Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.einem in demselben Monate ihnen vertraulich mitgetheilten Verfas¬ Es schien auf diese Weise aus der Einigung über eine dem Es kam noch ein besonderer Umstand hinzu, die Gemüther aufs einem in demselben Monate ihnen vertraulich mitgetheilten Verfas¬ Es schien auf diese Weise aus der Einigung über eine dem Es kam noch ein besonderer Umstand hinzu, die Gemüther aufs <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271657"/> <p xml:id="ID_1061" prev="#ID_1060"> einem in demselben Monate ihnen vertraulich mitgetheilten Verfas¬<lb/> sungsentwurf sich unzufrieden bezeigten, indem sie ihn den am 1l).<lb/> Juni vorigen Jahres erregten Hoffnungen nicht entsprechend fanden,<lb/> so wurden sie am 1l). März ohne Landtagsabschied entlassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1062"> Es schien auf diese Weise aus der Einigung über eine dem<lb/> Lande zu ertheilende Constitution nichts werden zu wollen, und der<lb/> neue Churfürst, der den 27. Februar 1821 zur Negierung gelangt<lb/> war und dem die hoffnungsreichsten Herzen aller Stände und Par¬<lb/> teien, wie es unter solchen Umständen zu geschehen pflegt, entgegen¬<lb/> schlugen, Wilhelm II. erließ am 29. Juni 1821 ein Organisations-<lb/> edict, durch welches manche Mißstände allerdings beseitigt wurden,<lb/> denn es trennte die Rechtspflege von der Verwaltung und enthielt<lb/> Bestimmungen, welche dazu dienen sollten, die Unabhängigkeit jener<lb/> sicher zu stellen; aber zugleich erweiterte es beträchtlich den Umfang<lb/> der administrativen Gewalt und ging über die Angelegenheit<lb/> der landständischen Verfassung mit einer bloßen Andeutung leicht<lb/> hin. Wiederholt trug die Ritterschaft auf Zusammenberufung der<lb/> Landstände an. Vergeblich. Mißmuth und Unzufriedenheit wa¬<lb/> ren allgemein; die Ritterschaft, der es um ihre Privilegien zu thun<lb/> war, sympathisirte diesmal mit der sogenannten Volkspartet, deren<lb/> Sinn nach liberalen Institutionen stand. Der Groll durfte aber<lb/> nicht laut werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1063" next="#ID_1064"> Es kam noch ein besonderer Umstand hinzu, die Gemüther aufs<lb/> Heftigste zu reizen. Wie voll von Jmmoralität das Volk auch in¬<lb/> nerlich stecke, öffentlich nimmt es die Moralität immer in Schutz und<lb/> empört sich vorzüglich gegen diejenigen Verletzungen derselben, die in<lb/> einer den Aeußerungen seines Unwillens unerreichbaren Region ge¬<lb/> wagt werden. Das churhess.sche Volk haßte die Frau Ortlopp, die<lb/> der Churfürst zur Gräfin Reichenbach gemacht hatte. Je mehr die<lb/> Favoritin verhaßt war, desto mehr wurde die Churfürstin (Friedrich<lb/> Wilhelm III. Schwester), deren Zurücksetzung die allgemeine Theil¬<lb/> nahme erregte, bemitleidet und geliebt, und je mehr sich diese Theil¬<lb/> nahme zum Enthusiasmus steigerte, desto bitterer wurde wiederum<lb/> der Haß gegen die Nebenbuhlerin der angebeteten Fürstin. Man<lb/> nahm lebhaft Partei für diese; bei Hofe und im Adel hatte sie ei¬<lb/> nen starken Anhang und im Volke flogen ihr alle Herzen zu. Das<lb/> patriarchalische Regiment rechtfertigt solche Einmischung des Volkes</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0396]
einem in demselben Monate ihnen vertraulich mitgetheilten Verfas¬
sungsentwurf sich unzufrieden bezeigten, indem sie ihn den am 1l).
Juni vorigen Jahres erregten Hoffnungen nicht entsprechend fanden,
so wurden sie am 1l). März ohne Landtagsabschied entlassen.
Es schien auf diese Weise aus der Einigung über eine dem
Lande zu ertheilende Constitution nichts werden zu wollen, und der
neue Churfürst, der den 27. Februar 1821 zur Negierung gelangt
war und dem die hoffnungsreichsten Herzen aller Stände und Par¬
teien, wie es unter solchen Umständen zu geschehen pflegt, entgegen¬
schlugen, Wilhelm II. erließ am 29. Juni 1821 ein Organisations-
edict, durch welches manche Mißstände allerdings beseitigt wurden,
denn es trennte die Rechtspflege von der Verwaltung und enthielt
Bestimmungen, welche dazu dienen sollten, die Unabhängigkeit jener
sicher zu stellen; aber zugleich erweiterte es beträchtlich den Umfang
der administrativen Gewalt und ging über die Angelegenheit
der landständischen Verfassung mit einer bloßen Andeutung leicht
hin. Wiederholt trug die Ritterschaft auf Zusammenberufung der
Landstände an. Vergeblich. Mißmuth und Unzufriedenheit wa¬
ren allgemein; die Ritterschaft, der es um ihre Privilegien zu thun
war, sympathisirte diesmal mit der sogenannten Volkspartet, deren
Sinn nach liberalen Institutionen stand. Der Groll durfte aber
nicht laut werden.
Es kam noch ein besonderer Umstand hinzu, die Gemüther aufs
Heftigste zu reizen. Wie voll von Jmmoralität das Volk auch in¬
nerlich stecke, öffentlich nimmt es die Moralität immer in Schutz und
empört sich vorzüglich gegen diejenigen Verletzungen derselben, die in
einer den Aeußerungen seines Unwillens unerreichbaren Region ge¬
wagt werden. Das churhess.sche Volk haßte die Frau Ortlopp, die
der Churfürst zur Gräfin Reichenbach gemacht hatte. Je mehr die
Favoritin verhaßt war, desto mehr wurde die Churfürstin (Friedrich
Wilhelm III. Schwester), deren Zurücksetzung die allgemeine Theil¬
nahme erregte, bemitleidet und geliebt, und je mehr sich diese Theil¬
nahme zum Enthusiasmus steigerte, desto bitterer wurde wiederum
der Haß gegen die Nebenbuhlerin der angebeteten Fürstin. Man
nahm lebhaft Partei für diese; bei Hofe und im Adel hatte sie ei¬
nen starken Anhang und im Volke flogen ihr alle Herzen zu. Das
patriarchalische Regiment rechtfertigt solche Einmischung des Volkes
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