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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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tigkeit kalt ließen. Es laßt sich überhaupt keinen Augenblick verkennen, daß
hier einesociale Umwälzung stattgefunden hat, ohne daß äußere Begeben¬
heiten dazu wesentlich beigetragen hatten. Wien ist durchaus nicht mehr
das ewig heitere Eldorado der Volkslust, wie ehedem, und der Geist
des hiesigen Lebens ist ein entschieden ernsterer geworden. Die Rich¬
tungen der Zeit, die Fragen des Tages haben die Kreise der Gesell¬
schaft nie so unmittelbar beschäftigt, als eben jetzt, und mag nun die¬
ser Wandel eine Folge der immer schwieriger werdenden Erwerbsvcr-
hältnisse sein, oder eine Rückwirkung der im benachbarten deutschen
Bruderlande herrschenden geistigen Schwingungen, gleichviel, er hat
sich einmal festgestellt und zur vollendeten Thatsache herausgebildet,
gegen welche keine Diplomatie mehr etwas auszurichten vermag. Am
schlimmsten fahren bei dem Wechsel allerdings die Damen, denen sich
nach und nach die Männer von Geist, Talent und Ehrgeiz entziehen
und welche nun einzig auf die Mittelmäßigkeit und das Gcckenthum
angewiesen zu sein fürchten: Während die Gesellschaftskreise verein¬
samen, nimmt das Clubbwesen der Männer überHand, und je gerin¬
ger in der Regel das Interesse ist, welches unsere Frauenwelt an po¬
litischen Bildungen und den Bewegungen des öffentlichen Lebens
nimmt, desto feuriger erwacht die Sehnsucht der Männer nach einer
Eonversarion, die mehr Höhe und Tiefe besitzt, als sie leider in un¬
seren Salons im Allgemeinen gefunden wird. Selbst unsere so viel¬
fach gehemmte und geknebelte Journalistik zeigt bereits diese jüngste
Wendung des öffentlichen Geistes, und man braucht blos z. B. die
zwei jüngsten Blätter, die "Sonntagsblatter" von Dr. Fränkl und die
"Gegenwart" von Schuhmacher, zur Hand zu nehmen, um zu be¬
merken, wie grell die Haltung dieser beiden Zeitschriften gegen den in
den älteren Journalen herrschenden Ton absticht. Bei aller Loyalität
tritt doch schon eine gewisse Mündigkeit des Urtheils, eine Selbst-
ständigkeit der Meinung hervor, die gegen das Klatschsystem und
nichtige Notizenwesen der andern sehr vortheilhaft absticht, und am
Meisten muß es uns gefallen, daß diese beiden Journale, statt
dem Theater- und Musikwesen die Oberhand zu lassen, würdi¬
gere Dinge, wichtigere Interessen der Heimat in den Kreis der Erör¬
terungen ziehen. Ist diese Erörterung auch keineswegs immN ganz
erschöpfend und practisch zu nennen, wie es die Aufgabe der Publi-
cistik sein soll, so muß man sie gleichwohl als einen wohlgemeinten
Versuch aufmuntern und sie als den Anfang eines Selbstunterrichtes
freudig begrüßen, der, fleißig fortgesetzt, doch endlich zur Meisterschaft
führen wird.

Im Hofburgthcatcr ging eine Novität über die Bretter, ohne
den mindesten Anklang zu finden. Es war das Drama "Ulrike" von
Kaltenbrunner, ein schwaches Product, das nur in der Nachahmung
ein Heil sucht und sowohl der dramatischen Wirkung als des lyri-


tigkeit kalt ließen. Es laßt sich überhaupt keinen Augenblick verkennen, daß
hier einesociale Umwälzung stattgefunden hat, ohne daß äußere Begeben¬
heiten dazu wesentlich beigetragen hatten. Wien ist durchaus nicht mehr
das ewig heitere Eldorado der Volkslust, wie ehedem, und der Geist
des hiesigen Lebens ist ein entschieden ernsterer geworden. Die Rich¬
tungen der Zeit, die Fragen des Tages haben die Kreise der Gesell¬
schaft nie so unmittelbar beschäftigt, als eben jetzt, und mag nun die¬
ser Wandel eine Folge der immer schwieriger werdenden Erwerbsvcr-
hältnisse sein, oder eine Rückwirkung der im benachbarten deutschen
Bruderlande herrschenden geistigen Schwingungen, gleichviel, er hat
sich einmal festgestellt und zur vollendeten Thatsache herausgebildet,
gegen welche keine Diplomatie mehr etwas auszurichten vermag. Am
schlimmsten fahren bei dem Wechsel allerdings die Damen, denen sich
nach und nach die Männer von Geist, Talent und Ehrgeiz entziehen
und welche nun einzig auf die Mittelmäßigkeit und das Gcckenthum
angewiesen zu sein fürchten: Während die Gesellschaftskreise verein¬
samen, nimmt das Clubbwesen der Männer überHand, und je gerin¬
ger in der Regel das Interesse ist, welches unsere Frauenwelt an po¬
litischen Bildungen und den Bewegungen des öffentlichen Lebens
nimmt, desto feuriger erwacht die Sehnsucht der Männer nach einer
Eonversarion, die mehr Höhe und Tiefe besitzt, als sie leider in un¬
seren Salons im Allgemeinen gefunden wird. Selbst unsere so viel¬
fach gehemmte und geknebelte Journalistik zeigt bereits diese jüngste
Wendung des öffentlichen Geistes, und man braucht blos z. B. die
zwei jüngsten Blätter, die „Sonntagsblatter" von Dr. Fränkl und die
„Gegenwart" von Schuhmacher, zur Hand zu nehmen, um zu be¬
merken, wie grell die Haltung dieser beiden Zeitschriften gegen den in
den älteren Journalen herrschenden Ton absticht. Bei aller Loyalität
tritt doch schon eine gewisse Mündigkeit des Urtheils, eine Selbst-
ständigkeit der Meinung hervor, die gegen das Klatschsystem und
nichtige Notizenwesen der andern sehr vortheilhaft absticht, und am
Meisten muß es uns gefallen, daß diese beiden Journale, statt
dem Theater- und Musikwesen die Oberhand zu lassen, würdi¬
gere Dinge, wichtigere Interessen der Heimat in den Kreis der Erör¬
terungen ziehen. Ist diese Erörterung auch keineswegs immN ganz
erschöpfend und practisch zu nennen, wie es die Aufgabe der Publi-
cistik sein soll, so muß man sie gleichwohl als einen wohlgemeinten
Versuch aufmuntern und sie als den Anfang eines Selbstunterrichtes
freudig begrüßen, der, fleißig fortgesetzt, doch endlich zur Meisterschaft
führen wird.

