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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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um, wenn er durch Feld und Busch eilt, sich den Heimweg zu
sichern. Er läßt alle Staaten der civilisirten Welt an sich vorüber¬
gehe", um sie gegen Deutschland zu Halle", und zu zeigen, daß eS
das Herz von Europa ist, berufen, in Europa zwar nicht die Herr¬
schaft, aber die Meisterschaft zu führen. "Wir haben," sagt er am
Schluß, "diese europäische Rundschau durchweg vom deutschen Mit¬
telpunkt deö Welttheils aus vorgenommen und überall den deutschen
Kummer, den deutschen Zorn, die deutsche Hoffnung ehrlich und
warm vom Herzen und zum Herzen gesprochen,"

Wie aber die Begeisterung für Deutschland die ganze Schrift
durchdringt, welche jeder vaterländisch Gesinnte theilen wird; so läuft
neben ihr durch die ganze Schrift ein Hauptgebrechen, welches ihren
Werth bedeutend mindert, die Art nämlich, wie Schusclka den Begriff
der Nationalität aufgefaßt hat. Freilich steht er hierin nicht allein,
sondern gehört vielmehr jener Schule politischer Schriftsteller in Deutsch¬
land an, welche sich neuerdings wieder in den verflossenen dreißiger
Jahren gebildet und während des letzten Thiers--Ministerium am
lautesten hat vernehmen lassen. Nach ihnen beruht Nationalität auf
dem Gefühle, welches die zusammengezählten Deutschredendcn als eine
Ration an die Spitze aller Nationen stellt. Die Sache ist nicht neu.
Die Juden nannten sich das auserwählte Volk Gottes -- die Hel¬
lenen dünkten sich die vollkommensten Menschen und nannten die
Uebrigen Barbaren -- die Römer zeigten ihnen ihren Irrthum, mach¬
ten es aber ebenso -- die Franzosen sind die große Nation -- die
Engländer das erste Volk auf der ganzen Erde -- die Russen nicht
minder, und wenn die Jtaliciner nicht die ganze Welt in ihrer Ge-
walr haben, so ist das eine Ungerechtigkeit deö Himmels und der
Vorsehung, welche der heilige Vater nicht genug beklagen kann, und
wie eine zweite solche die Weltgeschichte nicht auszuweisen hat. Wo¬
hin sollen aber alle diese großartigen Nationalitäten führen? Wenn
in einer zusammenlebenden Bevölkerung jeder Einzelne sich für das
vorzüglichste, klügste, beste und erste Wesen hält, so ist die natürliche
Folge ein allgemeiner Krieg Aller gegen Alle. Dieser Krieg kann
verschiedenartig ausgehen, in der Regel endet er aber damit, daß
einige Wenige oder wohl gar nur ein Einziger sich die Uneinigkeit
der Uebrigen zu Nutze machen und alle zusammen ihrer Bvtmäßig-
eit unterwerfen. Daraus entstehen Zustände, die man am kürzesten


um, wenn er durch Feld und Busch eilt, sich den Heimweg zu
sichern. Er läßt alle Staaten der civilisirten Welt an sich vorüber¬
gehe», um sie gegen Deutschland zu Halle», und zu zeigen, daß eS
das Herz von Europa ist, berufen, in Europa zwar nicht die Herr¬
schaft, aber die Meisterschaft zu führen. „Wir haben," sagt er am
Schluß, „diese europäische Rundschau durchweg vom deutschen Mit¬
telpunkt deö Welttheils aus vorgenommen und überall den deutschen
Kummer, den deutschen Zorn, die deutsche Hoffnung ehrlich und
warm vom Herzen und zum Herzen gesprochen,"

