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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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-- das ist eine Treulosigkeit." -- Gemeinschaft, Eintracht wollen,
nennt ihr das, wird von den Unterzeichnern des Protests entgegnet,
wenn ihr Solche, die sich zu der Kirche zählen, ausschließet ? Wir, wir
wollen die Mannigfaltigkeit der Gaben anerkennen. Wir verlangen für
alle Theile der Kirche das ungekränkte Recht freier Entwickelung. Das
Recht, setzt Herr Eltester (in seiner "Offenen Antwort auf ein Send¬
schreiben des Herrn Strietz") erläuternd hinzu, das Recht, das Luther
in den Worten geltend gemacht hat: "Es sei denn, daß ich mit Zeug¬
nissen der heiligen Schrift oder mit öffentlichen klaren und hellen
Gründen und Ursachen überwunden und überwiesen werde u. s. w."
-- Und was wollen wir denn anders? antwortet Herr Hengstenberg.
"Es gehört gerade zu den Eigenthümlichkeiten der evangelischen Kir¬
chenzeitung," sagt er wörtlich, "den Spuren des Glaubens mit Liebe
überall nachzugehen, wo sie nur vorhanden sind, unter den abwei¬
chenden kirchlichen Bekenntnissen und unter den theilweise von den
Kirchenlehrer abweichenden Richtungen." "Nur da," fährt er fort,
"nur da, wo die Abweichung von der gefunden Lehre eine totale ist,
wo sie den Grund sebst betrifft, haben wir -- nach dem Vorgange
der heiligen Schrift -- das Prädicat Ungläubig angewendet." --
Man sieht aber, sagt der Landpastor Thilo (in seiner Schrift "Un¬
mündige Fragen") den Unterzeichnern des Protestes, man sieht wohl,
was das für ein Gleichgewicht ist, das ihr herstellen zu müssen vor¬
gebt; kein anderes als "das Gleichgewicht zwischen Glauben und Un¬
glauben an dem Evangelium." Und der Pastor Kuntze an der Wai¬
senkirche in Berlin sagte von der Kanzel herab -- dem Herrn Thilo
treulich nachbetend -- die Unterzeichner des Protestes hätten sich in
die Mitte stellen wollen zwischen Glauben und Unglauben: das sei die
"rechte Mitte," von der sie redeten; in der That und Wahrheit ver¬
würfen sie das Bekenntniß der evangelischen Kirche. -- Ja, ihr seid
im Herzen Ungläubige, sagt ihnen der Regiecungsrath Strietz in
Potsdam, der erste, der, obgleich, wie er selbst sagt, kein Anhänger
oder auch nur Lejer der evangelischen Kirchenzeitung, für die ange¬
griffene in die Schranken trat (in seiner Brochüre: "Sendschreiben an
die Herren Geistlichen zu Berlin ?c."); die Kirche, sagt er, werde
lieber ein offenes Bekenntniß des Unglaubens vernehmen, als sich
täuschen lassen. Und der alte Harms schrieb von Kiel her einen
Aufsatz in die Vosstsche Zeitung, worin er ihnen sagte: sie sprächen
gegen die Kirchenzeitung, meinten aber im Grunde das Symbol der
Kirche selbst: Wislicenus, Uhlich, König seien freimüthige Leute; sie,
die Unterzeichner des Protestes, nicht. -- Das sei Verkennung,
Anschwärzung, Verdächtigung, Verleumdung! rufen nun die
Unterzeichner. Nicht zwischen Unglauben und Glauben stehen
wir in der Mitte, antwortet der Prediger Pischon seinem Amtsbru¬
der Kuntze, sondern nur zwischen Unglauben und Aberglauben. --


— das ist eine Treulosigkeit." — Gemeinschaft, Eintracht wollen,
nennt ihr das, wird von den Unterzeichnern des Protests entgegnet,
wenn ihr Solche, die sich zu der Kirche zählen, ausschließet ? Wir, wir
wollen die Mannigfaltigkeit der Gaben anerkennen. Wir verlangen für
alle Theile der Kirche das ungekränkte Recht freier Entwickelung. Das
Recht, setzt Herr Eltester (in seiner „Offenen Antwort auf ein Send¬
schreiben des Herrn Strietz") erläuternd hinzu, das Recht, das Luther
in den Worten geltend gemacht hat: „Es sei denn, daß ich mit Zeug¬
nissen der heiligen Schrift oder mit öffentlichen klaren und hellen
Gründen und Ursachen überwunden und überwiesen werde u. s. w."
— Und was wollen wir denn anders? antwortet Herr Hengstenberg.
„Es gehört gerade zu den Eigenthümlichkeiten der evangelischen Kir¬
chenzeitung," sagt er wörtlich, „den Spuren des Glaubens mit Liebe
überall nachzugehen, wo sie nur vorhanden sind, unter den abwei¬
chenden kirchlichen Bekenntnissen und unter den theilweise von den
Kirchenlehrer abweichenden Richtungen." „Nur da," fährt er fort,
„nur da, wo die Abweichung von der gefunden Lehre eine totale ist,
wo sie den Grund sebst betrifft, haben wir — nach dem Vorgange
der heiligen Schrift — das Prädicat Ungläubig angewendet." —
Man sieht aber, sagt der Landpastor Thilo (in seiner Schrift „Un¬
mündige Fragen") den Unterzeichnern des Protestes, man sieht wohl,
was das für ein Gleichgewicht ist, das ihr herstellen zu müssen vor¬
gebt; kein anderes als „das Gleichgewicht zwischen Glauben und Un¬
glauben an dem Evangelium." Und der Pastor Kuntze an der Wai¬
senkirche in Berlin sagte von der Kanzel herab — dem Herrn Thilo
treulich nachbetend — die Unterzeichner des Protestes hätten sich in
die Mitte stellen wollen zwischen Glauben und Unglauben: das sei die
„rechte Mitte," von der sie redeten; in der That und Wahrheit ver¬
würfen sie das Bekenntniß der evangelischen Kirche. — Ja, ihr seid
im Herzen Ungläubige, sagt ihnen der Regiecungsrath Strietz in
Potsdam, der erste, der, obgleich, wie er selbst sagt, kein Anhänger
oder auch nur Lejer der evangelischen Kirchenzeitung, für die ange¬
griffene in die Schranken trat (in seiner Brochüre: „Sendschreiben an
die Herren Geistlichen zu Berlin ?c."); die Kirche, sagt er, werde
lieber ein offenes Bekenntniß des Unglaubens vernehmen, als sich
täuschen lassen. Und der alte Harms schrieb von Kiel her einen
Aufsatz in die Vosstsche Zeitung, worin er ihnen sagte: sie sprächen
gegen die Kirchenzeitung, meinten aber im Grunde das Symbol der
Kirche selbst: Wislicenus, Uhlich, König seien freimüthige Leute; sie,
die Unterzeichner des Protestes, nicht. — Das sei Verkennung,
Anschwärzung, Verdächtigung, Verleumdung! rufen nun die
Unterzeichner. Nicht zwischen Unglauben und Glauben stehen
wir in der Mitte, antwortet der Prediger Pischon seinem Amtsbru¬
der Kuntze, sondern nur zwischen Unglauben und Aberglauben. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/326>, abgerufen am 05.02.2025.