hätten dazumal die Synoden versucht, dazwischen zu treten. Ihre
vermittelnde Stimme wäre theils überhört, theils weggespottet oder
weggeketzert, der Streit immer lärmender weiter geführt, und endlich
selbst der Behörden nicht geschont, sondern gegen dieselben mit Iu-
muthungen verfahren worden, welche nicht nur bewiesen, wie weit
die Zuversicht bereits gestiegen war, sondern auch was Kirche und
Vaterland zu erwarten hatten, wenn es je den Leitern jener Partei
gelingen sollte, das Regiment in der Kirche nach ihrem Sinne zu
gestalten. Viele ängstliche Gemüther hatten deswegen längst der Be-
sorgniß Raum gegeben, daß bei dem höchsten Kirchenregimente dieses
schrankenlose, mit stets gesteigertem Herrscherton auftretende Treiben
eine wenigstens theilweise Billigung gefunden haben müsse. Und end¬
lich hatte sich der lang verhaltene Unwille Luft gemacht. So seien
die berufenen Versammlungen der protestantischen Freunde zu erklären.
Die Evangelische Kirchenzeitung habe zuerst Erklärungen gebracht --
gegen die Lichtfreunde; diese seien dann dem Beispiele der Kirchen-
zeitung gefolgt und hätten in die Zeitungen Erklärungen gegen die
Kirchenzeitung rücken lassen. Und so sei venu zuletzt die Masse mit
in den Strudel der Aufregung hineingerissen worden. "In dieses
Treiben der Parteien, in diesen immer argern Tumult hinein erhoben
endlich ernste, über alle Parteien stehende Männer" -- es sind das
Herr Eltesters Worte, bitte ich zu bemerken -- "ihre Stimme."

Nichts da! ruft Herr Hengstenberg. Wollt ihr die rechte Ursache
des Protestes wissen? Die Schleiermacherianer -- die Urheber der
"Erklärung" vom 15. August -- haben "in den Kirchlichgesinntcn
die Repräsentanten ihres eigenen Gewissens erblickt, welches ihnen
im Fortschritte der Zeit immer lauter zurief, vollen Ernst mit ihrem
Bekenntniß zu Christo zu machen." Der Schleiermacherianer kirch¬
liches Prinrip, sagt er, sei eine Vermischung des an sich Unverträg¬
lichen, der kirchlichen Wahrheit und des Nationalismus. Die Schleier-
machersche Schule, sagt er, habe zu ihrem Boden "das unbestimmte
Gefühl"; seltsam sei es, wenn Die, welche auf diesem Standpunct
stehen, welche die Arbeit der achtzehn Jahrhunderte in der Haupt¬
sache für eine mißlungene erklärten, noch bestandig den Fortschritt im
Munde führen, und ihm und den Seinigen vorwürfen, daß sie dem
Fortschritte feindlich seien. "Wir," setzt er hinzu, "wir gerade wollen
den Fortschritt mit vollem Ernste; denn wir erkennen klar, wie, viel
noch daran fehlt, daß die Kirche zum Mannesalter Ehristi gelangt
sei, wie reich die noch nicht gehobenen Schätze der H. Schrift sind."

Eltester zeigt uns in der That, daß es sich für ihn und
seine Geistesverwandten nicht um einen bestimmten Inhalt des Be-


Persönlichkeiten jeder Art — Persönlichkeiten, so gehässig und wider¬
wärtig, daß man sie Niemanden ungerügt nachsehen könne, seien hin¬
zugekommen und hätten den Streit vollends vergiftet. Vergeblich
hätten dazumal die Synoden versucht, dazwischen zu treten. Ihre
vermittelnde Stimme wäre theils überhört, theils weggespottet oder
weggeketzert, der Streit immer lärmender weiter geführt, und endlich
selbst der Behörden nicht geschont, sondern gegen dieselben mit Iu-
muthungen verfahren worden, welche nicht nur bewiesen, wie weit
die Zuversicht bereits gestiegen war, sondern auch was Kirche und
Vaterland zu erwarten hatten, wenn es je den Leitern jener Partei
gelingen sollte, das Regiment in der Kirche nach ihrem Sinne zu
gestalten. Viele ängstliche Gemüther hatten deswegen längst der Be-
sorgniß Raum gegeben, daß bei dem höchsten Kirchenregimente dieses
schrankenlose, mit stets gesteigertem Herrscherton auftretende Treiben
eine wenigstens theilweise Billigung gefunden haben müsse. Und end¬
lich hatte sich der lang verhaltene Unwille Luft gemacht. So seien
die berufenen Versammlungen der protestantischen Freunde zu erklären.
Die Evangelische Kirchenzeitung habe zuerst Erklärungen gebracht —
gegen die Lichtfreunde; diese seien dann dem Beispiele der Kirchen-
zeitung gefolgt und hätten in die Zeitungen Erklärungen gegen die
Kirchenzeitung rücken lassen. Und so sei venu zuletzt die Masse mit
in den Strudel der Aufregung hineingerissen worden. „In dieses
Treiben der Parteien, in diesen immer argern Tumult hinein erhoben
endlich ernste, über alle Parteien stehende Männer" — es sind das
Herr Eltesters Worte, bitte ich zu bemerken — „ihre Stimme."

