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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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"Wohlgeborner Herr Regierungsrath, hochgeschätzter Freund!" hebt
der alte ehrwürdige Bischof Eylert in seiner Antwort an Herrn Strich
an, und sagt ihm, unverdiente, ehrenrührigeKränkungen habeStrietz ihm
zugefügt, die mit gerechten Unwillen zu beleuchten Eylert seiner Ehre, sei¬
ner amtlichen Stellung, seiner Gemeinde, der evangelischen Kirche
und seinem Glauben schuldig sei. Strictz sage, man habe sich in
einer so unbestimmt gehaltenen Formel ausgedrückt, um -- sich
nicht zu verrathen. "Ich muß, indem ich dies lese und wiederlese,
die Feder hinlegen; die Brust wird mir altem sechsundsiebzig-
jahrigen Manne dabei zu enge ... Meine Confirmanden wahrend
51 Jahren, die ich im Predigtamte gewesen, wissen es und werden
mir Zeugniß geben, wie ich in Liebe christlich positiv bin." -- Und
so lassen sich alle Uebrigen, die geantwortet haben, in ähnlicher Weise
vernehmen. Eltester hielt es für sonderbar, daß er sich Männern
sollte angeschlossen haben, welche die Kirche, in der er "mit seinem
ganzen Wesen wurzelt," untergruben. "Ich sehe mich um," sagt er,
"und wen finde ich unter diesen Mannern? Den greisen Mann,
dessen Verdienste um die Agende ich nicht erst zu rühmen brauche,
jenen andern treuen Hirten, dessen Bemühungen, die Kirche zu treuem
Festhalten an den Symbolen zurückzuführen, ihm die heftigsten An¬
griffe zugezogen hat, Hoßbach, Lisco u. s. w." Nein, sagen alle
diese den Gegnern, nein, ihr seid unduldsam, seid starr, haltet an
einem ererbten Glauben ... -- Starr? "O ihr Bitteren!" antwortet
Harms. "Ererbt sollen wir unsern Glauben haben. Ja, ererbt ha¬
ben wir ihn; allein wir wissen, mit welcher Arbeit wir uns in dieses
Erbe gesetzt haben." Die innere Seelencrfahrung, sagt Stahl,
mache die Bekenner des Augsburgischen Glaubens zu solchen, Leines¬
wegs die Autorität Luthers oder Melanchthons. Die Beschuldigung,
daß man nur ererbten Glauben anhänge und eine todte Formel sich
zum Papst mache, sagt Hengstenberg, sei "eine sehr harte" und --
er müsse es sagen -- theilweise gegen besseres Wissen und Gewissen
ausgesprochen."- -Also alle Borwürfe nehmen die Gegner wirklich als
Vorwürfe von einander an, das heißt: sie sind im Urtheil einig,
werfen aber diese Vorwürfe zurück und walzen sie sogar Denen auf,
von denen sie ausgegangen. Alle wollen nicht starr, nicht unduld¬
sam, nicht ausschließend sein, Alle wollen Gemeinschaft und Friede,
Alle wollen sogar mannigfache Gestaltung bei der Einheit und nur
Einheit in der Mannichfaltigkeit, Alle wollen freie Forccntwickelung
-- "die evangelische Kirchenzeitung hat zu den protestantischen Be¬
kenntnißschriften stets eine liberale Stellung eingenommen, hat nie
verkannt, daß sie Producte ihrer Zeit seien", sagt selbst Hengstenberg
-- Alle wollen nicht für eine Partei gelten, sondern die wahre Kirche
sein, und zwar nicht -- das sagen sie Alle ausdrücklich -- auf Ko¬
sten der Andern und wider diese, sondern mit ihnen, Alle wollen das


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„Wohlgeborner Herr Regierungsrath, hochgeschätzter Freund!" hebt
der alte ehrwürdige Bischof Eylert in seiner Antwort an Herrn Strich
an, und sagt ihm, unverdiente, ehrenrührigeKränkungen habeStrietz ihm
zugefügt, die mit gerechten Unwillen zu beleuchten Eylert seiner Ehre, sei¬
ner amtlichen Stellung, seiner Gemeinde, der evangelischen Kirche
und seinem Glauben schuldig sei. Strictz sage, man habe sich in
einer so unbestimmt gehaltenen Formel ausgedrückt, um — sich
nicht zu verrathen. „Ich muß, indem ich dies lese und wiederlese,
die Feder hinlegen; die Brust wird mir altem sechsundsiebzig-
jahrigen Manne dabei zu enge ... Meine Confirmanden wahrend
51 Jahren, die ich im Predigtamte gewesen, wissen es und werden
mir Zeugniß geben, wie ich in Liebe christlich positiv bin." — Und
so lassen sich alle Uebrigen, die geantwortet haben, in ähnlicher Weise
vernehmen. Eltester hielt es für sonderbar, daß er sich Männern
sollte angeschlossen haben, welche die Kirche, in der er „mit seinem
ganzen Wesen wurzelt," untergruben. „Ich sehe mich um," sagt er,
„und wen finde ich unter diesen Mannern? Den greisen Mann,
dessen Verdienste um die Agende ich nicht erst zu rühmen brauche,
jenen andern treuen Hirten, dessen Bemühungen, die Kirche zu treuem
Festhalten an den Symbolen zurückzuführen, ihm die heftigsten An¬
griffe zugezogen hat, Hoßbach, Lisco u. s. w." Nein, sagen alle
diese den Gegnern, nein, ihr seid unduldsam, seid starr, haltet an
einem ererbten Glauben ... — Starr? „O ihr Bitteren!" antwortet
Harms. „Ererbt sollen wir unsern Glauben haben. Ja, ererbt ha¬
ben wir ihn; allein wir wissen, mit welcher Arbeit wir uns in dieses
Erbe gesetzt haben." Die innere Seelencrfahrung, sagt Stahl,
mache die Bekenner des Augsburgischen Glaubens zu solchen, Leines¬
wegs die Autorität Luthers oder Melanchthons. Die Beschuldigung,
daß man nur ererbten Glauben anhänge und eine todte Formel sich
zum Papst mache, sagt Hengstenberg, sei „eine sehr harte" und —
er müsse es sagen — theilweise gegen besseres Wissen und Gewissen
ausgesprochen."- -Also alle Borwürfe nehmen die Gegner wirklich als
Vorwürfe von einander an, das heißt: sie sind im Urtheil einig,
werfen aber diese Vorwürfe zurück und walzen sie sogar Denen auf,
von denen sie ausgegangen. Alle wollen nicht starr, nicht unduld¬
sam, nicht ausschließend sein, Alle wollen Gemeinschaft und Friede,
Alle wollen sogar mannigfache Gestaltung bei der Einheit und nur
Einheit in der Mannichfaltigkeit, Alle wollen freie Forccntwickelung
— „die evangelische Kirchenzeitung hat zu den protestantischen Be¬
kenntnißschriften stets eine liberale Stellung eingenommen, hat nie
verkannt, daß sie Producte ihrer Zeit seien", sagt selbst Hengstenberg
— Alle wollen nicht für eine Partei gelten, sondern die wahre Kirche
sein, und zwar nicht — das sagen sie Alle ausdrücklich — auf Ko¬
sten der Andern und wider diese, sondern mit ihnen, Alle wollen das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/327>, abgerufen am 05.02.2025.