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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Ende einer jeden Leiter ist ein Brettchen angebracht, auf welchem sie
steht. Doch darf man sich hier keine Ruhe gönnen. Durch ein
Loch steigt man sogleich zur nächsten Leiter und so immer tiefer und
tiefer und tiefer. In den untersten Tiefen hören selbst die Leitern
auf und werden durch Balken ersetzt, an denen man mehr hinunter¬
rutscht als klettert. Am Ende mancher Leitern öffnen sich die Gange,
die nach allen Seiten hin. in den Berg auslaufen. Bei jedem die¬
ser Gänge verließen uns einzelne Bergleute, die sich in ihren Tiefen
verloren, um an den ihnen angewiesenen Punkten an die Arbeit zu
gehen. Um sich von der Beschaffenheit der Annengmbe einen Be¬
griff zu machen, muß man sich einen ungeheuren, riesigen Baum¬
stamm vorstellen, dessen monströse Zweige (die Berggänge) nach al¬
len Seiten der Windrose auslaufen.

Bei einem solchen Gange machte mein Führer Halt. Bis Hie¬
her, sagte er, kam vor einigen Monaten eine Dame aus Prag. So
kühn war noch keine, so weit ist noch keine Dame in unserem Schachte
vorgedrungen; gewöhnlich ergreift sie schon bei der zweiten Leiter ein
unbesiegbares Grauen und sie fliehen zurück aus Tageslicht. Wir
gingen nun statt in die Tiefe auf ebenem Boden in die Breite.
Von den schwarzen Wänden tropften unaufhörlich einzelne Tropfen,
die mit dem dumpfen Klopfen, das man aus der Ferne hörte, mit
dem leisen Echo, daS hier und dort wiederhallte, eine sonderbare,
einschläfernde Melodie bildeten, ohne doch die tiefe Ruhe zu unter¬
brechen. Nur manchmal wälzte sich aus der Tiefe herauf ein ge¬
dämpfter Donner, wenn eben vermittelst einer Erplosion ein Felsen
gesprengt wurde. Unsere Tritte gaben auf dem feuchten Boden kei¬
nen Schall, und mir war, als ob wir Beide wie zwei Todte hin¬
wandelten, geräuschlos wie die Schatten der Nacht. Wir stiegen
wieder in die Tiefe und besuchten noch andere Gänge. Ost kamen
wir an Stellen, wo sich ein langer, hellglänzender Silberstreifen an
der dunklen Wand durch die Dämmerung hinzog, bis er sich im Ge¬
steine verlor. Hin und wieder leuchtete eine einzelne Med^llstufe
aus dem Gesteine hervor, wie magisch schimmernde Gnomcnaugen.

An den Wänden hingen einzeln zerstreut die Bergknappen und
hämmerten unverdrossen, ungestört, mit ernsten Gesichtern fort und
rollten Stein auf Stein auf den Boden. Das Grubenlicht hing
vor ihnen an der Felsenwand und machte ihr Gesicht, das fern von


Ende einer jeden Leiter ist ein Brettchen angebracht, auf welchem sie
steht. Doch darf man sich hier keine Ruhe gönnen. Durch ein
Loch steigt man sogleich zur nächsten Leiter und so immer tiefer und
tiefer und tiefer. In den untersten Tiefen hören selbst die Leitern
auf und werden durch Balken ersetzt, an denen man mehr hinunter¬
rutscht als klettert. Am Ende mancher Leitern öffnen sich die Gange,
die nach allen Seiten hin. in den Berg auslaufen. Bei jedem die¬
ser Gänge verließen uns einzelne Bergleute, die sich in ihren Tiefen
verloren, um an den ihnen angewiesenen Punkten an die Arbeit zu
gehen. Um sich von der Beschaffenheit der Annengmbe einen Be¬
griff zu machen, muß man sich einen ungeheuren, riesigen Baum¬
stamm vorstellen, dessen monströse Zweige (die Berggänge) nach al¬
len Seiten der Windrose auslaufen.

