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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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warum noch kein Werk Mosers auf dem Burgtheater zur Darstel¬
lung gelangte. Won Bcnedix weiß man, daß der jetzige Chef des Hofburg¬
theaters, Gras Dietrichstein, dem etwas derben Ton in seinen Lustspielen
abhold ist und denselben unter der Würde dieser Kunstanstalt hält. Wahr¬
scheinlich will Benedix persönlich Vorstellungen machen, da es ihm bei dem
Beifall, den seine Stücke hierwärts finden, nicht gleichgiltig sein kann, sich
die erste Bühne Deutschlands verschlossen zu sehen. Von Lewald wird
in der Wallishäuser'schen Buchhandlung eine "Geschichte des deutschen
Theaters" erscheinen und es ist wahrscheinlich diese literarische Ange¬
legenheit, welche den Redacteur der Europa in nicht gar langer Frist
nach Wien führen wird.


III.
Aus Leipzig.

Des ensors Tod. -- Wahlbewegungen. -- Felix Dobrcynski. -- Leipziger
Selbstgefühl und Leipziger Köstlichkeit. -- Höchste Cultur. -- Kunstkennerci
und Kennermvstisicarion. -- Quartett-Soireen. -- Indisches in der Musik. --
Das "Steiniget'" der Anbeter. -- Colossaler Patriotismus. -- Das Concert
der Euterpe. -- Musikalisches Staatsverbrechen. --
Dobrcynski's Kompositionen.

Unser Censor ist gestorben. Die Censur lebt noch. I^v i>>i
"se ani't, -- vivo Ilz loi! Welch ein Ereigniß für die Presse,
wenn ein Censor stirbt! Der Mann, von dem das Wohl und
Weh unserer lebenslustigen Gedanken abhängt. Uncensirte Völker,
Franzosen, Engländer -- sie sind bedauernswert!); sie haben keine
Vorstellung von diesem wehmüthigen Gefühle des Scheidens nach so
innigen Geistesbezügen, so hingegebenem Lauschen auf die geheimsten
Meinungen, Absichten, Stimmungen beiderseits, so gleichsam einer
Ehe mit ihrem Sonnenschein und Regen -- und sodann von diesem
bangen Blick in die, ungewisse Zukunft, diesen schaurigen Ahnungen
schwererer Schickung und noch ungeborner Schmerzen; sie sind um ei¬
nen Genuß, den Genuß einer in das tiefste Leben greifenden Pein
armer. Das ist nichts -- schreiben können, was mir in den Sinn
kommt, auf dem glatten Meere der Preßfreiheit hinsteuern, lustfahren
rechts und links, mir jedem Winde, -- aber so, zwischen Scylla und
Charvbdis, zwischen dem Censor und etwa seinem Stellvertreter hindurch
das Schifflein zu retten -- nun ja, mit Verlust von sechs kampf¬
rüstigen Achäern, sechs unsterblichen Gedanken! --

Unser Leipzig ist in großer Bewegung. Die Stadtverordneten¬
wahl ist diesesmal ein Ereigniß. Im Tageblatte haben ungenannte
Patrioten Stimmzettel, in den Nummern der Wahlliste abgefaßt,
drucken lassen, um auf diese Weise den guten Bürgern Vorschlage
zu liberalen Wahlen zu machen. Gegen dieses, man sollte denken,
sehr nahe liegende und äußerst unverfängliche Manöver haben sich im


warum noch kein Werk Mosers auf dem Burgtheater zur Darstel¬
lung gelangte. Won Bcnedix weiß man, daß der jetzige Chef des Hofburg¬
theaters, Gras Dietrichstein, dem etwas derben Ton in seinen Lustspielen
abhold ist und denselben unter der Würde dieser Kunstanstalt hält. Wahr¬
scheinlich will Benedix persönlich Vorstellungen machen, da es ihm bei dem
Beifall, den seine Stücke hierwärts finden, nicht gleichgiltig sein kann, sich
die erste Bühne Deutschlands verschlossen zu sehen. Von Lewald wird
in der Wallishäuser'schen Buchhandlung eine „Geschichte des deutschen
Theaters" erscheinen und es ist wahrscheinlich diese literarische Ange¬
legenheit, welche den Redacteur der Europa in nicht gar langer Frist
nach Wien führen wird.


III.
Aus Leipzig.

Des ensors Tod. — Wahlbewegungen. — Felix Dobrcynski. — Leipziger
Selbstgefühl und Leipziger Köstlichkeit. — Höchste Cultur. — Kunstkennerci
und Kennermvstisicarion. — Quartett-Soireen. — Indisches in der Musik. —
Das „Steiniget'" der Anbeter. — Colossaler Patriotismus. — Das Concert
der Euterpe. — Musikalisches Staatsverbrechen. —
Dobrcynski's Kompositionen.

