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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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mit den beiden Worten- Unterthäni'gkeit und Gleichheit oder auch
gleichmäßige Unterthänigkeit, oder auch unterthänige Gleichheit be¬
zeichnen kann. Nun aber fängt man an, sich hierin unbehaglich zu fühlen;
zur Erkenntniß der Gleichheit ist man gekommen und hat an sich
selbst erfahren, welche verderbliche Folgen die Selbstüberschätzung je¬
des Einzelnen nach sich zieht. Man erhebt sich nun zu dein Be¬
griffe einer gleichmäßigen Berechtigung Aller. Man sieht ein, daß
Keiner der Klügste, Beste, Erste ist, daß Jeder andere Fehler, andere
Vorzüge hat, die sich ausgleichen. Jeder entschließt sich, (um die
größere Hälfte seiner Selbstständigkeit und Freiheit desto sicherer zu
behalten), einen Theil seiner Selbstständigkeit herzuschießen, damit
gemeinschaftlich eine Selbstständigkeit oder Individualität höheren
Ranges gebildet werde, an welcher Alle Antheil haben, nämlich die
Individualität eines freien Staates, unter dessen Schutz Alle frei
und sicher sind. Daraus entstehen diejenigen Zustände, welche man
sich unter den beiden Worten: Freiheit und Gleichheit oder gleich¬
mäßige Freiheit -- Oe,um Ubertus sagt Tacitus) -- gedacht und
welche man auch schon hie und da mehr oder weniger erreicht hat.
Wenn in Staaten Einzelne diesen Bildungsgang durchlaufen haben,
werden es die Völker, als Individuen höheren Ranges, vielleicht
auch thun? -- werden sie es thun können? Wenn die Nationen
gegenwärtig in einem Kriege Aller gegen Alle leben -- (und zwar
im Frieden ebenso sehr wie in, Kriege) -- muß das immer so sein,
oder werden sie -- jede einen Theil ihrer Selbstständigkeit hergebend
-- zusammenlegen zur Bildung eines höheren Staates, in welchem
nicht Einzelne, sondern einzelne Völker die Bürger sind? Wir kön¬
nen nur hoffen, daß es geschehen werde, und die nordamerikanischen
Freistaaten gehen uns mit gutem Beispiele voran. Für uns Deut¬
sche zunächst aber nun zwei Bemerkungen: Jene Auffassung der Na¬
tionalität, welche immer nur sich selbst an die Spitze stellt, alle übri¬
gen Nationen unter sich erblickt, und nicht zur Freiheit und Gleich¬
heit der Völker untereinander, sondern zum Krieg und zur Unter¬
werfung führt, -- sie ist nicht auf deutschem Boden entstanden, son¬
dern erst von romanischen Völkern zu uns übertragen worden. Die
Franken bemächtigten sich ihrer zuerst nach der Eroberung Galliens;
deshalb machten sie sich die Centralisation der deutschen Stämme
zur Aufgabe, daher unter ihnen Kämpfe mit den Burgundern, Ale-


