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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Symphonie die Lampen im Saale zum großen Theile aus; und unter
den Zuhörern ereigneten sich allerlei Sonderbarkeiten, Kurz, der Dä¬
mon der Mißstimmung spannte alle Saiten auf, um sich ganz un¬
widerstehlich zu machen. -- An dergleichen kleinen Leiden ist das Künst¬
lerleben reich. Nicht selten auch an großen. Herr Dobrcyuski, der
aus der Gegend von Warschau gebürtig ist -- er ist seiner ganzen,
auch musikalischen Bildung nach, Pole, Schüler des greisen Elsner,
dessen Unterricht er mit Chopin zugleich genoß -- ist in Bezug aus
seine Lebensaussichten, die man doch wol immer gern aufs Vaterland
stellt, gewissermaßen heimatlos gemacht: er hat sich in Warschau kei¬
ner Laufbahn zu versehen, man giebt nicht einmal seine Oper in sei¬
ner Vaterstadt. Warum ? Weil Herr Dobrcyuski in seinem Ks-ciur-
Sextett ein Paar patriotische Anspielungen gemacht hat -- der dritte
Satz ist z. B. genannt llttiniiii^e " l<o-z":i"87.K"i und auf ein Lieb¬
lingsthema des edeln Polen basirt. -- Ein musikalisches Staats¬
verbrechen!

Doch endlich noch einige Worte über die Compositionsart des
Herrn Dobrcyuski. Was ich von ihm gehört habe, hat mich, wie
ich schon sagte, so befriedigt und erfreut, daß ich über die Ursachen
des wohlthuenden Eindrucks, den es auf mich machte, wohl kaum re-
flectirt haben würde, wenn mich nicht Urtheile Anderer dazu getrieben
hatten. Die Themata des Herrn Dobrcyuski, hörte ich sagen, sind
ansprechend, gesangreich, aber -- nicht neu. Sonderbar! Sind es
denn Reminiscenzen? Nein. Was heißt das also: nicht neu? Es
heißt: nicht erschreckend, nicht aus der stillen Hingabe des Genusses
aufschüttelnd, nicht wunderlich, nicht grillenhaft. Das ist es aber ge¬
rade, was mir Dobrcynski's Compositionen lieb macht; seine Musik
ist Musik. Nichts, fordert die Empfindung zum Widerstand heraus,
nichts stachelt das Urtheil auf, den Gang der Empfindung zu unter¬
brechen; Alles ist klar, zusammenhangend, entwickelt sich wie von
selbst. Klarheit der Exposition, wie ich es nennen möchte, um
den lebendigen Zusammenhang des Ganzen zu bezeichnen, Klarheit
in der Gestaltung jedes Motivs, Klarheit in der Durchführung der
Themata, Klarheit, ganz ungewöhnliche Klarheit in der Jnstrumen¬
tation, die Dobrcyuski mit solcher Meisterschaft beherrscht, daß man
jedes Instrument in seiner eigensten Weise und aufs allervernchmlichste
glaubt sprechen zu hören. Gerade in unseren Tagen der maßlosen
Ueberreizung, des verzweiflungsvollen Jagens nach Originalität, nach
gewaltsamen Capricen, nach tollem Spuk in der Musik, sind das so
seltene Vorzüge, daß man sie mit besonderem Nachdruck hervorheben
muß, so sehr sie sich in der Kunst von selbst verstehen sollten. --
So wie Herr Dobrcyuski den Instrumenten immer nichts Anderes zu-
muthet, als was sie ihrem Character nach wirklich zu leisten vermö¬
gen, so setzt er, wie mir scheint, auch für die menschliche Stimme


Symphonie die Lampen im Saale zum großen Theile aus; und unter
den Zuhörern ereigneten sich allerlei Sonderbarkeiten, Kurz, der Dä¬
mon der Mißstimmung spannte alle Saiten auf, um sich ganz un¬
widerstehlich zu machen. — An dergleichen kleinen Leiden ist das Künst¬
lerleben reich. Nicht selten auch an großen. Herr Dobrcyuski, der
aus der Gegend von Warschau gebürtig ist — er ist seiner ganzen,
auch musikalischen Bildung nach, Pole, Schüler des greisen Elsner,
dessen Unterricht er mit Chopin zugleich genoß — ist in Bezug aus
seine Lebensaussichten, die man doch wol immer gern aufs Vaterland
stellt, gewissermaßen heimatlos gemacht: er hat sich in Warschau kei¬
ner Laufbahn zu versehen, man giebt nicht einmal seine Oper in sei¬
ner Vaterstadt. Warum ? Weil Herr Dobrcyuski in seinem Ks-ciur-
Sextett ein Paar patriotische Anspielungen gemacht hat — der dritte
Satz ist z. B. genannt llttiniiii^e » l<o-z«:i»87.K«i und auf ein Lieb¬
lingsthema des edeln Polen basirt. — Ein musikalisches Staats¬
verbrechen!

