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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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nen Haken zu entdecken, mit dem sie sich an das practische Leben
nesteln ließen, so würden sie bald Wurzel bei uns fassen. -- Weil ihm
das practische Element fehlt, er nur eine einseitige Richtung verfolgt,
erfreut sich auch der hier entstandene katholische Leseverein keines son¬
derlichen Fortganges, wie viel man auch über den hier schaltenden
und waltenden Ultramontanismus faselt. Wundern soll uns doch,
mit was für Schriften der Borromeus-Verein dem verderbten Ge¬
schmacke eine andere Richtung geben, durch was für Mittel er die
Menschen aus dem Sumpfe der Sinnlichkeit ziehen will. Wie fein
unsere Leute aber auch zu calculiren verstehen, bei diesem Vereine
dürften sie sich doch verrechnet haben: es lassen sich die Kölner und
Rheinländer so kein X mehr für ein U machen. -- Einen großen
Fortschritt in der Bildung der Cölner haben wir in dem lebendigen
Antheile begrüßt, den hier alle Anregungen finden, die politischen oder
socialen Fragen gelten, und staunen muß man bei solchen Gelegen¬
heiten zuweilen über die gesunden Ansichten, welche schlichte Bürger
entwickeln, über den Scharfsinn, mit welchem sie zu erwägen wissen,
was uns Noth thut, über den Tact, mit dem sie die Gebrechen und
Mängel der Zeit aufzufassen und zu beleuchten verstehen. Daß die
Intelligenz hier auch zu ihrem vollsten Rechte kommen wird, geht
auch noch daraus hervor, daß mehre unserer Kaufherren ihre Söhne,
welche einem commerciellen oder industriellen Berufe bestimmt sind,
ehe sie in's Geschäft treten, Universitäten besuchen lassen, um sich mit
Geschichte, Politik, einigen practischen juristischen Zweigen zu beschäf¬
tigen. Diese Saaten werden ihre Früchte bringen, sie sind durch die
Nothwendigkeit der Zeit bedingt. Wer hätte vor Jahren hier daran
gedacht, wenn die Comtoirstunden geschlossen, noch irgend eine Vor¬
lesung zu hören? Jetzt ist auch das anders. Ein hiesiger Advocat,
ol-. Thesmar, hielt und hält sehr besuchte Vorlesungen über das
französische Handelsgesetzbuch, und es sind uns ebenfalls Vorlesungen
über den avait! tlo commerc" und einzelne Materien unserer Nechts-
Jnstitutionen von Prof. Bauerband in Aussicht gestellt. Herr Bauer¬
band, früher einer der geachtetsten Advocaten unseres Apellhofes, wurde
im vorigen Jahre als Professor nach Bonn berufen, da bis dahin
an dieser Universität kein eigentlicher Lehrstuhl für französisches Recht
bestand. Seine Vorlesungen, in welchen er, reich an Erfahrungen,
auf die gediegenste Weise Theorie und Praxis zu vereinigen weiß,
sind dort außerordentlich besucht, und so darf er sich auch bei uns
ein sehr zahlreiches Auditorium versprechen, wenn er dem allgemeinen
Wunsche unserer jüngern Advocaten und der Kaufmannschaft nach¬
kommt. Außerdem sind auch noch Vorlesungen über Physiologie an¬
gekündigt, welche aber keinen besondern Anklang zu finden scheinen.
Was sonst in rein wissenschaftlicher Beziehung geschieht, ist nicht
weit her. Der von der Mehrzahl unserer Buchhändler gebildete Ver-


nen Haken zu entdecken, mit dem sie sich an das practische Leben
nesteln ließen, so würden sie bald Wurzel bei uns fassen. — Weil ihm
das practische Element fehlt, er nur eine einseitige Richtung verfolgt,
erfreut sich auch der hier entstandene katholische Leseverein keines son¬
derlichen Fortganges, wie viel man auch über den hier schaltenden
und waltenden Ultramontanismus faselt. Wundern soll uns doch,
mit was für Schriften der Borromeus-Verein dem verderbten Ge¬
schmacke eine andere Richtung geben, durch was für Mittel er die
Menschen aus dem Sumpfe der Sinnlichkeit ziehen will. Wie fein
unsere Leute aber auch zu calculiren verstehen, bei diesem Vereine
dürften sie sich doch verrechnet haben: es lassen sich die Kölner und
Rheinländer so kein X mehr für ein U machen. — Einen großen
Fortschritt in der Bildung der Cölner haben wir in dem lebendigen
Antheile begrüßt, den hier alle Anregungen finden, die politischen oder
socialen Fragen gelten, und staunen muß man bei solchen Gelegen¬
heiten zuweilen über die gesunden Ansichten, welche schlichte Bürger
entwickeln, über den Scharfsinn, mit welchem sie zu erwägen wissen,
was uns Noth thut, über den Tact, mit dem sie die Gebrechen und
Mängel der Zeit aufzufassen und zu beleuchten verstehen. Daß die
Intelligenz hier auch zu ihrem vollsten Rechte kommen wird, geht
auch noch daraus hervor, daß mehre unserer Kaufherren ihre Söhne,
welche einem commerciellen oder industriellen Berufe bestimmt sind,