Im Hofburgthcatcr ging eine Novität über die Bretter, ohne
den mindesten Anklang zu finden. Es war das Drama „Ulrike" von
Kaltenbrunner, ein schwaches Product, das nur in der Nachahmung
ein Heil sucht und sowohl der dramatischen Wirkung als des lyri-


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[0278] tigkeit kalt ließen. Es laßt sich überhaupt keinen Augenblick verkennen, daß hier einesociale Umwälzung stattgefunden hat, ohne daß äußere Begeben¬ heiten dazu wesentlich beigetragen hatten. Wien ist durchaus nicht mehr das ewig heitere Eldorado der Volkslust, wie ehedem, und der Geist des hiesigen Lebens ist ein entschieden ernsterer geworden. Die Rich¬ tungen der Zeit, die Fragen des Tages haben die Kreise der Gesell¬ schaft nie so unmittelbar beschäftigt, als eben jetzt, und mag nun die¬ ser Wandel eine Folge der immer schwieriger werdenden Erwerbsvcr- hältnisse sein, oder eine Rückwirkung der im benachbarten deutschen Bruderlande herrschenden geistigen Schwingungen, gleichviel, er hat sich einmal festgestellt und zur vollendeten Thatsache herausgebildet, gegen welche keine Diplomatie mehr etwas auszurichten vermag. Am schlimmsten fahren bei dem Wechsel allerdings die Damen, denen sich nach und nach die Männer von Geist, Talent und Ehrgeiz entziehen und welche nun einzig auf die Mittelmäßigkeit und das Gcckenthum angewiesen zu sein fürchten: Während die Gesellschaftskreise verein¬ samen, nimmt das Clubbwesen der Männer überHand, und je gerin¬ ger in der Regel das Interesse ist, welches unsere Frauenwelt an po¬ litischen Bildungen und den Bewegungen des öffentlichen Lebens nimmt, desto feuriger erwacht die Sehnsucht der Männer nach einer Eonversarion, die mehr Höhe und Tiefe besitzt, als sie leider in un¬ seren Salons im Allgemeinen gefunden wird. Selbst unsere so viel¬ fach gehemmte und geknebelte Journalistik zeigt bereits diese jüngste Wendung des öffentlichen Geistes, und man braucht blos z. B. die zwei jüngsten Blätter, die „Sonntagsblatter" von Dr. Fränkl und die „Gegenwart" von Schuhmacher, zur Hand zu nehmen, um zu be¬ merken, wie grell die Haltung dieser beiden Zeitschriften gegen den in den älteren Journalen herrschenden Ton absticht. Bei aller Loyalität tritt doch schon eine gewisse Mündigkeit des Urtheils, eine Selbst- ständigkeit der Meinung hervor, die gegen das Klatschsystem und nichtige Notizenwesen der andern sehr vortheilhaft absticht, und am Meisten muß es uns gefallen, daß diese beiden Journale, statt dem Theater- und Musikwesen die Oberhand zu lassen, würdi¬ gere Dinge, wichtigere Interessen der Heimat in den Kreis der Erör¬ terungen ziehen. Ist diese Erörterung auch keineswegs immN ganz erschöpfend und practisch zu nennen, wie es die Aufgabe der Publi- cistik sein soll, so muß man sie gleichwohl als einen wohlgemeinten Versuch aufmuntern und sie als den Anfang eines Selbstunterrichtes freudig begrüßen, der, fleißig fortgesetzt, doch endlich zur Meisterschaft führen wird. Im Hofburgthcatcr ging eine Novität über die Bretter, ohne den mindesten Anklang zu finden. Es war das Drama „Ulrike" von Kaltenbrunner, ein schwaches Product, das nur in der Nachahmung ein Heil sucht und sowohl der dramatischen Wirkung als des lyri-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/278>, abgerufen am 05.02.2025.