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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Das Beethovenfest in Bonn.
Rückblicke,
von C. L. B. Wolff.



I.

-- Sie wundern sich, Verehrtester Freund, nirgends eine über¬
sichtliche Darstellung der Ereignisse in Bonn gefunden zu haben, son¬
dern nur Notizen oder Berichte, in denen der Verfasser mehr ver¬
schweigt als sagt und es dem Leser anheimstellt, den Raum zwischen
den Zeilen mit seinen eigenen Gedanken auszufüllen, und verlangen
von mir Zusammenhängendes darüber. Das setzt mich in Verlegenheit:
abschlagen darf und kann ich es Ihnen nicht und mit rechter Freudig¬
keit gehe ich nicht daran. Denn die Erinnerung an jene schönen
Tage ist wenigstens in meiner Seele nicht ohne bitteren Beigeschmack.
Was den Geist erheben und beseelen sollte dort, das ist ihm, wenn
man nur einigermaßen gerecht sein will, auch in vollem Maaße zu
Theil geworden; aber das Herz, und namentlich das Herz eines
Deutschen, mußte sich verletzt fühlen, denn der Verherrlichung deut¬
schen Genies, dem zu huldigen fast alle gebildeten Nationen Ab¬
geordnete sandten, die freudig und glühend zur Weihefcier kamen
und welche die Grundidee des ganzen Festes war, mischte sich so viel
kleinliches, deutsches -- leider allzu deutsches -- Spießbürgertum bei
und legte sich wie ein Schleier über alle Erscheinungen, daß es eines
eben so gesunden als geübten Auges bedürfte, um durch denselben
noch das Große und Schöne zu erkennen und eines nur dem Edeln
und Großen zugewandten Genusses, um sich nicht irren und verstim¬
men, ja nicht erzürnen zu lassen. Mit freudiger Empfindung ist wohl
Niemand von Bonn geschieden; ich habe die Mäßigung und das


Das Beethovenfest in Bonn.
Rückblicke,
von C. L. B. Wolff.



I.

— Sie wundern sich, Verehrtester Freund, nirgends eine über¬
sichtliche Darstellung der Ereignisse in Bonn gefunden zu haben, son¬
dern nur Notizen oder Berichte, in denen der Verfasser mehr ver¬
schweigt als sagt und es dem Leser anheimstellt, den Raum zwischen
den Zeilen mit seinen eigenen Gedanken auszufüllen, und verlangen
von mir Zusammenhängendes darüber. Das setzt mich in Verlegenheit:
abschlagen darf und kann ich es Ihnen nicht und mit rechter Freudig¬
keit gehe ich nicht daran. Denn die Erinnerung an jene schönen
Tage ist wenigstens in meiner Seele nicht ohne bitteren Beigeschmack.
Was den Geist erheben und beseelen sollte dort, das ist ihm, wenn
man nur einigermaßen gerecht sein will, auch in vollem Maaße zu
Theil geworden; aber das Herz, und namentlich das Herz eines
Deutschen, mußte sich verletzt fühlen, denn der Verherrlichung deut¬
schen Genies, dem zu huldigen fast alle gebildeten Nationen Ab¬
geordnete sandten, die freudig und glühend zur Weihefcier kamen
und welche die Grundidee des ganzen Festes war, mischte sich so viel
kleinliches, deutsches — leider allzu deutsches — Spießbürgertum bei
und legte sich wie ein Schleier über alle Erscheinungen, daß es eines
eben so gesunden als geübten Auges bedürfte, um durch denselben
noch das Große und Schöne zu erkennen und eines nur dem Edeln
und Großen zugewandten Genusses, um sich nicht irren und verstim¬
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[0036] Das Beethovenfest in Bonn. Rückblicke, von C. L. B. Wolff. I. — Sie wundern sich, Verehrtester Freund, nirgends eine über¬ sichtliche Darstellung der Ereignisse in Bonn gefunden zu haben, son¬ dern nur Notizen oder Berichte, in denen der Verfasser mehr ver¬ schweigt als sagt und es dem Leser anheimstellt, den Raum zwischen den Zeilen mit seinen eigenen Gedanken auszufüllen, und verlangen von mir Zusammenhängendes darüber. Das setzt mich in Verlegenheit: abschlagen darf und kann ich es Ihnen nicht und mit rechter Freudig¬ keit gehe ich nicht daran. Denn die Erinnerung an jene schönen Tage ist wenigstens in meiner Seele nicht ohne bitteren Beigeschmack. Was den Geist erheben und beseelen sollte dort, das ist ihm, wenn man nur einigermaßen gerecht sein will, auch in vollem Maaße zu Theil geworden; aber das Herz, und namentlich das Herz eines Deutschen, mußte sich verletzt fühlen, denn der Verherrlichung deut¬ schen Genies, dem zu huldigen fast alle gebildeten Nationen Ab¬ geordnete sandten, die freudig und glühend zur Weihefcier kamen und welche die Grundidee des ganzen Festes war, mischte sich so viel kleinliches, deutsches — leider allzu deutsches — Spießbürgertum bei und legte sich wie ein Schleier über alle Erscheinungen, daß es eines eben so gesunden als geübten Auges bedürfte, um durch denselben noch das Große und Schöne zu erkennen und eines nur dem Edeln und Großen zugewandten Genusses, um sich nicht irren und verstim¬ men, ja nicht erzürnen zu lassen. Mit freudiger Empfindung ist wohl Niemand von Bonn geschieden; ich habe die Mäßigung und das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/36>, abgerufen am 05.02.2025.