Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.gleichung dieses Romans mit den Sue'schen Mysterien selbst bis zu In viel eleganterem Gewände als dieses Buch von den Leiden des *) Leider kann dem während Niederschreibung und Abdruck dieser Zeilen
endlich nachgefolgter 4. und 5,. Bande des Willkomm'schen Romans nicht das¬ selbe Lob, wie den ersten drei Theilen ertheilt weiden. Die Geschichte ist sehr gewaltsam gedehnt und gezerrt, giebt kein ideal-publicistischcs Resultat, wie doch ihr Anfang erw-irtcn liesi, sondern verliert sich in breiten und abenteuer¬ lichen Näubersituationen und Mordfabcln, neben denen die unglaublichsten Verwandtschaftsfäden der Proletarier mit dem gräflich Bobersteiii'sehen Hause auftauchen und zur romanhaften Geltung kommen. Da man im 4. und S. Bande indessen sehr viele Carrons bemerkt, so mag wohl die Frage schwer zu entscheiden sein, ob diese rauher- und scbauerromantische Wendung des Ro¬ mans wirklich der ursprünglichen Organisation angehört, oder ob sie eine Con- cession ist an die Zwangsniaßregcln, welche die Behörden anwandten, um das Ende des Buches zu unterdrücken. Hoffen und wünschen wir das Letztere. gleichung dieses Romans mit den Sue'schen Mysterien selbst bis zu In viel eleganterem Gewände als dieses Buch von den Leiden des *) Leider kann dem während Niederschreibung und Abdruck dieser Zeilen
endlich nachgefolgter 4. und 5,. Bande des Willkomm'schen Romans nicht das¬ selbe Lob, wie den ersten drei Theilen ertheilt weiden. Die Geschichte ist sehr gewaltsam gedehnt und gezerrt, giebt kein ideal-publicistischcs Resultat, wie doch ihr Anfang erw-irtcn liesi, sondern verliert sich in breiten und abenteuer¬ lichen Näubersituationen und Mordfabcln, neben denen die unglaublichsten Verwandtschaftsfäden der Proletarier mit dem gräflich Bobersteiii'sehen Hause auftauchen und zur romanhaften Geltung kommen. Da man im 4. und S. Bande indessen sehr viele Carrons bemerkt, so mag wohl die Frage schwer zu entscheiden sein, ob diese rauher- und scbauerromantische Wendung des Ro¬ mans wirklich der ursprünglichen Organisation angehört, oder ob sie eine Con- cession ist an die Zwangsniaßregcln, welche die Behörden anwandten, um das Ende des Buches zu unterdrücken. Hoffen und wünschen wir das Letztere. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271581"/> <p xml:id="ID_893" prev="#ID_892"> gleichung dieses Romans mit den Sue'schen Mysterien selbst bis zu<lb/> gewissen Individualitäten fortführen, obschon damit keineswegs ange¬<lb/> deutet werden soll, daß diese irgendwie als Nachahmungen austreten.<lb/> Haideröschen und Hcrta sind auf der einen, der Maulwurffanger auf<lb/> der andern und Kapitän Aurel endlich auf einer dritten Seite die<lb/> Verkörperungen dieser Anklänge. Aber dabei bleiben die Geschichts¬<lb/> gänge nicht auf einen einzigen bestimmten Punkt begränzt, wie dort<lb/> auf Paris, vielmehr verketten dieselben die Lebensgestaltungen des<lb/> nördlichen mit denen des östlichen Deutschlands und bald führen sie<lb/> uns zur Anschauung des von Schaumgold überglänzten Lebens der<lb/> Prostituirten in Hamburg, bald zu jener des nackten Elends des<lb/> Landvolkes und der niedern Gewerbtreibenden der lausitzer Haiden, der<lb/> schlesischen Berge. Dabei ist aber dennoch fortwährend die Concen-<lb/> tration der Theilnehmer auf bestimmte einzelne Gruppen erreicht und<lb/> die Erzählung flattert nirgends nach seitab gelegenen Dingen, um<lb/> während dessen die Hauptsache fallen zu lassen. Darin beruht, so<lb/> wie in der genauen Kenntniß des Detaillebens der Proletarier vor¬<lb/> züglich die Wahrheit des Romans begründet ist, dessen künstlerischer<lb/> Vorzug. Und somit scheiden unsere Blicke von ihm, hoffend, daß<lb/> endlich auch die Vollendung des Kunstwerkes durch keine polizeiliche<lb/> Maßregel dem Publikum mehr vorenthalten werden möge.