Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.stehen, dieses Genre des biographischen Romans gänzlich aufzugeben. Was A. von Sternberg in seinem "Lessing, was Voigts in stehen, dieses Genre des biographischen Romans gänzlich aufzugeben. Was A. von Sternberg in seinem „Lessing, was Voigts in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271577"/> <p xml:id="ID_886" prev="#ID_885"> stehen, dieses Genre des biographischen Romans gänzlich aufzugeben.<lb/> Da kommt uns plötzlich ein nicht gar starkes Bändchen in äußerlich<lb/> schmucklosem Gewände, und es tragt den Titel: Bürger, ein<lb/> deutsches Dichterleben. Roman von Otto Müller.<lb/> "</p><lb/> <p xml:id="ID_887" next="#ID_888"> Was A. von Sternberg in seinem „Lessing, was Voigts in<lb/> „Hölty", was endlich H. Kurz in „Schiller's Jugendjahre" beabsichtigt<lb/> hatten, dasselbe beabsichtigt Otto Müller im vorliegenden Buche. In¬<lb/> wieweit die Ereignisse des Privatlebens aus die Production des Dich¬<lb/> ters einwirkten, aus welchen Stimmungen und persönlichen Verhält¬<lb/> nissen diese und jene Richtung seiner Productivität sich hervorarbeitete —<lb/> dies psychologisch zu entwickeln, stellte er sich zur Ausgabe. Der Ver¬<lb/> sasser hat sein Werk „Roman" genannt. Und doch möchte ich fragen,<lb/> warum er eben diese Bezeichnung wählte, die dem oberflächlichen Leser<lb/> leicht alle gegebenen Situationen und ihre Folgen nur als in der<lb/> Phantasie des Verfassers emporgewachsene erscheinen lassen möchte.<lb/> Sie sind es nicht; besonders nicht in der ersten Hälfte der Erzählung.<lb/> Dort hält sich der Geschichtsgang vollkommen genau an die Ueber¬<lb/> lieferungen, wie sie theils gedruckte Biographien Bürger's bekannt<lb/> machten, theils handschriftlich auf Otto Müller gelangte Nachrichten<lb/> darthun. Und weil nun Einzelheiten, Gespräche und Gedanken hin¬<lb/> zugedichtet sind — soll man darum das ganze Buch einen Roman<lb/> nennen? Genügte nicht der erste erläuternde Titelzusatz: „ein deutsches<lb/> Dichterleben"? Denn mögen auch die historischen Beweise für manche<lb/> der geschilderten Lebensmoments fehlen, die psychologische Wahrheit aller<lb/> Einzelheiten der Darstellung fühlen wir nicht eine Secunde lang ver¬<lb/> letzt. Ich halte diese romantische Biographie eben darum nicht nur<lb/> für interessanter, als manches andere ähnliche Werk; ich erachte sie<lb/> auch dem Literarhistoriker für belehrender. Der Verfasser verfolgt in<lb/> ihr wirklich keinerlei andern Zweck, als jenen der Darstellung eines<lb/> „deutschen" Dichterlebens. Es war ihm nicht darum zu thun, sich<lb/> selbst über die Ähnlichkeiten der Gegenwart mit damals auszusprechen,<lb/> er wollte nicht durch Bürger zu einer ephemeren Besprochenhcit wer¬<lb/> den. Darum durste er auch alle die frühern Perioden Bürger's in Göt¬<lb/> tingen und im Hainbunde nur noch wie Nachklänge in den Anfang<lb/> der Erzählung hereinspielen lassen und diese sogleich mit der Verbin¬<lb/> dung des Dichters mit Dora, mit seinem Leben als Amtmann zu<lb/> Wölmcrshausen beginnen. Denn Molly, das eigentlich bedingende<lb/> Lebenselement Bürgers, tritt diesem erst in jener Zeit nahe. So<lb/> drängen sich nun also auch gleichzeitig die Wirrnisse seines Gemüthes<lb/> und aller endlose Schmerz seiner Seele, die Erkenntniß einer unbe¬<lb/> friedigender Verbindung und einer unbefriedigender Lebensstellung<lb/> neben die unbezähmbare Leidenschaft zu Molly in die volle Beleuch¬<lb/> tung des Vordergrundes und die folgenden Acte seines Lebensdramas<lb/> finden darin ihre volle Motivirung. Es ist jene jache Zerrissenheit</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0316]
stehen, dieses Genre des biographischen Romans gänzlich aufzugeben.