Doch endlich noch einige Worte über die Compositionsart des
Herrn Dobrcyuski. Was ich von ihm gehört habe, hat mich, wie
ich schon sagte, so befriedigt und erfreut, daß ich über die Ursachen
des wohlthuenden Eindrucks, den es auf mich machte, wohl kaum re-
flectirt haben würde, wenn mich nicht Urtheile Anderer dazu getrieben
hatten. Die Themata des Herrn Dobrcyuski, hörte ich sagen, sind
ansprechend, gesangreich, aber — nicht neu. Sonderbar! Sind es
denn Reminiscenzen? Nein. Was heißt das also: nicht neu? Es
heißt: nicht erschreckend, nicht aus der stillen Hingabe des Genusses
aufschüttelnd, nicht wunderlich, nicht grillenhaft. Das ist es aber ge¬
rade, was mir Dobrcynski's Compositionen lieb macht; seine Musik
ist Musik. Nichts, fordert die Empfindung zum Widerstand heraus,
nichts stachelt das Urtheil auf, den Gang der Empfindung zu unter¬
brechen; Alles ist klar, zusammenhangend, entwickelt sich wie von
selbst. Klarheit der Exposition, wie ich es nennen möchte, um
den lebendigen Zusammenhang des Ganzen zu bezeichnen, Klarheit
in der Gestaltung jedes Motivs, Klarheit in der Durchführung der
Themata, Klarheit, ganz ungewöhnliche Klarheit in der Jnstrumen¬
tation, die Dobrcyuski mit solcher Meisterschaft beherrscht, daß man
jedes Instrument in seiner eigensten Weise und aufs allervernchmlichste
glaubt sprechen zu hören. Gerade in unseren Tagen der maßlosen
Ueberreizung, des verzweiflungsvollen Jagens nach Originalität, nach
gewaltsamen Capricen, nach tollem Spuk in der Musik, sind das so
seltene Vorzüge, daß man sie mit besonderem Nachdruck hervorheben
muß, so sehr sie sich in der Kunst von selbst verstehen sollten. —
So wie Herr Dobrcyuski den Instrumenten immer nichts Anderes zu-
muthet, als was sie ihrem Character nach wirklich zu leisten vermö¬
gen, so setzt er, wie mir scheint, auch für die menschliche Stimme


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[0378] Symphonie die Lampen im Saale zum großen Theile aus; und unter den Zuhörern ereigneten sich allerlei Sonderbarkeiten, Kurz, der Dä¬ mon der Mißstimmung spannte alle Saiten auf, um sich ganz un¬ widerstehlich zu machen. — An dergleichen kleinen Leiden ist das Künst¬ lerleben reich. Nicht selten auch an großen. Herr Dobrcyuski, der aus der Gegend von Warschau gebürtig ist — er ist seiner ganzen, auch musikalischen Bildung nach, Pole, Schüler des greisen Elsner, dessen Unterricht er mit Chopin zugleich genoß — ist in Bezug aus seine Lebensaussichten, die man doch wol immer gern aufs Vaterland stellt, gewissermaßen heimatlos gemacht: er hat sich in Warschau kei¬ ner Laufbahn zu versehen, man giebt nicht einmal seine Oper in sei¬ ner Vaterstadt. Warum ? Weil Herr Dobrcyuski in seinem Ks-ciur- Sextett ein Paar patriotische Anspielungen gemacht hat — der dritte Satz ist z. B. genannt llttiniiii^e » l<o-z«:i»87.K«i und auf ein Lieb¬ lingsthema des edeln Polen basirt. — Ein musikalisches Staats¬ verbrechen! Doch endlich noch einige Worte über die Compositionsart des Herrn Dobrcyuski. Was ich von ihm gehört habe, hat mich, wie ich schon sagte, so befriedigt und erfreut, daß ich über die Ursachen des wohlthuenden Eindrucks, den es auf mich machte, wohl kaum re- flectirt haben würde, wenn mich nicht Urtheile Anderer dazu getrieben hatten. Die Themata des Herrn Dobrcyuski, hörte ich sagen, sind ansprechend, gesangreich, aber — nicht neu. Sonderbar! Sind es denn Reminiscenzen? Nein. Was heißt das also: nicht neu? Es heißt: nicht erschreckend, nicht aus der stillen Hingabe des Genusses aufschüttelnd, nicht wunderlich, nicht grillenhaft. Das ist es aber ge¬ rade, was mir Dobrcynski's Compositionen lieb macht; seine Musik ist Musik. Nichts, fordert die Empfindung zum Widerstand heraus, nichts stachelt das Urtheil auf, den Gang der Empfindung zu unter¬ brechen; Alles ist klar, zusammenhangend, entwickelt sich wie von selbst. Klarheit der Exposition, wie ich es nennen möchte, um den lebendigen Zusammenhang des Ganzen zu bezeichnen, Klarheit in der Gestaltung jedes Motivs, Klarheit in der Durchführung der Themata, Klarheit, ganz ungewöhnliche Klarheit in der Jnstrumen¬ tation, die Dobrcyuski mit solcher Meisterschaft beherrscht, daß man jedes Instrument in seiner eigensten Weise und aufs allervernchmlichste glaubt sprechen zu hören. Gerade in unseren Tagen der maßlosen Ueberreizung, des verzweiflungsvollen Jagens nach Originalität, nach gewaltsamen Capricen, nach tollem Spuk in der Musik, sind das so seltene Vorzüge, daß man sie mit besonderem Nachdruck hervorheben muß, so sehr sie sich in der Kunst von selbst verstehen sollten. — So wie Herr Dobrcyuski den Instrumenten immer nichts Anderes zu- muthet, als was sie ihrem Character nach wirklich zu leisten vermö¬ gen, so setzt er, wie mir scheint, auch für die menschliche Stimme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/378>, abgerufen am 05.02.2025.