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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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zwei Köpfe auf Einem Körper, die wollen sich nicht miteinander ver¬
tragen. Da wir einmal bei der römischen Geschichte sind, wollen
wir noch einen Augenblick dabei verweilen. So lange das Reich
der Römer nur mit dem Parther im Osten zu kämpfen hatte, war
es möglich, diese ungeheuere Masse zusammenzuhalten. ES reichte
ein einziges Centrum hin, und dieses war Rom. AIS aber die
Deutschen noch im Norden und Nordwesten, mächtig wurden, und
nun die Gefahr von Norden und Osten gleich drohend hereinbrach,
da genügte weder Ein Oberhaupt noch Eine Hauptstadt mehr. Von
Rom aus konnte man den Deutschen begegnen, aber Byzanz war
die östliche Hauptstadt, so nothwendig als Rom, um der aufgehen¬
den Sonne der orientalischen Macht Stand zu halten. Lange be¬
vor die Theilung des Reiches in ein oströmisches und weströmisches
amtlich erklärt wurde, war sie in der Thatsache vollendet. Ist es
mit dem deutschen Reiche anders? Lange hatten wir nur Eine Ge¬
fahr zu bekämpfen, die vom Westen; seit beinahe einem Jahrhun¬
derte ist auch noch die östliche dazu gekommen. Das deutsche Reich
ist auseinander gefallen. Parther und Germanen -- Russen und Fran¬
zosen, Ostrom und Westrom -- Ostdeutschland und Westdeutschland,
Wien und Berlin -- Konstantinopel und Rom, das sind Punkte, de¬
ren Parallelismus sich nicht verkennen läßt.

In der Trennung des oströmischen und weströmischen Reiches
lag mehr Kraft, als in der scheinbaren Vereinigung, denn beide
blieben -- römisch. So scheint mir wenigstens, -- ich würde mich
sehr gern irren, -- daß in der scheinbaren Vereinigung von Ost-
und Westdeutschland ein Hauptgrund der Schwäche liegt, die sich
in deutschen Angelegenheiten offenbart. Es sind hier zwei Kräfte in
Verbindung gebracht, die nach entgegengesetzter Seite ziehen. Viel
besser wird es meiner Ansicht nach sein, wenn durch eine wirkliche
Trennung jeder ihr eigentlicher Wirkungskreis angewiesen würde;
denn ein ostdeutsches und westdeutsches Reich würden immerhin
deutsche Reiche bleiben, die sich gegenseitig schirmten und deckten.

Mit allem Uebrigen, was Schuselka und zwar trefflich sagt,
können wir uns vollkommen einverstanden erklären; denn allerdings
liegt nicht blos in jenein Dualismus die Schwäche Deutschlands.
Die Weltmeere sind die Träger der Weltgeschichte, und eine Macht,
die auf der See keine Stimme führt, ist keine Macht. Dies er-


zwei Köpfe auf Einem Körper, die wollen sich nicht miteinander ver¬
tragen. Da wir einmal bei der römischen Geschichte sind, wollen
wir noch einen Augenblick dabei verweilen. So lange das Reich
der Römer nur mit dem Parther im Osten zu kämpfen hatte, war
es möglich, diese ungeheuere Masse zusammenzuhalten. ES reichte
ein einziges Centrum hin, und dieses war Rom. AIS aber die
Deutschen noch im Norden und Nordwesten, mächtig wurden, und
nun die Gefahr von Norden und Osten gleich drohend hereinbrach,
da genügte weder Ein Oberhaupt noch Eine Hauptstadt mehr. Von
Rom aus konnte man den Deutschen begegnen, aber Byzanz war
die östliche Hauptstadt, so nothwendig als Rom, um der aufgehen¬
den Sonne der orientalischen Macht Stand zu halten. Lange be¬
vor die Theilung des Reiches in ein oströmisches und weströmisches
amtlich erklärt wurde, war sie in der Thatsache vollendet. Ist es
mit dem deutschen Reiche anders? Lange hatten wir nur Eine Ge¬
fahr zu bekämpfen, die vom Westen; seit beinahe einem Jahrhun¬
derte ist auch noch die östliche dazu gekommen. Das deutsche Reich
ist auseinander gefallen. Parther und Germanen — Russen und Fran¬
zosen, Ostrom und Westrom -- Ostdeutschland und Westdeutschland,
Wien und Berlin — Konstantinopel und Rom, das sind Punkte, de¬
ren Parallelismus sich nicht verkennen läßt.

