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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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vorigen Jahrhunderte darnieder, und nur dem Eifer einiger Berg-
rathe dankt es die österreichische Regierung, daß man an Przibram
jetzt eine der ergiebigsten Schatzkammern der österreichischen Monar¬
chie besitzt.




Zwölf weibliche Arme, nämlich die sämmtlichen Arme der sechs
Schwestern meines Freundes, hielten mich zurück, als ich mich des
Morgens um fünf Uhr aufmachen wollte, um der heiligen Anna zu¬
zusteuern. Sie weinten und klagten und jede einzelne erzählte mir
so schnell als möglich von hundert Unglücksfällen, die wirklich schon
geschehen waren, oder alle Tage geschehen sollten oder wenigstens
könnten. Eine alte Hausmagd, die danebenstand, sagte kaltblütig
zu den Schwestern: Lassen Sie ihn nur gehen! Wen'S einmal er¬
griffen hat da hinunterzusteigen, der geht doch und ist immer ver¬
loren. Ist's nicht heute, ist's doch morgen! Eine Scholle Aufmun¬
terung zu einer für den Laien wirklich halsbrecherischen Fahrt! Doch
sollte eS noch besser kommen. Ich war den Bergleuten im Se.
Annen-Schachte schon angekündigt, riß mich also muthig aus den
zwölf Armen los und eilte über Wiesen und Felder nach dem Bir¬
kenberge, von dessen Höhe man in den Annenschacht steigt, um nicht
die zur Einfahrt festgesetzte sechste Morgenstunde zu versäumen. Ich
kam an. Eine große hölzerne Scheune erhebt sich über der Grube
der heiligen Anna, in welcher es rasselte, schwirrte, rauschte, summte,
brauste, alles wie in einem ängstlichen Traume wirr durch einander.
Nur Einen, wahrhaftig nicht leichtsinnigen Blick warf ich der fin¬
steren Heiligen zu und trat in die anstoßende Stube. Eine Schaar
von Bergknappen war schon versammelt. Sie bereiteten ihr Gru-
benlicht und die zum Felsensprengen nöthigen Instrumente. Ein Berg¬
knappe kam mir entgegen und bewillkommte mich. Ich zeigte ihm
meine Karte und sogleich brachte er ein ganzes BergmannScostüm:
eine schwarze leinene Hose, einen hübschen faltenreichen Kittel mit
gezackten Epaulets vom selben Stoffe und derselben Farbe, ein Fell,
das einwärts angehängt und vorn mit einem kaiserlichen Adler an¬
geschnallt wird, und eine grüne, dicke, niedere Filzkappe ohne Krempe.
In zwei Minuten war ich in einen vollständigen Bergknappen ver¬
wandelt, daß es einem sehr geübten Auge schwer gefallen wäre, den
cimdulatum ptiilosontüit" et libvrarum artium von meinen jetzigen


vorigen Jahrhunderte darnieder, und nur dem Eifer einiger Berg-
rathe dankt es die österreichische Regierung, daß man an Przibram
jetzt eine der ergiebigsten Schatzkammern der österreichischen Monar¬
chie besitzt.




