Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.In weiter, weiter Ferne unter mir sah ich einen unendlich breiten Mehr noch als der Anblick des Meeres überrascht seine Stimme. 49'
In weiter, weiter Ferne unter mir sah ich einen unendlich breiten Mehr noch als der Anblick des Meeres überrascht seine Stimme. 49'
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0387" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271648"/> <p xml:id="ID_1042" prev="#ID_1041"> In weiter, weiter Ferne unter mir sah ich einen unendlich breiten<lb/> Spiegel hingegossen, aufblitzend im letzten Licht des Tages, und vor<lb/> meinen geblendeten Sinnen nahm es noch andere Gestalten an; ein<lb/> silbergrauer riesiger Wellenvorhang, hinaufgespannt bis an die Wol¬<lb/> ken; eine diamantene Scheidewand, aufsteigend zwischen Dies- und<lb/> Jenseits, Mysterien einer andern Welt verhüllend. Man sieht im<lb/> Grunde nicht sehr weit mit bloßen Augen und nur die lange Küste,<lb/> die man auf einmal überschaut vom Damme, der gleichsam die<lb/> Ostende'sche Festungsmauer nach der Seeseite zu ist, gibt dem An¬<lb/> blick etwas Großartiges. Aber mir kamen auch Wetter und Tages¬<lb/> zeit zu Gute. Die Sonne war bereits untergegangen, und der ein-^<lb/> ßerste Horizont von schwachen Nebeln umschleiert, welche eine opti¬<lb/> sche Täuschung bewirkten und die Aussicht künstlich erweiterten, denn<lb/> die Grenzlinie zwischen Meer und Gewölk war nicht mehr zu un¬<lb/> terscheiden, und ein einsames Fischerboot, welches, die weißen Segel<lb/> ausgespannt, in die Ferne hinflog, schien hoch über mir durch den<lb/> Himmel zu fahren. Dagegen lag das Meer in nächster Nähe un¬<lb/> ter mir, tief, wie ein gähnender Abgrund. Erst später, als ich an<lb/> den Strand hinabstieg, bemerkte ich, daß es der von der Ebbe blo߬<lb/> gelegte Meerboden war, der von Weitem einer glatten Fläche mit<lb/> sanften kleinen Wellen gleicht., in so schöner Symmetrie prägt sich<lb/> ihm die Spur der Wogen ein; ich lief mit kindischer Freude darauf<lb/> herum, er war fest und rein wie eine Tonne, ein Tanzboden für<lb/> die zierlichen Füßchen der Niren und Seejungsrauen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1043" next="#ID_1044"> Mehr noch als der Anblick des Meeres überrascht seine Stimme.<lb/> Wie du auf die Hohe des Dammes trittst: ein fernes Brausen,<lb/> als ob dir zu Füßen tausend Urwälder im Herbstwind lauter und<lb/> lauter ihr Lied erhöben, dann ein tiefes, seufzendes Athemholen der<lb/> Fluth, ein Schluchzen, ein Schmettern und Klatschen mit langgezoge¬<lb/> nen Wiederhall, dann aber plötzlich ein Brüllen und Heulen, das<lb/> gradezu an dich gerichtet scheint und gradezu dir in die Seele<lb/> donnert, — als wüßte das Meer, daß du sein neuester Bekannter<lb/> bist —; das dich anschreit, wie eine melancholisch zornige Frage,<lb/> die aber, ehe sie endet, immer in eine neue und immer wildere Frage<lb/> übergeht, — du trittst erschrocken zurück, du meinst, das Meer<lb/> werde im nächsten Augenblick etwas Entsetzliches verkünden, es wolle<lb/> über die Erde herfallen und spiele die Ouvertüre zum Weltgericht.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 49'</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0387]
In weiter, weiter Ferne unter mir sah ich einen unendlich breiten
Spiegel hingegossen, aufblitzend im letzten Licht des Tages, und vor
meinen geblendeten Sinnen nahm es noch andere Gestalten an; ein
silbergrauer riesiger Wellenvorhang, hinaufgespannt bis an die Wol¬
ken; eine diamantene Scheidewand, aufsteigend zwischen Dies- und
Jenseits, Mysterien einer andern Welt verhüllend. Man sieht im
Grunde nicht sehr weit mit bloßen Augen und nur die lange Küste,
die man auf einmal überschaut vom Damme, der gleichsam die
Ostende'sche Festungsmauer nach der Seeseite zu ist, gibt dem An¬
blick etwas Großartiges. Aber mir kamen auch Wetter und Tages¬
zeit zu Gute. Die Sonne war bereits untergegangen, und der ein-^
ßerste Horizont von schwachen Nebeln umschleiert, welche eine opti¬
sche Täuschung bewirkten und die Aussicht künstlich erweiterten, denn
die Grenzlinie zwischen Meer und Gewölk war nicht mehr zu un¬
terscheiden, und ein einsames Fischerboot, welches, die weißen Segel
ausgespannt, in die Ferne hinflog, schien hoch über mir durch den
Himmel zu fahren. Dagegen lag das Meer in nächster Nähe un¬
ter mir, tief, wie ein gähnender Abgrund. Erst später, als ich an
den Strand hinabstieg, bemerkte ich, daß es der von der Ebbe blo߬
gelegte Meerboden war, der von Weitem einer glatten Fläche mit
sanften kleinen Wellen gleicht., in so schöner Symmetrie prägt sich
ihm die Spur der Wogen ein; ich lief mit kindischer Freude darauf
herum, er war fest und rein wie eine Tonne, ein Tanzboden für
die zierlichen Füßchen der Niren und Seejungsrauen.
Mehr noch als der Anblick des Meeres überrascht seine Stimme.
Wie du auf die Hohe des Dammes trittst: ein fernes Brausen,
als ob dir zu Füßen tausend Urwälder im Herbstwind lauter und
lauter ihr Lied erhöben, dann ein tiefes, seufzendes Athemholen der
Fluth, ein Schluchzen, ein Schmettern und Klatschen mit langgezoge¬
nen Wiederhall, dann aber plötzlich ein Brüllen und Heulen, das
gradezu an dich gerichtet scheint und gradezu dir in die Seele
donnert, — als wüßte das Meer, daß du sein neuester Bekannter
bist —; das dich anschreit, wie eine melancholisch zornige Frage,
die aber, ehe sie endet, immer in eine neue und immer wildere Frage
übergeht, — du trittst erschrocken zurück, du meinst, das Meer
werde im nächsten Augenblick etwas Entsetzliches verkünden, es wolle
über die Erde herfallen und spiele die Ouvertüre zum Weltgericht.
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