Da kommt uns plötzlich ein nicht gar starkes Bändchen in äußerlich
schmucklosem Gewände, und es tragt den Titel: Bürger, ein
deutsches Dichterleben. Roman von Otto Müller.
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Was A. von Sternberg in seinem „Lessing, was Voigts in
„Hölty", was endlich H. Kurz in „Schiller's Jugendjahre" beabsichtigt
hatten, dasselbe beabsichtigt Otto Müller im vorliegenden Buche. In¬
wieweit die Ereignisse des Privatlebens aus die Production des Dich¬
ters einwirkten, aus welchen Stimmungen und persönlichen Verhält¬
nissen diese und jene Richtung seiner Productivität sich hervorarbeitete —
dies psychologisch zu entwickeln, stellte er sich zur Ausgabe. Der Ver¬
sasser hat sein Werk „Roman" genannt. Und doch möchte ich fragen,
warum er eben diese Bezeichnung wählte, die dem oberflächlichen Leser
leicht alle gegebenen Situationen und ihre Folgen nur als in der
Phantasie des Verfassers emporgewachsene erscheinen lassen möchte.
Sie sind es nicht; besonders nicht in der ersten Hälfte der Erzählung.
Dort hält sich der Geschichtsgang vollkommen genau an die Ueber¬
lieferungen, wie sie theils gedruckte Biographien Bürger's bekannt
machten, theils handschriftlich auf Otto Müller gelangte Nachrichten
darthun. Und weil nun Einzelheiten, Gespräche und Gedanken hin¬
zugedichtet sind — soll man darum das ganze Buch einen Roman
nennen? Genügte nicht der erste erläuternde Titelzusatz: „ein deutsches
Dichterleben"? Denn mögen auch die historischen Beweise für manche
der geschilderten Lebensmoments fehlen, die psychologische Wahrheit aller
Einzelheiten der Darstellung fühlen wir nicht eine Secunde lang ver¬
letzt. Ich halte diese romantische Biographie eben darum nicht nur
für interessanter, als manches andere ähnliche Werk; ich erachte sie
auch dem Literarhistoriker für belehrender. Der Verfasser verfolgt in
ihr wirklich keinerlei andern Zweck, als jenen der Darstellung eines
„deutschen" Dichterlebens. Es war ihm nicht darum zu thun, sich
selbst über die Ähnlichkeiten der Gegenwart mit damals auszusprechen,
er wollte nicht durch Bürger zu einer ephemeren Besprochenhcit wer¬
den. Darum durste er auch alle die frühern Perioden Bürger's in Göt¬
tingen und im Hainbunde nur noch wie Nachklänge in den Anfang
der Erzählung hereinspielen lassen und diese sogleich mit der Verbin¬
dung des Dichters mit Dora, mit seinem Leben als Amtmann zu
Wölmcrshausen beginnen. Denn Molly, das eigentlich bedingende
Lebenselement Bürgers, tritt diesem erst in jener Zeit nahe. So
drängen sich nun also auch gleichzeitig die Wirrnisse seines Gemüthes
und aller endlose Schmerz seiner Seele, die Erkenntniß einer unbe¬
friedigender Verbindung und einer unbefriedigender Lebensstellung
neben die unbezähmbare Leidenschaft zu Molly in die volle Beleuch¬
tung des Vordergrundes und die folgenden Acte seines Lebensdramas
finden darin ihre volle Motivirung. Es ist jene jache Zerrissenheit
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