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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Schluß, auf Einberufung der Landstände hinzuwirken. Am 6. Sep¬
tember brach ein Volkstumult aus, der wegen unerwarteter Erhö¬
hung der Brotpreise gegen die Bäckerladen gerichtet war; die Zer-
störungswuth der Masse, einmal geweckt, bedrohte nun auch die
Fleischbänke und andere Verkauföstätten. Am 7. versammelte sich
deshalb der Stadtrath und verfügte eine allgemeine Bewaffnung der
Bürger. In Folge dieser Maßregel wurde die Ruhe nothdürftig
erhalten. Auf Versammlungen der Bürger, welche inzwischen Statt
fanden, wurde der Plan, den Churfürsten um Einberufung der Stände
zu bitten, weiter verfolgt, und nachdem der Churfürst am 12. zurück¬
gekehrt war, am 14. eine von Hahn ausgearbeitete Bittschrift, Sei¬
tens der Bürgerschaft dem Stadtrath zugestellt, welcher dieselbe am
15. dem Churfürsten überreichte. Der Churfürst sah die Nothwendig¬
keit ein, dem Volke Bewilligungen zu machen. Eine Verordnung
vom 1. September berief die Landstände auf den 16. October ein.

Jordan hatte sich, wie wir schon in der ersten Abtheilung ge¬
sehen, durch seine akademische und literarische Thätigkeit, so wie durch
sein persönliches Verhalten so sehr die allgemeine Achtung erworben,
daß ihn die öffentliche Meinung laut als denjenigen bezeichnete, der
von Seiten der Lcmvesuniversttät für den Landtag zu wählen sei,
und seine College" waren derselben Ansicht. Er wurde gewählt,
und traf in der Mitte Octobers in Cassel ein.

Die Negierung legte den Ständen einen Entwurf zu einer Ver-
fassungsurkunde vor, welcher in allen wesentlichen Stücken mit jenem
oben erwähnten Entwürfe von 1816 übereinkam und daher den Er¬
wartungen, die allgemein gehegt wurden, nicht entsprach, am wenig¬
sten aber den Ansichten, die sich Jordan über eine zeitgemäße Ver¬
fassung gebildet hatte. Nachdem Jordan in Cassel eingetroffen war,
suchte man ihn durch die glänzendsten Versprechungen für die An¬
nahme der Proposttion zu gewinne". Der zur Prüfung der Pro¬
position erwählte, aus sieben Mitgliedern unter Jordans Vorsitz be¬
stehende landständische Ausschuß meinte Anfangs, daß die unbedingte
Annahme derselben das Gerathenste sei, um nicht, durch weitere Vor¬
schläge, gleichwie dies im Jahre 18 "6 der Fall gewesen war, das
ganze Verfassungswerk zu vereiteln. Allein Jordan ließ sich durch
nichts von seiner Ueberzeugung abbringen, daß die Proposition durch¬
aus ungenügend sei und daß es gelingen werde, dem Lande eine


Schluß, auf Einberufung der Landstände hinzuwirken. Am 6. Sep¬
tember brach ein Volkstumult aus, der wegen unerwarteter Erhö¬
hung der Brotpreise gegen die Bäckerladen gerichtet war; die Zer-
störungswuth der Masse, einmal geweckt, bedrohte nun auch die
Fleischbänke und andere Verkauföstätten. Am 7. versammelte sich
deshalb der Stadtrath und verfügte eine allgemeine Bewaffnung der
Bürger. In Folge dieser Maßregel wurde die Ruhe nothdürftig
erhalten. Auf Versammlungen der Bürger, welche inzwischen Statt
fanden, wurde der Plan, den Churfürsten um Einberufung der Stände
zu bitten, weiter verfolgt, und nachdem der Churfürst am 12. zurück¬
gekehrt war, am 14. eine von Hahn ausgearbeitete Bittschrift, Sei¬
tens der Bürgerschaft dem Stadtrath zugestellt, welcher dieselbe am
15. dem Churfürsten überreichte. Der Churfürst sah die Nothwendig¬
keit ein, dem Volke Bewilligungen zu machen. Eine Verordnung
vom 1. September berief die Landstände auf den 16. October ein.

