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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Scene mit Wohlgefallen ansah. Ja, ihrer ist das Himmelreich, denn
sie bekommen keine Seekrankheit. Wär' ich doch ein Kind gewesen!

Seit einiger Zeit schon war der Horizont von einem schwarzen
Rand eingefaßt, der immer breiter und breiter wurde, bis die Wo¬
gen zuletzt ganz ihr grünes Festtagskleid ablegten und schwarz, wie
Trauerschleppen, emporwallten. Es sollte also einen kleinen Sturm
geben und ich dachte an jenen Maler, der sich an den Mast binden
ließ, um das Schauspiel des Orkans zu genießen. Großer Muth
würde auf einem Dampfpaketbovt nicht dazu gehören, wohl aber ein
guter Magen. Und der war's bei mir, der in diesem Augenblick
anfing, an Geburtswehen zu leiden. Noch ein Blick auf das schwin¬
delnde Meer und die Cigarre entfiel meinen Fingern, ich schwankte
auf die Bank und, das Gesicht in die Hand gedrückt, suchte ich
meine Ohnmacht zu bekämpfen. Wirklich that mir der kühle Schaum,
der mich bespritzte, so wohl, daß ich nach einer Weile gesiegt zu
haben glaubte und mit triumphirender Miene wieder aufstand, um
mich meinen Reisegefährten als Mann zu zeigen. Aber wehe mir,
ich hatte zu früh triumphirt. Ich that einen Schritt oder zwei, und
erhielt die spöttische Weisung, hinabzugehen zu den Andern. Hier
sollte ein Schleier fallen über die Schrecken der Unterwelt, aber sie
waren, offen gestanden, nicht groß, denn ich fiel bald in einen sü¬
ßen Schlummer, aus dem mich erst der Ruf: Dover! weckte. Ich
eilte auf das Verdeck und sah endlich die grauen Felsen der engli¬
schen Küste durch den strömenden Regen leuchten. Ein bischen See¬
krankheit erfrischt übrigens wunderbar und ich begreife nicht, warum
man die Badegäste an Seeorter nicht manchmal auf die Schaukel
der Wogen hinauöschickt. -- Guten Morgen!




Scene mit Wohlgefallen ansah. Ja, ihrer ist das Himmelreich, denn
sie bekommen keine Seekrankheit. Wär' ich doch ein Kind gewesen!

Seit einiger Zeit schon war der Horizont von einem schwarzen
Rand eingefaßt, der immer breiter und breiter wurde, bis die Wo¬
gen zuletzt ganz ihr grünes Festtagskleid ablegten und schwarz, wie
Trauerschleppen, emporwallten. Es sollte also einen kleinen Sturm
geben und ich dachte an jenen Maler, der sich an den Mast binden
ließ, um das Schauspiel des Orkans zu genießen. Großer Muth
würde auf einem Dampfpaketbovt nicht dazu gehören, wohl aber ein
guter Magen. Und der war's bei mir, der in diesem Augenblick
anfing, an Geburtswehen zu leiden. Noch ein Blick auf das schwin¬
delnde Meer und die Cigarre entfiel meinen Fingern, ich schwankte
auf die Bank und, das Gesicht in die Hand gedrückt, suchte ich
meine Ohnmacht zu bekämpfen. Wirklich that mir der kühle Schaum,
der mich bespritzte, so wohl, daß ich nach einer Weile gesiegt zu
haben glaubte und mit triumphirender Miene wieder aufstand, um
mich meinen Reisegefährten als Mann zu zeigen. Aber wehe mir,
ich hatte zu früh triumphirt. Ich that einen Schritt oder zwei, und
erhielt die spöttische Weisung, hinabzugehen zu den Andern. Hier
sollte ein Schleier fallen über die Schrecken der Unterwelt, aber sie
waren, offen gestanden, nicht groß, denn ich fiel bald in einen sü¬
ßen Schlummer, aus dem mich erst der Ruf: Dover! weckte. Ich
eilte auf das Verdeck und sah endlich die grauen Felsen der engli¬
schen Küste durch den strömenden Regen leuchten. Ein bischen See¬
krankheit erfrischt übrigens wunderbar und ich begreife nicht, warum
man die Badegäste an Seeorter nicht manchmal auf die Schaukel
der Wogen hinauöschickt. — Guten Morgen!




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[0394] Scene mit Wohlgefallen ansah. Ja, ihrer ist das Himmelreich, denn sie bekommen keine Seekrankheit. Wär' ich doch ein Kind gewesen! Seit einiger Zeit schon war der Horizont von einem schwarzen Rand eingefaßt, der immer breiter und breiter wurde, bis die Wo¬ gen zuletzt ganz ihr grünes Festtagskleid ablegten und schwarz, wie Trauerschleppen, emporwallten. Es sollte also einen kleinen Sturm geben und ich dachte an jenen Maler, der sich an den Mast binden ließ, um das Schauspiel des Orkans zu genießen. Großer Muth würde auf einem Dampfpaketbovt nicht dazu gehören, wohl aber ein guter Magen. Und der war's bei mir, der in diesem Augenblick anfing, an Geburtswehen zu leiden. Noch ein Blick auf das schwin¬ delnde Meer und die Cigarre entfiel meinen Fingern, ich schwankte auf die Bank und, das Gesicht in die Hand gedrückt, suchte ich meine Ohnmacht zu bekämpfen. Wirklich that mir der kühle Schaum, der mich bespritzte, so wohl, daß ich nach einer Weile gesiegt zu haben glaubte und mit triumphirender Miene wieder aufstand, um mich meinen Reisegefährten als Mann zu zeigen. Aber wehe mir, ich hatte zu früh triumphirt. Ich that einen Schritt oder zwei, und erhielt die spöttische Weisung, hinabzugehen zu den Andern. Hier sollte ein Schleier fallen über die Schrecken der Unterwelt, aber sie waren, offen gestanden, nicht groß, denn ich fiel bald in einen sü¬ ßen Schlummer, aus dem mich erst der Ruf: Dover! weckte. Ich eilte auf das Verdeck und sah endlich die grauen Felsen der engli¬ schen Küste durch den strömenden Regen leuchten. Ein bischen See¬ krankheit erfrischt übrigens wunderbar und ich begreife nicht, warum man die Badegäste an Seeorter nicht manchmal auf die Schaukel der Wogen hinauöschickt. — Guten Morgen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/394>, abgerufen am 05.02.2025.