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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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die Lesewelt diesem patriotischen Gedanken schenkt, ob die Ausbeute
mehr oder weniger Umfang erhalten soll. So eben ist das erste Heft
ausgegeben worden, es enthalt die Gestndtschaftsreise des Grafen von
Herbenstein nach Spanien im Jahre und ist ebenso wichtig
für die Kenntniß der spanischen Zustände, als für die Auffassung der
obwaltenden diplomischen Beziehungen zwischen den beiden mächtigsten
Staaten der damaligen Periode. -- Seit Hormayrs Abtritt ist jeder
Versuch den historischen Sinn in Oesterreich zu wecken und zu näh¬
ren, mißlungen, und wir brauchen nicht das Journal des Geschichts¬
forschers Kaltenbük zu erwähnen, der als Bibliothekar beim Fürsten
Schwarzenberg angestellt ist; auch einzelne Geschichtswerke wenn sie
nicht ganz für den Lesepöbel berechnet waren, wie die von Schimmer,
Meynert u. f. w. fanden keinen Anklang im Vaterlande und die Li¬
teraturblätter von Dr. Schmidt können sich nur durch historische Ent¬
haltsamkeit und den Reichthum statistischer und literargcschichtlicher
Mittheilungen fortfristcn.

Man ist begierig, wie der aus Rom hier eingtrossene Dr. Hur-
ter, welcher durch Vermittelung des Fürst Staatskanzler, die Anstel¬
lung als Hofrath und Historiograph des Reiches erhalten hat, seinen
neuen Wirkungskreis eröffnen wird. Wie man hört, soll es besonders
seine Aufgabe sein, die von dem Protestantismus geschmälerte historische
Wahrheit wiederherzustellen und eine katholische Geschichtsansicht durch¬
zuführen, wie solche bereits von Stollberg und Friedrich Schlegel
versucht worden ist. Hormayr, welcher einst seine Stelle einnahm,
hat in dieser Hinsicht am wenigsten geleistet, auch war damals der
Zeitpunkt für konfessionelle Geschichtschreibung nicht günstig; im Sturme
d"r politischen Zertrümmerung, der in der Blütezeit Hormayrs über
die Welt fuhr, galt es, dem wurzellosen Demagogismus, der un¬
gläubigen Democratie das verbriefte Recht und die Ahncnhalle der
Legitimität zu zeigen. Jetzt ist es die religiös-hierarchische Schule
in der Geschichtschreibung, die nicht Gefährdetes erretten, sondern die
Geister erziehen und lenken will. Schon Buchholz und Lichnowsky
wandelten diesen Pfad; was sie begonnen, soll nun fortgesetzt und wo
möglich vollendet werden; aus diesem Gesichtspunkte dürste Hurters
Berufung zu betrachten sein.

0r. Ennemoser aus München, der schon im verflossenen Jahr
einige Zeit hier verweilte und dem Magnetismus ein öffentliches Ge¬
biet eroberte, ist abermals eingetroffen und gedenkt den ganzen Win¬
ter hier zuzubringen, was ohne Zweifel auf das wissenschaftliche Leben
der Universität von Einfluß sein wird.


die Lesewelt diesem patriotischen Gedanken schenkt, ob die Ausbeute
mehr oder weniger Umfang erhalten soll. So eben ist das erste Heft
ausgegeben worden, es enthalt die Gestndtschaftsreise des Grafen von
Herbenstein nach Spanien im Jahre und ist ebenso wichtig
für die Kenntniß der spanischen Zustände, als für die Auffassung der
obwaltenden diplomischen Beziehungen zwischen den beiden mächtigsten
Staaten der damaligen Periode. — Seit Hormayrs Abtritt ist jeder
Versuch den historischen Sinn in Oesterreich zu wecken und zu näh¬
ren, mißlungen, und wir brauchen nicht das Journal des Geschichts¬
forschers Kaltenbük zu erwähnen, der als Bibliothekar beim Fürsten
Schwarzenberg angestellt ist; auch einzelne Geschichtswerke wenn sie
nicht ganz für den Lesepöbel berechnet waren, wie die von Schimmer,
Meynert u. f. w. fanden keinen Anklang im Vaterlande und die Li¬
teraturblätter von Dr. Schmidt können sich nur durch historische Ent¬
haltsamkeit und den Reichthum statistischer und literargcschichtlicher
Mittheilungen fortfristcn.

