Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.einige Verwunderung, denn ich hätte die jungen Männer etwa für Die Universität Krakau ist von Kasimir dem Großen gestiftet einige Verwunderung, denn ich hätte die jungen Männer etwa für Die Universität Krakau ist von Kasimir dem Großen gestiftet <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271568"/> <p xml:id="ID_876" prev="#ID_875"> einige Verwunderung, denn ich hätte die jungen Männer etwa für<lb/> Secretäre oder ähnliche Beamte gehalten, am allerwenigsten aber<lb/> für Studenten, denn in so solid philisterhafter Couleur hatte ich<lb/> solche noch nicht gesehen. Mein Gefährte belehrte mich, daß in<lb/> Krakau kein Zusammenhalt unter den Studenten sei. Ein jeder lebt<lb/> in seiner Familie oder sonst dem Stndenthum fremden Kreisen; kei-<lb/> er schließt sich im Gefühl der Collegenschaft an den andern an.<lb/> Von Commercen und andern collegialischen Festen ist nicht die Re¬<lb/> de, auch würden sie polizeilich nicht geduldet werden, weil — nicht<lb/> der hohe Senat der Freistadt — vielmehr die aufpassenden Herren Konsuln<lb/> der drei Schutzmächte sie für sehr gefährlich halten würden. Vielweniger<lb/> kann aus solchem Grunde von Verbindungen die Rede sein; aber auch<lb/> aus anderem Grunde würden solche nicht eristiren: Alle Polen ken¬<lb/> nen, da ihr Vaterland ein einiges ist, nur einen einzigen politischen<lb/> Zweck, und so auch die polnischen Studenten. Dürften sie nun<lb/> auch offen diesem Zwecke nachstreben, so würden sie immer nur eine<lb/> einzige Verbindung bilden. Diese Verbindung fließt aber über in<lb/> die, in welcher das ganze polnische Volk stehet, weil in ihr eben<lb/> derselbe Zweck vorstehet und ebendasselbe Gefühl leitet. Mein Ge¬<lb/> fährte, der ein Jahr in Breslau studirt hatte, bekannte übrigens,<lb/> daß das Studentenleben in Krakau „gräßlich ledern" sei, sofern man<lb/> es als Studentenleben betrachten wolle.</p><lb/> <p xml:id="ID_877" next="#ID_878"> Die Universität Krakau ist von Kasimir dem Großen gestiftet<lb/> worden. 1364 ist das Jahr ihrer Geburt. Sie ist daher eine der<lb/> ältesten im nördlichen Europa. Für Polen war sie durch mehrere<lb/> Jahrhunderte ein um so größeres Kleinod, als sie die einzige des<lb/> Landes war. Jeder der polnischen Könige begünstigte sie, und ihre<lb/> Ausstattung wurde mit der Zeit immer reicher. In ihrer Blüthe<lb/> stand sie im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert; im achtzehnten<lb/> aber verlor sie schon sehr, und gegenwärtig ist sie in solchem Zu¬<lb/> stande, daß man sie einem von Altersschwäche und despotischer Be¬<lb/> drückung niedergebeugten sterbenden Greise vergleichen kann. Sie<lb/> besitzt einen botanischen Garten, der sein Prädicat durch nichts<lb/> mehr rechtfertiget, eine Sternwarte, eine Bibliothek von etwa fünf-<lb/> jigtausend Bänden, eine mineralogische Sammlung und einige<lb/> werthvolle physikalische Apparate. Gegenwärtig sind an der Universi«<lb/> tat S4 Docenten und für diese nicht über anderthalbhundert Zuhörer.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
einige Verwunderung, denn ich hätte die jungen Männer etwa für
Secretäre oder ähnliche Beamte gehalten, am allerwenigsten aber
für Studenten, denn in so solid philisterhafter Couleur hatte ich
solche noch nicht gesehen. Mein Gefährte belehrte mich, daß in
Krakau kein Zusammenhalt unter den Studenten sei. Ein jeder lebt
in seiner Familie oder sonst dem Stndenthum fremden Kreisen; kei-
er schließt sich im Gefühl der Collegenschaft an den andern an.
Von Commercen und andern collegialischen Festen ist nicht die Re¬
de, auch würden sie polizeilich nicht geduldet werden, weil — nicht
der hohe Senat der Freistadt — vielmehr die aufpassenden Herren Konsuln
der drei Schutzmächte sie für sehr gefährlich halten würden. Vielweniger
kann aus solchem Grunde von Verbindungen die Rede sein; aber auch
aus anderem Grunde würden solche nicht eristiren: Alle Polen ken¬
nen, da ihr Vaterland ein einiges ist, nur einen einzigen politischen
Zweck, und so auch die polnischen Studenten. Dürften sie nun
auch offen diesem Zwecke nachstreben, so würden sie immer nur eine
einzige Verbindung bilden. Diese Verbindung fließt aber über in
die, in welcher das ganze polnische Volk stehet, weil in ihr eben
derselbe Zweck vorstehet und ebendasselbe Gefühl leitet. Mein Ge¬
fährte, der ein Jahr in Breslau studirt hatte, bekannte übrigens,
daß das Studentenleben in Krakau „gräßlich ledern" sei, sofern man
es als Studentenleben betrachten wolle.
Die Universität Krakau ist von Kasimir dem Großen gestiftet
worden. 1364 ist das Jahr ihrer Geburt. Sie ist daher eine der
ältesten im nördlichen Europa. Für Polen war sie durch mehrere
Jahrhunderte ein um so größeres Kleinod, als sie die einzige des
Landes war. Jeder der polnischen Könige begünstigte sie, und ihre
Ausstattung wurde mit der Zeit immer reicher. In ihrer Blüthe
stand sie im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert; im achtzehnten
aber verlor sie schon sehr, und gegenwärtig ist sie in solchem Zu¬
stande, daß man sie einem von Altersschwäche und despotischer Be¬
drückung niedergebeugten sterbenden Greise vergleichen kann. Sie
besitzt einen botanischen Garten, der sein Prädicat durch nichts
mehr rechtfertiget, eine Sternwarte, eine Bibliothek von etwa fünf-
jigtausend Bänden, eine mineralogische Sammlung und einige
werthvolle physikalische Apparate. Gegenwärtig sind an der Universi«
tat S4 Docenten und für diese nicht über anderthalbhundert Zuhörer.
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