</p><lb/> <p xml:id="ID_894"> In viel eleganterem Gewände als dieses Buch von den Leiden des<lb/> Volkes erscheint noch ein anderer Roman mit dem weitumfassenden<lb/> Titel: „Die Jesuiten in England und Oesterreich." Gestehen wir es<lb/> offen, die Kritik ist von vorn herein gegen das nur zu oft als locken¬<lb/> des Aushängeschild unbedeuter Erzeugnisse dargebotene Wort des Je-<lb/> suitismus eingenommen worden, und es bedarf schon einer tüchtigen<lb/> Leistung, um dieselbe mit solchem anrüchigen Titel zu versöhnen. Ohne<lb/> den Namen des Verfassers, wie überhaupt so viele jesuitenfeindliche<lb/> Bücher, tritt auch dieses hervor. Liegt nun in dieser Thatsache auf<lb/> der einen Seite die Vermuthung nahe, daß hier Wirklichgeschehenes,<lb/> wirkliche Tagesgeschichte gegeben werde, so vermag man doch auch</p><lb/> <note xml:id="FID_39" place="foot"> *) Leider kann dem während Niederschreibung und Abdruck dieser Zeilen<lb/> endlich nachgefolgter 4. und 5,. Bande des Willkomm'schen Romans nicht das¬<lb/> selbe Lob, wie den ersten drei Theilen ertheilt weiden. Die Geschichte ist sehr<lb/> gewaltsam gedehnt und gezerrt, giebt kein ideal-publicistischcs Resultat, wie<lb/> doch ihr Anfang erw-irtcn liesi, sondern verliert sich in breiten und abenteuer¬<lb/> lichen Näubersituationen und Mordfabcln, neben denen die unglaublichsten<lb/> Verwandtschaftsfäden der Proletarier mit dem gräflich Bobersteiii'sehen Hause<lb/> auftauchen und zur romanhaften Geltung kommen. Da man im 4. und S.<lb/> Bande indessen sehr viele Carrons bemerkt, so mag wohl die Frage schwer zu<lb/> entscheiden sein, ob diese rauher- und scbauerromantische Wendung des Ro¬<lb/> mans wirklich der ursprünglichen Organisation angehört, oder ob sie eine Con-<lb/> cession ist an die Zwangsniaßregcln, welche die Behörden anwandten, um das<lb/> Ende des Buches zu unterdrücken. Hoffen und wünschen wir das Letztere.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
gleichung dieses Romans mit den Sue'schen Mysterien selbst bis zu
gewissen Individualitäten fortführen, obschon damit keineswegs ange¬
deutet werden soll, daß diese irgendwie als Nachahmungen austreten.
Haideröschen und Hcrta sind auf der einen, der Maulwurffanger auf
der andern und Kapitän Aurel endlich auf einer dritten Seite die
Verkörperungen dieser Anklänge. Aber dabei bleiben die Geschichts¬
gänge nicht auf einen einzigen bestimmten Punkt begränzt, wie dort
auf Paris, vielmehr verketten dieselben die Lebensgestaltungen des
nördlichen mit denen des östlichen Deutschlands und bald führen sie
uns zur Anschauung des von Schaumgold überglänzten Lebens der
Prostituirten in Hamburg, bald zu jener des nackten Elends des
Landvolkes und der niedern Gewerbtreibenden der lausitzer Haiden, der
schlesischen Berge. Dabei ist aber dennoch fortwährend die Concen-
tration der Theilnehmer auf bestimmte einzelne Gruppen erreicht und
die Erzählung flattert nirgends nach seitab gelegenen Dingen, um
während dessen die Hauptsache fallen zu lassen. Darin beruht, so
wie in der genauen Kenntniß des Detaillebens der Proletarier vor¬
züglich die Wahrheit des Romans begründet ist, dessen künstlerischer
Vorzug. Und somit scheiden unsere Blicke von ihm, hoffend, daß
endlich auch die Vollendung des Kunstwerkes durch keine polizeiliche
Maßregel dem Publikum mehr vorenthalten werden möge.
In viel eleganterem Gewände als dieses Buch von den Leiden des
Volkes erscheint noch ein anderer Roman mit dem weitumfassenden
Titel: „Die Jesuiten in England und Oesterreich." Gestehen wir es
offen, die Kritik ist von vorn herein gegen das nur zu oft als locken¬
des Aushängeschild unbedeuter Erzeugnisse dargebotene Wort des Je-
suitismus eingenommen worden, und es bedarf schon einer tüchtigen
Leistung, um dieselbe mit solchem anrüchigen Titel zu versöhnen. Ohne
den Namen des Verfassers, wie überhaupt so viele jesuitenfeindliche
Bücher, tritt auch dieses hervor. Liegt nun in dieser Thatsache auf
der einen Seite die Vermuthung nahe, daß hier Wirklichgeschehenes,
wirkliche Tagesgeschichte gegeben werde, so vermag man doch auch
*) Leider kann dem während Niederschreibung und Abdruck dieser Zeilen
endlich nachgefolgter 4. und 5,. Bande des Willkomm'schen Romans nicht das¬
selbe Lob, wie den ersten drei Theilen ertheilt weiden. Die Geschichte ist sehr
gewaltsam gedehnt und gezerrt, giebt kein ideal-publicistischcs Resultat, wie
doch ihr Anfang erw-irtcn liesi, sondern verliert sich in breiten und abenteuer¬
lichen Näubersituationen und Mordfabcln, neben denen die unglaublichsten
Verwandtschaftsfäden der Proletarier mit dem gräflich Bobersteiii'sehen Hause
auftauchen und zur romanhaften Geltung kommen. Da man im 4. und S.
Bande indessen sehr viele Carrons bemerkt, so mag wohl die Frage schwer zu
entscheiden sein, ob diese rauher- und scbauerromantische Wendung des Ro¬
mans wirklich der ursprünglichen Organisation angehört, oder ob sie eine Con-
cession ist an die Zwangsniaßregcln, welche die Behörden anwandten, um das
Ende des Buches zu unterdrücken. Hoffen und wünschen wir das Letztere.
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