ehe sie in's Geschäft treten, Universitäten besuchen lassen, um sich mit
Geschichte, Politik, einigen practischen juristischen Zweigen zu beschäf¬
tigen. Diese Saaten werden ihre Früchte bringen, sie sind durch die
Nothwendigkeit der Zeit bedingt. Wer hätte vor Jahren hier daran
gedacht, wenn die Comtoirstunden geschlossen, noch irgend eine Vor¬
lesung zu hören? Jetzt ist auch das anders. Ein hiesiger Advocat,
ol-. Thesmar, hielt und hält sehr besuchte Vorlesungen über das
französische Handelsgesetzbuch, und es sind uns ebenfalls Vorlesungen
über den avait! tlo commerc« und einzelne Materien unserer Nechts-
Jnstitutionen von Prof. Bauerband in Aussicht gestellt. Herr Bauer¬
band, früher einer der geachtetsten Advocaten unseres Apellhofes, wurde
im vorigen Jahre als Professor nach Bonn berufen, da bis dahin
an dieser Universität kein eigentlicher Lehrstuhl für französisches Recht
bestand. Seine Vorlesungen, in welchen er, reich an Erfahrungen,
auf die gediegenste Weise Theorie und Praxis zu vereinigen weiß,
sind dort außerordentlich besucht, und so darf er sich auch bei uns
ein sehr zahlreiches Auditorium versprechen, wenn er dem allgemeinen
Wunsche unserer jüngern Advocaten und der Kaufmannschaft nach¬
kommt. Außerdem sind auch noch Vorlesungen über Physiologie an¬
gekündigt, welche aber keinen besondern Anklang zu finden scheinen.
Was sonst in rein wissenschaftlicher Beziehung geschieht, ist nicht
weit her. Der von der Mehrzahl unserer Buchhändler gebildete Ver-


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[0380] nen Haken zu entdecken, mit dem sie sich an das practische Leben nesteln ließen, so würden sie bald Wurzel bei uns fassen. — Weil ihm das practische Element fehlt, er nur eine einseitige Richtung verfolgt, erfreut sich auch der hier entstandene katholische Leseverein keines son¬ derlichen Fortganges, wie viel man auch über den hier schaltenden und waltenden Ultramontanismus faselt. Wundern soll uns doch, mit was für Schriften der Borromeus-Verein dem verderbten Ge¬ schmacke eine andere Richtung geben, durch was für Mittel er die Menschen aus dem Sumpfe der Sinnlichkeit ziehen will. Wie fein unsere Leute aber auch zu calculiren verstehen, bei diesem Vereine dürften sie sich doch verrechnet haben: es lassen sich die Kölner und Rheinländer so kein X mehr für ein U machen. — Einen großen Fortschritt in der Bildung der Cölner haben wir in dem lebendigen Antheile begrüßt, den hier alle Anregungen finden, die politischen oder socialen Fragen gelten, und staunen muß man bei solchen Gelegen¬ heiten zuweilen über die gesunden Ansichten, welche schlichte Bürger entwickeln, über den Scharfsinn, mit welchem sie zu erwägen wissen, was uns Noth thut, über den Tact, mit dem sie die Gebrechen und Mängel der Zeit aufzufassen und zu beleuchten verstehen. Daß die Intelligenz hier auch zu ihrem vollsten Rechte kommen wird, geht auch noch daraus hervor, daß mehre unserer Kaufherren ihre Söhne, welche einem commerciellen oder industriellen Berufe bestimmt sind, ehe sie in's Geschäft treten, Universitäten besuchen lassen, um sich mit Geschichte, Politik, einigen practischen juristischen Zweigen zu beschäf¬ tigen. Diese Saaten werden ihre Früchte bringen, sie sind durch die Nothwendigkeit der Zeit bedingt. Wer hätte vor Jahren hier daran gedacht, wenn die Comtoirstunden geschlossen, noch irgend eine Vor¬ lesung zu hören? Jetzt ist auch das anders. Ein hiesiger Advocat, ol-. Thesmar, hielt und hält sehr besuchte Vorlesungen über das französische Handelsgesetzbuch, und es sind uns ebenfalls Vorlesungen über den avait! tlo commerc« und einzelne Materien unserer Nechts- Jnstitutionen von Prof. Bauerband in Aussicht gestellt. Herr Bauer¬ band, früher einer der geachtetsten Advocaten unseres Apellhofes, wurde im vorigen Jahre als Professor nach Bonn berufen, da bis dahin an dieser Universität kein eigentlicher Lehrstuhl für französisches Recht bestand. Seine Vorlesungen, in welchen er, reich an Erfahrungen, auf die gediegenste Weise Theorie und Praxis zu vereinigen weiß, sind dort außerordentlich besucht, und so darf er sich auch bei uns ein sehr zahlreiches Auditorium versprechen, wenn er dem allgemeinen Wunsche unserer jüngern Advocaten und der Kaufmannschaft nach¬ kommt. Außerdem sind auch noch Vorlesungen über Physiologie an¬ gekündigt, welche aber keinen besondern Anklang zu finden scheinen. Was sonst in rein wissenschaftlicher Beziehung geschieht, ist nicht weit her. Der von der Mehrzahl unserer Buchhändler gebildete Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/380>, abgerufen am 05.02.2025.