Unser Censor ist gestorben. Die Censur lebt noch. I^v i>>i
«se ani't, — vivo Ilz loi! Welch ein Ereigniß für die Presse,
wenn ein Censor stirbt! Der Mann, von dem das Wohl und
Weh unserer lebenslustigen Gedanken abhängt. Uncensirte Völker,
Franzosen, Engländer — sie sind bedauernswert!); sie haben keine
Vorstellung von diesem wehmüthigen Gefühle des Scheidens nach so
innigen Geistesbezügen, so hingegebenem Lauschen auf die geheimsten
Meinungen, Absichten, Stimmungen beiderseits, so gleichsam einer
Ehe mit ihrem Sonnenschein und Regen — und sodann von diesem
bangen Blick in die, ungewisse Zukunft, diesen schaurigen Ahnungen
schwererer Schickung und noch ungeborner Schmerzen; sie sind um ei¬
nen Genuß, den Genuß einer in das tiefste Leben greifenden Pein
armer. Das ist nichts — schreiben können, was mir in den Sinn
kommt, auf dem glatten Meere der Preßfreiheit hinsteuern, lustfahren
rechts und links, mir jedem Winde, — aber so, zwischen Scylla und
Charvbdis, zwischen dem Censor und etwa seinem Stellvertreter hindurch
das Schifflein zu retten — nun ja, mit Verlust von sechs kampf¬
rüstigen Achäern, sechs unsterblichen Gedanken! —

Unser Leipzig ist in großer Bewegung. Die Stadtverordneten¬
wahl ist diesesmal ein Ereigniß. Im Tageblatte haben ungenannte
Patrioten Stimmzettel, in den Nummern der Wahlliste abgefaßt,
drucken lassen, um auf diese Weise den guten Bürgern Vorschlage
zu liberalen Wahlen zu machen. Gegen dieses, man sollte denken,
sehr nahe liegende und äußerst unverfängliche Manöver haben sich im


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[0372] warum noch kein Werk Mosers auf dem Burgtheater zur Darstel¬ lung gelangte. Won Bcnedix weiß man, daß der jetzige Chef des Hofburg¬ theaters, Gras Dietrichstein, dem etwas derben Ton in seinen Lustspielen abhold ist und denselben unter der Würde dieser Kunstanstalt hält. Wahr¬ scheinlich will Benedix persönlich Vorstellungen machen, da es ihm bei dem Beifall, den seine Stücke hierwärts finden, nicht gleichgiltig sein kann, sich die erste Bühne Deutschlands verschlossen zu sehen. Von Lewald wird in der Wallishäuser'schen Buchhandlung eine „Geschichte des deutschen Theaters" erscheinen und es ist wahrscheinlich diese literarische Ange¬ legenheit, welche den Redacteur der Europa in nicht gar langer Frist nach Wien führen wird. III. Aus Leipzig. Des ensors Tod. — Wahlbewegungen. — Felix Dobrcynski. — Leipziger Selbstgefühl und Leipziger Köstlichkeit. — Höchste Cultur. — Kunstkennerci und Kennermvstisicarion. — Quartett-Soireen. — Indisches in der Musik. — Das „Steiniget'" der Anbeter. — Colossaler Patriotismus. — Das Concert der Euterpe. — Musikalisches Staatsverbrechen. — Dobrcynski's Kompositionen. Unser Censor ist gestorben. Die Censur lebt noch. I^v i>>i «se ani't, — vivo Ilz loi! Welch ein Ereigniß für die Presse, wenn ein Censor stirbt! Der Mann, von dem das Wohl und Weh unserer lebenslustigen Gedanken abhängt. Uncensirte Völker, Franzosen, Engländer — sie sind bedauernswert!); sie haben keine Vorstellung von diesem wehmüthigen Gefühle des Scheidens nach so innigen Geistesbezügen, so hingegebenem Lauschen auf die geheimsten Meinungen, Absichten, Stimmungen beiderseits, so gleichsam einer Ehe mit ihrem Sonnenschein und Regen — und sodann von diesem bangen Blick in die, ungewisse Zukunft, diesen schaurigen Ahnungen schwererer Schickung und noch ungeborner Schmerzen; sie sind um ei¬ nen Genuß, den Genuß einer in das tiefste Leben greifenden Pein armer. Das ist nichts — schreiben können, was mir in den Sinn kommt, auf dem glatten Meere der Preßfreiheit hinsteuern, lustfahren rechts und links, mir jedem Winde, — aber so, zwischen Scylla und Charvbdis, zwischen dem Censor und etwa seinem Stellvertreter hindurch das Schifflein zu retten — nun ja, mit Verlust von sechs kampf¬ rüstigen Achäern, sechs unsterblichen Gedanken! — Unser Leipzig ist in großer Bewegung. Die Stadtverordneten¬ wahl ist diesesmal ein Ereigniß. Im Tageblatte haben ungenannte Patrioten Stimmzettel, in den Nummern der Wahlliste abgefaßt, drucken lassen, um auf diese Weise den guten Bürgern Vorschlage zu liberalen Wahlen zu machen. Gegen dieses, man sollte denken, sehr nahe liegende und äußerst unverfängliche Manöver haben sich im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/372>, abgerufen am 05.02.2025.