Man ist begierig, wie der aus Rom hier eingtrossene Dr. Hur-
ter, welcher durch Vermittelung des Fürst Staatskanzler, die Anstel¬
lung als Hofrath und Historiograph des Reiches erhalten hat, seinen
neuen Wirkungskreis eröffnen wird. Wie man hört, soll es besonders
seine Aufgabe sein, die von dem Protestantismus geschmälerte historische
Wahrheit wiederherzustellen und eine katholische Geschichtsansicht durch¬
zuführen, wie solche bereits von Stollberg und Friedrich Schlegel
versucht worden ist. Hormayr, welcher einst seine Stelle einnahm,
hat in dieser Hinsicht am wenigsten geleistet, auch war damals der
Zeitpunkt für konfessionelle Geschichtschreibung nicht günstig; im Sturme
d"r politischen Zertrümmerung, der in der Blütezeit Hormayrs über
die Welt fuhr, galt es, dem wurzellosen Demagogismus, der un¬
gläubigen Democratie das verbriefte Recht und die Ahncnhalle der
Legitimität zu zeigen. Jetzt ist es die religiös-hierarchische Schule
in der Geschichtschreibung, die nicht Gefährdetes erretten, sondern die
Geister erziehen und lenken will. Schon Buchholz und Lichnowsky
wandelten diesen Pfad; was sie begonnen, soll nun fortgesetzt und wo
möglich vollendet werden; aus diesem Gesichtspunkte dürste Hurters
Berufung zu betrachten sein.

0r. Ennemoser aus München, der schon im verflossenen Jahr
einige Zeit hier verweilte und dem Magnetismus ein öffentliches Ge¬
biet eroberte, ist abermals eingetroffen und gedenkt den ganzen Win¬
ter hier zuzubringen, was ohne Zweifel auf das wissenschaftliche Leben
der Universität von Einfluß sein wird.


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[0420] die Lesewelt diesem patriotischen Gedanken schenkt, ob die Ausbeute mehr oder weniger Umfang erhalten soll. So eben ist das erste Heft ausgegeben worden, es enthalt die Gestndtschaftsreise des Grafen von Herbenstein nach Spanien im Jahre und ist ebenso wichtig für die Kenntniß der spanischen Zustände, als für die Auffassung der obwaltenden diplomischen Beziehungen zwischen den beiden mächtigsten Staaten der damaligen Periode. — Seit Hormayrs Abtritt ist jeder Versuch den historischen Sinn in Oesterreich zu wecken und zu näh¬ ren, mißlungen, und wir brauchen nicht das Journal des Geschichts¬ forschers Kaltenbük zu erwähnen, der als Bibliothekar beim Fürsten Schwarzenberg angestellt ist; auch einzelne Geschichtswerke wenn sie nicht ganz für den Lesepöbel berechnet waren, wie die von Schimmer, Meynert u. f. w. fanden keinen Anklang im Vaterlande und die Li¬ teraturblätter von Dr. Schmidt können sich nur durch historische Ent¬ haltsamkeit und den Reichthum statistischer und literargcschichtlicher Mittheilungen fortfristcn. Man ist begierig, wie der aus Rom hier eingtrossene Dr. Hur- ter, welcher durch Vermittelung des Fürst Staatskanzler, die Anstel¬ lung als Hofrath und Historiograph des Reiches erhalten hat, seinen neuen Wirkungskreis eröffnen wird. Wie man hört, soll es besonders seine Aufgabe sein, die von dem Protestantismus geschmälerte historische Wahrheit wiederherzustellen und eine katholische Geschichtsansicht durch¬ zuführen, wie solche bereits von Stollberg und Friedrich Schlegel versucht worden ist. Hormayr, welcher einst seine Stelle einnahm, hat in dieser Hinsicht am wenigsten geleistet, auch war damals der Zeitpunkt für konfessionelle Geschichtschreibung nicht günstig; im Sturme d"r politischen Zertrümmerung, der in der Blütezeit Hormayrs über die Welt fuhr, galt es, dem wurzellosen Demagogismus, der un¬ gläubigen Democratie das verbriefte Recht und die Ahncnhalle der Legitimität zu zeigen. Jetzt ist es die religiös-hierarchische Schule in der Geschichtschreibung, die nicht Gefährdetes erretten, sondern die Geister erziehen und lenken will. Schon Buchholz und Lichnowsky wandelten diesen Pfad; was sie begonnen, soll nun fortgesetzt und wo möglich vollendet werden; aus diesem Gesichtspunkte dürste Hurters Berufung zu betrachten sein. 0r. Ennemoser aus München, der schon im verflossenen Jahr einige Zeit hier verweilte und dem Magnetismus ein öffentliches Ge¬ biet eroberte, ist abermals eingetroffen und gedenkt den ganzen Win¬ ter hier zuzubringen, was ohne Zweifel auf das wissenschaftliche Leben der Universität von Einfluß sein wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/420>, abgerufen am 05.02.2025.