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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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die Einberufung für nöthig erachten. Macht die fortschreitende Zeit
es nöthig, die Verfassung in irgend etwas zu ändern: nur durch die
Schutzmächte kann dies geschehen. Wird Krakau seine Militairmasse
als eine übermäßige zur Last: die Schutzmächte müssen erst die Noth¬
wendigkeit der Verminderung erwogen haben, ehe die Verminderung
statt hat. Hat die Censur Bücher zu beurtheilen, so darf nicht ihr
krakauisch freistaatliches Bewußtsein ihr Prüfstein sein, sondern die
russischen, österreichischen und preußischen Ccnsurinstructionen: und Bü¬
cher, die in einem der drei schützenden Staaten verboten sind, darf
die krakauer Censur ihrem Public um nicht freigeben.

So sind die Verhältnisse Krakau's. Es ist ihm vom Wiener
Congreß der Titel verliehen: "Freie, unabhängige und strengneutrale
Stadt Kr.ckau mit ihrem Gebiete."

Der Weg von Krakau nach dem Kloster Bielany zieht sich un¬
fern der Weichsel dieser entlang durch reizende Gegenden. Als wir
ein Stück desselben zurückgelegt hatten, und uns auf einem Hoch¬
punkte befanden, schälkelen wir uns um. Keine Stadt kann ein ehr¬
würdigeres Ansehen haben als Krakau von diesem Punkte aus.
Man sieht es fast in seiner ganzen Länge und Breite. Die alten
hohen Paläste ragen hoch über die Hütten des Kasimir hinaus.
Ueberall heben sich aus der Masse der Häuser die majestätischen
Kirchen empor, und die Thürme greifen wie Arme der Erde gen
Himmel. Hoch vom Berge blickt auf die Stadt hinab das alte Schloß.
Seine bleich glänzenden Fenster scheinen die Augen der Könige Po¬
lens zu sein, die von den dunkeln fernen Jahrhunderten bis nahe zu
uns in ihnen gewohnt, und noch in ihm wohnen, aber als Leichen.
Gedenken wir bei diesem Anblick der glorreichen Vergangenheit des
unglücklichen Polens, so ergreift uns eine tiefe Ehrfurcht vor Kra¬
kau mit seinen tausend Denkmälern, und der Anblick dieser Stadt,
die mit dem polnischen Reiche jung gewesen und alt geworden, und
uns lebendige Zeugnisse für alles das bringt, waS uns über so viele
Generationen hinweg wie Mähre erscheint, durchrieselt uns wohl mit
einem heiligen Schauer.

Am nächsten Tage fuhr ich wieder diesen Weg. Auf demselben
Hochpunkte ließ ich halten und blickte mich um, um Abschied zu
nehmen von der schönen altehrwürdigen Stadt; aber sie hatte sich
verhüllt mit einem dichten Nebelschleier.


Grmjbvten, ISiü. IV. 39

die Einberufung für nöthig erachten. Macht die fortschreitende Zeit
es nöthig, die Verfassung in irgend etwas zu ändern: nur durch die
Schutzmächte kann dies geschehen. Wird Krakau seine Militairmasse
als eine übermäßige zur Last: die Schutzmächte müssen erst die Noth¬
wendigkeit der Verminderung erwogen haben, ehe die Verminderung
statt hat. Hat die Censur Bücher zu beurtheilen, so darf nicht ihr
krakauisch freistaatliches Bewußtsein ihr Prüfstein sein, sondern die
russischen, österreichischen und preußischen Ccnsurinstructionen: und Bü¬
cher, die in einem der drei schützenden Staaten verboten sind, darf
die krakauer Censur ihrem Public um nicht freigeben.

So sind die Verhältnisse Krakau's. Es ist ihm vom Wiener
Congreß der Titel verliehen: „Freie, unabhängige und strengneutrale
Stadt Kr.ckau mit ihrem Gebiete."

Der Weg von Krakau nach dem Kloster Bielany zieht sich un¬
fern der Weichsel dieser entlang durch reizende Gegenden. Als wir
ein Stück desselben zurückgelegt hatten, und uns auf einem Hoch¬
punkte befanden, schälkelen wir uns um. Keine Stadt kann ein ehr¬
würdigeres Ansehen haben als Krakau von diesem Punkte aus.
Man sieht es fast in seiner ganzen Länge und Breite. Die alten
hohen Paläste ragen hoch über die Hütten des Kasimir hinaus.
Ueberall heben sich aus der Masse der Häuser die majestätischen
Kirchen empor, und die Thürme greifen wie Arme der Erde gen
Himmel. Hoch vom Berge blickt auf die Stadt hinab das alte Schloß.
Seine bleich glänzenden Fenster scheinen die Augen der Könige Po¬
lens zu sein, die von den dunkeln fernen Jahrhunderten bis nahe zu
uns in ihnen gewohnt, und noch in ihm wohnen, aber als Leichen.
Gedenken wir bei diesem Anblick der glorreichen Vergangenheit des
unglücklichen Polens, so ergreift uns eine tiefe Ehrfurcht vor Kra¬
kau mit seinen tausend Denkmälern, und der Anblick dieser Stadt,
die mit dem polnischen Reiche jung gewesen und alt geworden, und
uns lebendige Zeugnisse für alles das bringt, waS uns über so viele
Generationen hinweg wie Mähre erscheint, durchrieselt uns wohl mit
einem heiligen Schauer.

Am nächsten Tage fuhr ich wieder diesen Weg. Auf demselben
Hochpunkte ließ ich halten und blickte mich um, um Abschied zu
nehmen von der schönen altehrwürdigen Stadt; aber sie hatte sich
verhüllt mit einem dichten Nebelschleier.


Grmjbvten, ISiü. IV. 39
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/309>, abgerufen am 05.02.2025.