Bei einem solchen Gange machte mein Führer Halt. Bis Hie¬
her, sagte er, kam vor einigen Monaten eine Dame aus Prag. So
kühn war noch keine, so weit ist noch keine Dame in unserem Schachte
vorgedrungen; gewöhnlich ergreift sie schon bei der zweiten Leiter ein
unbesiegbares Grauen und sie fliehen zurück aus Tageslicht. Wir
gingen nun statt in die Tiefe auf ebenem Boden in die Breite.
Von den schwarzen Wänden tropften unaufhörlich einzelne Tropfen,
die mit dem dumpfen Klopfen, das man aus der Ferne hörte, mit
dem leisen Echo, daS hier und dort wiederhallte, eine sonderbare,
einschläfernde Melodie bildeten, ohne doch die tiefe Ruhe zu unter¬
brechen. Nur manchmal wälzte sich aus der Tiefe herauf ein ge¬
dämpfter Donner, wenn eben vermittelst einer Erplosion ein Felsen
gesprengt wurde. Unsere Tritte gaben auf dem feuchten Boden kei¬
nen Schall, und mir war, als ob wir Beide wie zwei Todte hin¬
wandelten, geräuschlos wie die Schatten der Nacht. Wir stiegen
wieder in die Tiefe und besuchten noch andere Gänge. Ost kamen
wir an Stellen, wo sich ein langer, hellglänzender Silberstreifen an
der dunklen Wand durch die Dämmerung hinzog, bis er sich im Ge¬
steine verlor. Hin und wieder leuchtete eine einzelne Med^llstufe
aus dem Gesteine hervor, wie magisch schimmernde Gnomcnaugen.

An den Wänden hingen einzeln zerstreut die Bergknappen und
hämmerten unverdrossen, ungestört, mit ernsten Gesichtern fort und
rollten Stein auf Stein auf den Boden. Das Grubenlicht hing
vor ihnen an der Felsenwand und machte ihr Gesicht, das fern von


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[0360] Ende einer jeden Leiter ist ein Brettchen angebracht, auf welchem sie steht. Doch darf man sich hier keine Ruhe gönnen. Durch ein Loch steigt man sogleich zur nächsten Leiter und so immer tiefer und tiefer und tiefer. In den untersten Tiefen hören selbst die Leitern auf und werden durch Balken ersetzt, an denen man mehr hinunter¬ rutscht als klettert. Am Ende mancher Leitern öffnen sich die Gange, die nach allen Seiten hin. in den Berg auslaufen. Bei jedem die¬ ser Gänge verließen uns einzelne Bergleute, die sich in ihren Tiefen verloren, um an den ihnen angewiesenen Punkten an die Arbeit zu gehen. Um sich von der Beschaffenheit der Annengmbe einen Be¬ griff zu machen, muß man sich einen ungeheuren, riesigen Baum¬ stamm vorstellen, dessen monströse Zweige (die Berggänge) nach al¬ len Seiten der Windrose auslaufen. Bei einem solchen Gange machte mein Führer Halt. Bis Hie¬ her, sagte er, kam vor einigen Monaten eine Dame aus Prag. So kühn war noch keine, so weit ist noch keine Dame in unserem Schachte vorgedrungen; gewöhnlich ergreift sie schon bei der zweiten Leiter ein unbesiegbares Grauen und sie fliehen zurück aus Tageslicht. Wir gingen nun statt in die Tiefe auf ebenem Boden in die Breite. Von den schwarzen Wänden tropften unaufhörlich einzelne Tropfen, die mit dem dumpfen Klopfen, das man aus der Ferne hörte, mit dem leisen Echo, daS hier und dort wiederhallte, eine sonderbare, einschläfernde Melodie bildeten, ohne doch die tiefe Ruhe zu unter¬ brechen. Nur manchmal wälzte sich aus der Tiefe herauf ein ge¬ dämpfter Donner, wenn eben vermittelst einer Erplosion ein Felsen gesprengt wurde. Unsere Tritte gaben auf dem feuchten Boden kei¬ nen Schall, und mir war, als ob wir Beide wie zwei Todte hin¬ wandelten, geräuschlos wie die Schatten der Nacht. Wir stiegen wieder in die Tiefe und besuchten noch andere Gänge. Ost kamen wir an Stellen, wo sich ein langer, hellglänzender Silberstreifen an der dunklen Wand durch die Dämmerung hinzog, bis er sich im Ge¬ steine verlor. Hin und wieder leuchtete eine einzelne Med^llstufe aus dem Gesteine hervor, wie magisch schimmernde Gnomcnaugen. An den Wänden hingen einzeln zerstreut die Bergknappen und hämmerten unverdrossen, ungestört, mit ernsten Gesichtern fort und rollten Stein auf Stein auf den Boden. Das Grubenlicht hing vor ihnen an der Felsenwand und machte ihr Gesicht, das fern von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/360>, abgerufen am 05.02.2025.