. Al*

mit den beiden Worten- Unterthäni'gkeit und Gleichheit oder auch
gleichmäßige Unterthänigkeit, oder auch unterthänige Gleichheit be¬
zeichnen kann. Nun aber fängt man an, sich hierin unbehaglich zu fühlen;
zur Erkenntniß der Gleichheit ist man gekommen und hat an sich
selbst erfahren, welche verderbliche Folgen die Selbstüberschätzung je¬
des Einzelnen nach sich zieht. Man erhebt sich nun zu dein Be¬
griffe einer gleichmäßigen Berechtigung Aller. Man sieht ein, daß
Keiner der Klügste, Beste, Erste ist, daß Jeder andere Fehler, andere
Vorzüge hat, die sich ausgleichen. Jeder entschließt sich, (um die
größere Hälfte seiner Selbstständigkeit und Freiheit desto sicherer zu
behalten), einen Theil seiner Selbstständigkeit herzuschießen, damit
gemeinschaftlich eine Selbstständigkeit oder Individualität höheren
Ranges gebildet werde, an welcher Alle Antheil haben, nämlich die
Individualität eines freien Staates, unter dessen Schutz Alle frei
und sicher sind. Daraus entstehen diejenigen Zustände, welche man
sich unter den beiden Worten: Freiheit und Gleichheit oder gleich¬
mäßige Freiheit — Oe,um Ubertus sagt Tacitus) — gedacht und
welche man auch schon hie und da mehr oder weniger erreicht hat.
Wenn in Staaten Einzelne diesen Bildungsgang durchlaufen haben,
werden es die Völker, als Individuen höheren Ranges, vielleicht
auch thun? — werden sie es thun können? Wenn die Nationen
gegenwärtig in einem Kriege Aller gegen Alle leben — (und zwar
im Frieden ebenso sehr wie in, Kriege) — muß das immer so sein,
oder werden sie — jede einen Theil ihrer Selbstständigkeit hergebend
— zusammenlegen zur Bildung eines höheren Staates, in welchem
nicht Einzelne, sondern einzelne Völker die Bürger sind? Wir kön¬
nen nur hoffen, daß es geschehen werde, und die nordamerikanischen
Freistaaten gehen uns mit gutem Beispiele voran. Für uns Deut¬
sche zunächst aber nun zwei Bemerkungen: Jene Auffassung der Na¬
tionalität, welche immer nur sich selbst an die Spitze stellt, alle übri¬
gen Nationen unter sich erblickt, und nicht zur Freiheit und Gleich¬
heit der Völker untereinander, sondern zum Krieg und zur Unter¬
werfung führt, — sie ist nicht auf deutschem Boden entstanden, son¬
dern erst von romanischen Völkern zu uns übertragen worden. Die
Franken bemächtigten sich ihrer zuerst nach der Eroberung Galliens;
deshalb machten sie sich die Centralisation der deutschen Stämme
zur Aufgabe, daher unter ihnen Kämpfe mit den Burgundern, Ale-


. Al*
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[0295] mit den beiden Worten- Unterthäni'gkeit und Gleichheit oder auch gleichmäßige Unterthänigkeit, oder auch unterthänige Gleichheit be¬ zeichnen kann. Nun aber fängt man an, sich hierin unbehaglich zu fühlen; zur Erkenntniß der Gleichheit ist man gekommen und hat an sich selbst erfahren, welche verderbliche Folgen die Selbstüberschätzung je¬ des Einzelnen nach sich zieht. Man erhebt sich nun zu dein Be¬ griffe einer gleichmäßigen Berechtigung Aller. Man sieht ein, daß Keiner der Klügste, Beste, Erste ist, daß Jeder andere Fehler, andere Vorzüge hat, die sich ausgleichen. Jeder entschließt sich, (um die größere Hälfte seiner Selbstständigkeit und Freiheit desto sicherer zu behalten), einen Theil seiner Selbstständigkeit herzuschießen, damit gemeinschaftlich eine Selbstständigkeit oder Individualität höheren Ranges gebildet werde, an welcher Alle Antheil haben, nämlich die Individualität eines freien Staates, unter dessen Schutz Alle frei und sicher sind. Daraus entstehen diejenigen Zustände, welche man sich unter den beiden Worten: Freiheit und Gleichheit oder gleich¬ mäßige Freiheit — Oe,um Ubertus sagt Tacitus) — gedacht und welche man auch schon hie und da mehr oder weniger erreicht hat. Wenn in Staaten Einzelne diesen Bildungsgang durchlaufen haben, werden es die Völker, als Individuen höheren Ranges, vielleicht auch thun? — werden sie es thun können? Wenn die Nationen gegenwärtig in einem Kriege Aller gegen Alle leben — (und zwar im Frieden ebenso sehr wie in, Kriege) — muß das immer so sein, oder werden sie — jede einen Theil ihrer Selbstständigkeit hergebend — zusammenlegen zur Bildung eines höheren Staates, in welchem nicht Einzelne, sondern einzelne Völker die Bürger sind? Wir kön¬ nen nur hoffen, daß es geschehen werde, und die nordamerikanischen Freistaaten gehen uns mit gutem Beispiele voran. Für uns Deut¬ sche zunächst aber nun zwei Bemerkungen: Jene Auffassung der Na¬ tionalität, welche immer nur sich selbst an die Spitze stellt, alle übri¬ gen Nationen unter sich erblickt, und nicht zur Freiheit und Gleich¬ heit der Völker untereinander, sondern zum Krieg und zur Unter¬ werfung führt, — sie ist nicht auf deutschem Boden entstanden, son¬ dern erst von romanischen Völkern zu uns übertragen worden. Die Franken bemächtigten sich ihrer zuerst nach der Eroberung Galliens; deshalb machten sie sich die Centralisation der deutschen Stämme zur Aufgabe, daher unter ihnen Kämpfe mit den Burgundern, Ale- . Al*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/295>, abgerufen am 05.02.2025.