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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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droht sah, brach er sein Schweige" um seinem Haß gegen die trium-
phirende Demokratie Luft zu machen; er sprach Perier's Leichenrede,
und wagte es, ihn an seinem Grabe vorzüglich deshalb zu loben,
weil er die Juli-Revolution weder gewünscht, noch herbeigeführt
habe. Bei der Discussion der September-Gesetze vertheidigte er noch
zum letzten Male die Presse, die er der Reihe nach angegriffen und
vertheidigt hatte.

Seitdem erschien er nicht mehr aus der Tribüne, er ging sast
absichtlos in die Kammer durch eine Gewohnheit von fünfundzwan^
zig Jahren dort hinzezogen, er murmelte dort wohl, aber er sprach
nicht mehr. Die heutige Politik und Literatur, die jetzigen Men¬
schen und Zustände, Alles dies schmolz für ihn in ein einziges Ge¬
fühl zusammen, in das der vollständigsten Verachtung. Die jetzige
Generation bezahlte ihm seine Verachtung mit Vergessenheit, und er
tröstete sich über diese Vergessenheit, indem er gleichzeitig auf seine
Freunde, seine Bewunderer, seine Feinde und das Publikum, wel¬
ches sich nicht darum kümmerte, stichelte; denn es war einer von den
eigenthümlichsten Zügen dieser historischen Gestalt mit dem feierlich¬
sten Ernst die beißendste Ironie zu vereinigen.




4*

droht sah, brach er sein Schweige« um seinem Haß gegen die trium-
phirende Demokratie Luft zu machen; er sprach Perier's Leichenrede,
und wagte es, ihn an seinem Grabe vorzüglich deshalb zu loben,
weil er die Juli-Revolution weder gewünscht, noch herbeigeführt
habe. Bei der Discussion der September-Gesetze vertheidigte er noch
zum letzten Male die Presse, die er der Reihe nach angegriffen und
vertheidigt hatte.

Seitdem erschien er nicht mehr aus der Tribüne, er ging sast
absichtlos in die Kammer durch eine Gewohnheit von fünfundzwan^
zig Jahren dort hinzezogen, er murmelte dort wohl, aber er sprach
nicht mehr. Die heutige Politik und Literatur, die jetzigen Men¬
schen und Zustände, Alles dies schmolz für ihn in ein einziges Ge¬
fühl zusammen, in das der vollständigsten Verachtung. Die jetzige
Generation bezahlte ihm seine Verachtung mit Vergessenheit, und er
tröstete sich über diese Vergessenheit, indem er gleichzeitig auf seine
Freunde, seine Bewunderer, seine Feinde und das Publikum, wel¬
ches sich nicht darum kümmerte, stichelte; denn es war einer von den
eigenthümlichsten Zügen dieser historischen Gestalt mit dem feierlich¬
sten Ernst die beißendste Ironie zu vereinigen.




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[0035] droht sah, brach er sein Schweige« um seinem Haß gegen die trium- phirende Demokratie Luft zu machen; er sprach Perier's Leichenrede, und wagte es, ihn an seinem Grabe vorzüglich deshalb zu loben, weil er die Juli-Revolution weder gewünscht, noch herbeigeführt habe. Bei der Discussion der September-Gesetze vertheidigte er noch zum letzten Male die Presse, die er der Reihe nach angegriffen und vertheidigt hatte. Seitdem erschien er nicht mehr aus der Tribüne, er ging sast absichtlos in die Kammer durch eine Gewohnheit von fünfundzwan^ zig Jahren dort hinzezogen, er murmelte dort wohl, aber er sprach nicht mehr. Die heutige Politik und Literatur, die jetzigen Men¬ schen und Zustände, Alles dies schmolz für ihn in ein einziges Ge¬ fühl zusammen, in das der vollständigsten Verachtung. Die jetzige Generation bezahlte ihm seine Verachtung mit Vergessenheit, und er tröstete sich über diese Vergessenheit, indem er gleichzeitig auf seine Freunde, seine Bewunderer, seine Feinde und das Publikum, wel¬ ches sich nicht darum kümmerte, stichelte; denn es war einer von den eigenthümlichsten Zügen dieser historischen Gestalt mit dem feierlich¬ sten Ernst die beißendste Ironie zu vereinigen. 4*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/35>, abgerufen am 05.02.2025.