Wie aber die Begeisterung für Deutschland die ganze Schrift
durchdringt, welche jeder vaterländisch Gesinnte theilen wird; so läuft
neben ihr durch die ganze Schrift ein Hauptgebrechen, welches ihren
Werth bedeutend mindert, die Art nämlich, wie Schusclka den Begriff
der Nationalität aufgefaßt hat. Freilich steht er hierin nicht allein,
sondern gehört vielmehr jener Schule politischer Schriftsteller in Deutsch¬
land an, welche sich neuerdings wieder in den verflossenen dreißiger
Jahren gebildet und während des letzten Thiers--Ministerium am
lautesten hat vernehmen lassen. Nach ihnen beruht Nationalität auf
dem Gefühle, welches die zusammengezählten Deutschredendcn als eine
Ration an die Spitze aller Nationen stellt. Die Sache ist nicht neu.
Die Juden nannten sich das auserwählte Volk Gottes — die Hel¬
lenen dünkten sich die vollkommensten Menschen und nannten die
Uebrigen Barbaren — die Römer zeigten ihnen ihren Irrthum, mach¬
ten es aber ebenso — die Franzosen sind die große Nation — die
Engländer das erste Volk auf der ganzen Erde — die Russen nicht
minder, und wenn die Jtaliciner nicht die ganze Welt in ihrer Ge-
walr haben, so ist das eine Ungerechtigkeit deö Himmels und der
Vorsehung, welche der heilige Vater nicht genug beklagen kann, und
wie eine zweite solche die Weltgeschichte nicht auszuweisen hat. Wo¬
hin sollen aber alle diese großartigen Nationalitäten führen? Wenn
in einer zusammenlebenden Bevölkerung jeder Einzelne sich für das
vorzüglichste, klügste, beste und erste Wesen hält, so ist die natürliche
Folge ein allgemeiner Krieg Aller gegen Alle. Dieser Krieg kann
verschiedenartig ausgehen, in der Regel endet er aber damit, daß
einige Wenige oder wohl gar nur ein Einziger sich die Uneinigkeit
der Uebrigen zu Nutze machen und alle zusammen ihrer Bvtmäßig-
eit unterwerfen. Daraus entstehen Zustände, die man am kürzesten


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[0294] um, wenn er durch Feld und Busch eilt, sich den Heimweg zu sichern. Er läßt alle Staaten der civilisirten Welt an sich vorüber¬ gehe», um sie gegen Deutschland zu Halle», und zu zeigen, daß eS das Herz von Europa ist, berufen, in Europa zwar nicht die Herr¬ schaft, aber die Meisterschaft zu führen. „Wir haben," sagt er am Schluß, „diese europäische Rundschau durchweg vom deutschen Mit¬ telpunkt deö Welttheils aus vorgenommen und überall den deutschen Kummer, den deutschen Zorn, die deutsche Hoffnung ehrlich und warm vom Herzen und zum Herzen gesprochen," Wie aber die Begeisterung für Deutschland die ganze Schrift durchdringt, welche jeder vaterländisch Gesinnte theilen wird; so läuft neben ihr durch die ganze Schrift ein Hauptgebrechen, welches ihren Werth bedeutend mindert, die Art nämlich, wie Schusclka den Begriff der Nationalität aufgefaßt hat. Freilich steht er hierin nicht allein, sondern gehört vielmehr jener Schule politischer Schriftsteller in Deutsch¬ land an, welche sich neuerdings wieder in den verflossenen dreißiger Jahren gebildet und während des letzten Thiers--Ministerium am lautesten hat vernehmen lassen. Nach ihnen beruht Nationalität auf dem Gefühle, welches die zusammengezählten Deutschredendcn als eine Ration an die Spitze aller Nationen stellt. Die Sache ist nicht neu. Die Juden nannten sich das auserwählte Volk Gottes — die Hel¬ lenen dünkten sich die vollkommensten Menschen und nannten die Uebrigen Barbaren — die Römer zeigten ihnen ihren Irrthum, mach¬ ten es aber ebenso — die Franzosen sind die große Nation — die Engländer das erste Volk auf der ganzen Erde — die Russen nicht minder, und wenn die Jtaliciner nicht die ganze Welt in ihrer Ge- walr haben, so ist das eine Ungerechtigkeit deö Himmels und der Vorsehung, welche der heilige Vater nicht genug beklagen kann, und wie eine zweite solche die Weltgeschichte nicht auszuweisen hat. Wo¬ hin sollen aber alle diese großartigen Nationalitäten führen? Wenn in einer zusammenlebenden Bevölkerung jeder Einzelne sich für das vorzüglichste, klügste, beste und erste Wesen hält, so ist die natürliche Folge ein allgemeiner Krieg Aller gegen Alle. Dieser Krieg kann verschiedenartig ausgehen, in der Regel endet er aber damit, daß einige Wenige oder wohl gar nur ein Einziger sich die Uneinigkeit der Uebrigen zu Nutze machen und alle zusammen ihrer Bvtmäßig- eit unterwerfen. Daraus entstehen Zustände, die man am kürzesten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/294>, abgerufen am 05.02.2025.