Jordan hatte sich, wie wir schon in der ersten Abtheilung ge¬
sehen, durch seine akademische und literarische Thätigkeit, so wie durch
sein persönliches Verhalten so sehr die allgemeine Achtung erworben,
daß ihn die öffentliche Meinung laut als denjenigen bezeichnete, der
von Seiten der Lcmvesuniversttät für den Landtag zu wählen sei,
und seine College« waren derselben Ansicht. Er wurde gewählt,
und traf in der Mitte Octobers in Cassel ein.

Die Negierung legte den Ständen einen Entwurf zu einer Ver-
fassungsurkunde vor, welcher in allen wesentlichen Stücken mit jenem
oben erwähnten Entwürfe von 1816 übereinkam und daher den Er¬
wartungen, die allgemein gehegt wurden, nicht entsprach, am wenig¬
sten aber den Ansichten, die sich Jordan über eine zeitgemäße Ver¬
fassung gebildet hatte. Nachdem Jordan in Cassel eingetroffen war,
suchte man ihn durch die glänzendsten Versprechungen für die An¬
nahme der Proposttion zu gewinne». Der zur Prüfung der Pro¬
position erwählte, aus sieben Mitgliedern unter Jordans Vorsitz be¬
stehende landständische Ausschuß meinte Anfangs, daß die unbedingte
Annahme derselben das Gerathenste sei, um nicht, durch weitere Vor¬
schläge, gleichwie dies im Jahre 18 »6 der Fall gewesen war, das
ganze Verfassungswerk zu vereiteln. Allein Jordan ließ sich durch
nichts von seiner Ueberzeugung abbringen, daß die Proposition durch¬
aus ungenügend sei und daß es gelingen werde, dem Lande eine


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[0398] Schluß, auf Einberufung der Landstände hinzuwirken. Am 6. Sep¬ tember brach ein Volkstumult aus, der wegen unerwarteter Erhö¬ hung der Brotpreise gegen die Bäckerladen gerichtet war; die Zer- störungswuth der Masse, einmal geweckt, bedrohte nun auch die Fleischbänke und andere Verkauföstätten. Am 7. versammelte sich deshalb der Stadtrath und verfügte eine allgemeine Bewaffnung der Bürger. In Folge dieser Maßregel wurde die Ruhe nothdürftig erhalten. Auf Versammlungen der Bürger, welche inzwischen Statt fanden, wurde der Plan, den Churfürsten um Einberufung der Stände zu bitten, weiter verfolgt, und nachdem der Churfürst am 12. zurück¬ gekehrt war, am 14. eine von Hahn ausgearbeitete Bittschrift, Sei¬ tens der Bürgerschaft dem Stadtrath zugestellt, welcher dieselbe am 15. dem Churfürsten überreichte. Der Churfürst sah die Nothwendig¬ keit ein, dem Volke Bewilligungen zu machen. Eine Verordnung vom 1. September berief die Landstände auf den 16. October ein. Jordan hatte sich, wie wir schon in der ersten Abtheilung ge¬ sehen, durch seine akademische und literarische Thätigkeit, so wie durch sein persönliches Verhalten so sehr die allgemeine Achtung erworben, daß ihn die öffentliche Meinung laut als denjenigen bezeichnete, der von Seiten der Lcmvesuniversttät für den Landtag zu wählen sei, und seine College« waren derselben Ansicht. Er wurde gewählt, und traf in der Mitte Octobers in Cassel ein. Die Negierung legte den Ständen einen Entwurf zu einer Ver- fassungsurkunde vor, welcher in allen wesentlichen Stücken mit jenem oben erwähnten Entwürfe von 1816 übereinkam und daher den Er¬ wartungen, die allgemein gehegt wurden, nicht entsprach, am wenig¬ sten aber den Ansichten, die sich Jordan über eine zeitgemäße Ver¬ fassung gebildet hatte. Nachdem Jordan in Cassel eingetroffen war, suchte man ihn durch die glänzendsten Versprechungen für die An¬ nahme der Proposttion zu gewinne». Der zur Prüfung der Pro¬ position erwählte, aus sieben Mitgliedern unter Jordans Vorsitz be¬ stehende landständische Ausschuß meinte Anfangs, daß die unbedingte Annahme derselben das Gerathenste sei, um nicht, durch weitere Vor¬ schläge, gleichwie dies im Jahre 18 »6 der Fall gewesen war, das ganze Verfassungswerk zu vereiteln. Allein Jordan ließ sich durch nichts von seiner Ueberzeugung abbringen, daß die Proposition durch¬ aus ungenügend sei und daß es gelingen werde, dem Lande eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/398>, abgerufen am 05.02.2025.