In der Trennung des oströmischen und weströmischen Reiches
lag mehr Kraft, als in der scheinbaren Vereinigung, denn beide
blieben — römisch. So scheint mir wenigstens, — ich würde mich
sehr gern irren, — daß in der scheinbaren Vereinigung von Ost-
und Westdeutschland ein Hauptgrund der Schwäche liegt, die sich
in deutschen Angelegenheiten offenbart. Es sind hier zwei Kräfte in
Verbindung gebracht, die nach entgegengesetzter Seite ziehen. Viel
besser wird es meiner Ansicht nach sein, wenn durch eine wirkliche
Trennung jeder ihr eigentlicher Wirkungskreis angewiesen würde;
denn ein ostdeutsches und westdeutsches Reich würden immerhin
deutsche Reiche bleiben, die sich gegenseitig schirmten und deckten.

Mit allem Uebrigen, was Schuselka und zwar trefflich sagt,
können wir uns vollkommen einverstanden erklären; denn allerdings
liegt nicht blos in jenein Dualismus die Schwäche Deutschlands.
Die Weltmeere sind die Träger der Weltgeschichte, und eine Macht,
die auf der See keine Stimme führt, ist keine Macht. Dies er-


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[0299] zwei Köpfe auf Einem Körper, die wollen sich nicht miteinander ver¬ tragen. Da wir einmal bei der römischen Geschichte sind, wollen wir noch einen Augenblick dabei verweilen. So lange das Reich der Römer nur mit dem Parther im Osten zu kämpfen hatte, war es möglich, diese ungeheuere Masse zusammenzuhalten. ES reichte ein einziges Centrum hin, und dieses war Rom. AIS aber die Deutschen noch im Norden und Nordwesten, mächtig wurden, und nun die Gefahr von Norden und Osten gleich drohend hereinbrach, da genügte weder Ein Oberhaupt noch Eine Hauptstadt mehr. Von Rom aus konnte man den Deutschen begegnen, aber Byzanz war die östliche Hauptstadt, so nothwendig als Rom, um der aufgehen¬ den Sonne der orientalischen Macht Stand zu halten. Lange be¬ vor die Theilung des Reiches in ein oströmisches und weströmisches amtlich erklärt wurde, war sie in der Thatsache vollendet. Ist es mit dem deutschen Reiche anders? Lange hatten wir nur Eine Ge¬ fahr zu bekämpfen, die vom Westen; seit beinahe einem Jahrhun¬ derte ist auch noch die östliche dazu gekommen. Das deutsche Reich ist auseinander gefallen. Parther und Germanen — Russen und Fran¬ zosen, Ostrom und Westrom -- Ostdeutschland und Westdeutschland, Wien und Berlin — Konstantinopel und Rom, das sind Punkte, de¬ ren Parallelismus sich nicht verkennen läßt. In der Trennung des oströmischen und weströmischen Reiches lag mehr Kraft, als in der scheinbaren Vereinigung, denn beide blieben — römisch. So scheint mir wenigstens, — ich würde mich sehr gern irren, — daß in der scheinbaren Vereinigung von Ost- und Westdeutschland ein Hauptgrund der Schwäche liegt, die sich in deutschen Angelegenheiten offenbart. Es sind hier zwei Kräfte in Verbindung gebracht, die nach entgegengesetzter Seite ziehen. Viel besser wird es meiner Ansicht nach sein, wenn durch eine wirkliche Trennung jeder ihr eigentlicher Wirkungskreis angewiesen würde; denn ein ostdeutsches und westdeutsches Reich würden immerhin deutsche Reiche bleiben, die sich gegenseitig schirmten und deckten. Mit allem Uebrigen, was Schuselka und zwar trefflich sagt, können wir uns vollkommen einverstanden erklären; denn allerdings liegt nicht blos in jenein Dualismus die Schwäche Deutschlands. Die Weltmeere sind die Träger der Weltgeschichte, und eine Macht, die auf der See keine Stimme führt, ist keine Macht. Dies er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/299>, abgerufen am 05.02.2025.