Zwölf weibliche Arme, nämlich die sämmtlichen Arme der sechs
Schwestern meines Freundes, hielten mich zurück, als ich mich des
Morgens um fünf Uhr aufmachen wollte, um der heiligen Anna zu¬
zusteuern. Sie weinten und klagten und jede einzelne erzählte mir
so schnell als möglich von hundert Unglücksfällen, die wirklich schon
geschehen waren, oder alle Tage geschehen sollten oder wenigstens
könnten. Eine alte Hausmagd, die danebenstand, sagte kaltblütig
zu den Schwestern: Lassen Sie ihn nur gehen! Wen'S einmal er¬
griffen hat da hinunterzusteigen, der geht doch und ist immer ver¬
loren. Ist's nicht heute, ist's doch morgen! Eine Scholle Aufmun¬
terung zu einer für den Laien wirklich halsbrecherischen Fahrt! Doch
sollte eS noch besser kommen. Ich war den Bergleuten im Se.
Annen-Schachte schon angekündigt, riß mich also muthig aus den
zwölf Armen los und eilte über Wiesen und Felder nach dem Bir¬
kenberge, von dessen Höhe man in den Annenschacht steigt, um nicht
die zur Einfahrt festgesetzte sechste Morgenstunde zu versäumen. Ich
kam an. Eine große hölzerne Scheune erhebt sich über der Grube
der heiligen Anna, in welcher es rasselte, schwirrte, rauschte, summte,
brauste, alles wie in einem ängstlichen Traume wirr durch einander.
Nur Einen, wahrhaftig nicht leichtsinnigen Blick warf ich der fin¬
steren Heiligen zu und trat in die anstoßende Stube. Eine Schaar
von Bergknappen war schon versammelt. Sie bereiteten ihr Gru-
benlicht und die zum Felsensprengen nöthigen Instrumente. Ein Berg¬
knappe kam mir entgegen und bewillkommte mich. Ich zeigte ihm
meine Karte und sogleich brachte er ein ganzes BergmannScostüm:
eine schwarze leinene Hose, einen hübschen faltenreichen Kittel mit
gezackten Epaulets vom selben Stoffe und derselben Farbe, ein Fell,
das einwärts angehängt und vorn mit einem kaiserlichen Adler an¬
geschnallt wird, und eine grüne, dicke, niedere Filzkappe ohne Krempe.
In zwei Minuten war ich in einen vollständigen Bergknappen ver¬
wandelt, daß es einem sehr geübten Auge schwer gefallen wäre, den
cimdulatum ptiilosontüit« et libvrarum artium von meinen jetzigen


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[0358] vorigen Jahrhunderte darnieder, und nur dem Eifer einiger Berg- rathe dankt es die österreichische Regierung, daß man an Przibram jetzt eine der ergiebigsten Schatzkammern der österreichischen Monar¬ chie besitzt. Zwölf weibliche Arme, nämlich die sämmtlichen Arme der sechs Schwestern meines Freundes, hielten mich zurück, als ich mich des Morgens um fünf Uhr aufmachen wollte, um der heiligen Anna zu¬ zusteuern. Sie weinten und klagten und jede einzelne erzählte mir so schnell als möglich von hundert Unglücksfällen, die wirklich schon geschehen waren, oder alle Tage geschehen sollten oder wenigstens könnten. Eine alte Hausmagd, die danebenstand, sagte kaltblütig zu den Schwestern: Lassen Sie ihn nur gehen! Wen'S einmal er¬ griffen hat da hinunterzusteigen, der geht doch und ist immer ver¬ loren. Ist's nicht heute, ist's doch morgen! Eine Scholle Aufmun¬ terung zu einer für den Laien wirklich halsbrecherischen Fahrt! Doch sollte eS noch besser kommen. Ich war den Bergleuten im Se. Annen-Schachte schon angekündigt, riß mich also muthig aus den zwölf Armen los und eilte über Wiesen und Felder nach dem Bir¬ kenberge, von dessen Höhe man in den Annenschacht steigt, um nicht die zur Einfahrt festgesetzte sechste Morgenstunde zu versäumen. Ich kam an. Eine große hölzerne Scheune erhebt sich über der Grube der heiligen Anna, in welcher es rasselte, schwirrte, rauschte, summte, brauste, alles wie in einem ängstlichen Traume wirr durch einander. Nur Einen, wahrhaftig nicht leichtsinnigen Blick warf ich der fin¬ steren Heiligen zu und trat in die anstoßende Stube. Eine Schaar von Bergknappen war schon versammelt. Sie bereiteten ihr Gru- benlicht und die zum Felsensprengen nöthigen Instrumente. Ein Berg¬ knappe kam mir entgegen und bewillkommte mich. Ich zeigte ihm meine Karte und sogleich brachte er ein ganzes BergmannScostüm: eine schwarze leinene Hose, einen hübschen faltenreichen Kittel mit gezackten Epaulets vom selben Stoffe und derselben Farbe, ein Fell, das einwärts angehängt und vorn mit einem kaiserlichen Adler an¬ geschnallt wird, und eine grüne, dicke, niedere Filzkappe ohne Krempe. In zwei Minuten war ich in einen vollständigen Bergknappen ver¬ wandelt, daß es einem sehr geübten Auge schwer gefallen wäre, den cimdulatum ptiilosontüit« et libvrarum artium von meinen jetzigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/358>, abgerufen am 05.02.2025.