Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.des Bürger'sehen Lebens, wie wir sie aus den Biographien heraus¬ Ein ganz anderes Genre der historischen Erzählung, viel weit¬ Gr-Njbotcn, 18i5. IV. 40
des Bürger'sehen Lebens, wie wir sie aus den Biographien heraus¬ Ein ganz anderes Genre der historischen Erzählung, viel weit¬ Gr-Njbotcn, 18i5. IV. 40
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des Bürger'sehen Lebens, wie wir sie aus den Biographien heraus¬
lesen, zu einer vollkommen zusammenhängenden und sich in sich selbst
begründenden Nothwendigkeit ohne Lücken zusammengebauet. Wir
erkennen es deutlich, wie Alles so kommen mußte und nicht anders
konnte. Darin liegt für Denjenigen, der diesen ersten echten deutschen
„Volksdichter" liebt und sich unwillkührlich doch immer wieder von
seiner Persönlichkeit abgestoßen empfand, etwas unendlich Wohlthuendes
und Versöhnendes. Eben in der Lösung dieser schweren Aufgabe be¬
gründet sich die Trefflichkeit des vorliegenden Seelengemäldes. Mußte
ick) aber oben die Wahl des Titels „Roman" auf der einen Seite
mißbilligen, fo erscheint dieselbe auf der andern Seite vollständig durch
die Drapirung der Erzählung gerechtfertigt, und auch diese Einkleidung
muß, bis auf eine hier und da hervortretende lyrische Breite und eine
gewisse Schwülstigkeit des Ausdrucks, mit vollem Lobe anerkannt wer¬
den. Doch auch dieses Lob findet seine vollste Anwendung mehr auf
die erste Hälfte, als auf andere Theile des Buches. Dort streben alle
Fäden nach den Mittelpunkten, Bürger und Motiv, zusammen, wah¬
rend dies in der zweiten minder der Fall ist, wo der Erzähler die
Biographie unsers Dichters bei Seite legen und es versuchen will,
„?hre Rücksicht auf Zeit und geschichtliche Ueberlieferung die poetische
Wahrheit der Erzählung von der historischen noch mehr als jetzt ge¬
schah, zu scheiden." Dort entschlüpft ihm der eine und der andere
Faden, dabei treten auch wieder Personen hervor, welche dem innern
Erzählungsgange und den Entwicklungen fremd bleiben. Dahin rechne
ich vorzüglich August Wilhelm Schlegel. Oder sollte seine Verlobung
mit jener Professorstochter, die er eine „Verplemperung" nennt, als
Nebenstück zu Bürger's Verheirathung mit Dora und Elise Hahn
gelten? Dazu beruht sie auf zu kleinen Motiven, dazu ist sie zu
vorübergehend erwähnt und dafür bleibt sie zu einflußlos auf Schle-
gels fernere Entwicklung. Allein trotz solcher kleinen Ausstellungen
muß die Kritik mit vollem Lobe auf diesen Roman hinweisen. Möge
er denn die Verbreitung finden, deren er würdig ist und welche leider
ähnlichen Werken der Neuzeit durch eine ungerechte Vernachlässigung
von Seiten des größern Publicums vorenthalten worden ist.
Ein ganz anderes Genre der historischen Erzählung, viel weit¬
schichtigere Interessen, aber auch eine unserer Theilnahme weit ferner
gerückte Periode der Geschichte bezeichnet Kaiser und Narr, histo¬
rischer Roman von Heribert Rau. — Heribert Rau hat binnen
kurzer Zeit erstaunlich viel producirt und außerdem, wie uns die Zei¬
tungen sagen, fort und fort regen, thätigen Antheil genommen an den
heutigen reformistischen Bewegungen in der katholischen Kirche. Es
eristirt fast nicht eine einzige Production von ihm, die nicht den ten-
denzirten beigezählt werden müßte ^ bald den politischen, bald den
socialen, bald den religiösen Interessen zugewendet. Auch der vorlie»
Gr-Njbotcn, 18i5. IV. 40
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