Nichts da! ruft Herr Hengstenberg. Wollt ihr die rechte Ursache
des Protestes wissen? Die Schleiermacherianer — die Urheber der
„Erklärung" vom 15. August — haben „in den Kirchlichgesinntcn
die Repräsentanten ihres eigenen Gewissens erblickt, welches ihnen
im Fortschritte der Zeit immer lauter zurief, vollen Ernst mit ihrem
Bekenntniß zu Christo zu machen." Der Schleiermacherianer kirch¬
liches Prinrip, sagt er, sei eine Vermischung des an sich Unverträg¬
lichen, der kirchlichen Wahrheit und des Nationalismus. Die Schleier-
machersche Schule, sagt er, habe zu ihrem Boden „das unbestimmte
Gefühl"; seltsam sei es, wenn Die, welche auf diesem Standpunct
stehen, welche die Arbeit der achtzehn Jahrhunderte in der Haupt¬
sache für eine mißlungene erklärten, noch bestandig den Fortschritt im
Munde führen, und ihm und den Seinigen vorwürfen, daß sie dem
Fortschritte feindlich seien. „Wir," setzt er hinzu, „wir gerade wollen
den Fortschritt mit vollem Ernste; denn wir erkennen klar, wie, viel
noch daran fehlt, daß die Kirche zum Mannesalter Ehristi gelangt
sei, wie reich die noch nicht gehobenen Schätze der H. Schrift sind."

Eltester zeigt uns in der That, daß es sich für ihn und
seine Geistesverwandten nicht um einen bestimmten Inhalt des Be-


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[0424] Persönlichkeiten jeder Art — Persönlichkeiten, so gehässig und wider¬ wärtig, daß man sie Niemanden ungerügt nachsehen könne, seien hin¬ zugekommen und hätten den Streit vollends vergiftet. Vergeblich hätten dazumal die Synoden versucht, dazwischen zu treten. Ihre vermittelnde Stimme wäre theils überhört, theils weggespottet oder weggeketzert, der Streit immer lärmender weiter geführt, und endlich selbst der Behörden nicht geschont, sondern gegen dieselben mit Iu- muthungen verfahren worden, welche nicht nur bewiesen, wie weit die Zuversicht bereits gestiegen war, sondern auch was Kirche und Vaterland zu erwarten hatten, wenn es je den Leitern jener Partei gelingen sollte, das Regiment in der Kirche nach ihrem Sinne zu gestalten. Viele ängstliche Gemüther hatten deswegen längst der Be- sorgniß Raum gegeben, daß bei dem höchsten Kirchenregimente dieses schrankenlose, mit stets gesteigertem Herrscherton auftretende Treiben eine wenigstens theilweise Billigung gefunden haben müsse. Und end¬ lich hatte sich der lang verhaltene Unwille Luft gemacht. So seien die berufenen Versammlungen der protestantischen Freunde zu erklären. Die Evangelische Kirchenzeitung habe zuerst Erklärungen gebracht — gegen die Lichtfreunde; diese seien dann dem Beispiele der Kirchen- zeitung gefolgt und hätten in die Zeitungen Erklärungen gegen die Kirchenzeitung rücken lassen. Und so sei venu zuletzt die Masse mit in den Strudel der Aufregung hineingerissen worden. „In dieses Treiben der Parteien, in diesen immer argern Tumult hinein erhoben endlich ernste, über alle Parteien stehende Männer" — es sind das Herr Eltesters Worte, bitte ich zu bemerken — „ihre Stimme." Nichts da! ruft Herr Hengstenberg. Wollt ihr die rechte Ursache des Protestes wissen? Die Schleiermacherianer — die Urheber der „Erklärung" vom 15. August — haben „in den Kirchlichgesinntcn die Repräsentanten ihres eigenen Gewissens erblickt, welches ihnen im Fortschritte der Zeit immer lauter zurief, vollen Ernst mit ihrem Bekenntniß zu Christo zu machen." Der Schleiermacherianer kirch¬ liches Prinrip, sagt er, sei eine Vermischung des an sich Unverträg¬ lichen, der kirchlichen Wahrheit und des Nationalismus. Die Schleier- machersche Schule, sagt er, habe zu ihrem Boden „das unbestimmte Gefühl"; seltsam sei es, wenn Die, welche auf diesem Standpunct stehen, welche die Arbeit der achtzehn Jahrhunderte in der Haupt¬ sache für eine mißlungene erklärten, noch bestandig den Fortschritt im Munde führen, und ihm und den Seinigen vorwürfen, daß sie dem Fortschritte feindlich seien. „Wir," setzt er hinzu, „wir gerade wollen den Fortschritt mit vollem Ernste; denn wir erkennen klar, wie, viel noch daran fehlt, daß die Kirche zum Mannesalter Ehristi gelangt sei, wie reich die noch nicht gehobenen Schätze der H. Schrift sind." Eltester zeigt uns in der That, daß es sich für ihn und seine Geistesverwandten nicht um einen bestimmten Inhalt des Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/424>, abgerufen am 05.02.2025.