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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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es auch nicht gezwungen.*) Allerdings gehört es, obwohl ohne Con-
stittttion, zu den gebildetsten und freiesten Ländern Italiens, so daß
man es mit Sachsen zu vergleichen pflegte. Neuere Touristen ver¬
gleichen es, treffender, mit Würtemverg.

Hier natürlich ist die kirchliche Partei entschieden für Rom. --
Uebrigens giebt es Erscheinungen, die, man möchte sagen, eine Ab¬
nahme des clericalischen Einflusses verrathen. A. B. Man erinnert sich
noch der Zeit, wo die ultramontane Presse die Erziehungsanstalten
des Staats anzuschwärzen, den Eltern, die ihre Söhne hinschickten,
Raupen in den Kopf zu setzen und die Sittlichkeit der Zöglinge auf
die unsinnigste Weise zu verleumden suchte. nächtliche Skandale
und grobe Excesse wurden regelmäßig den Studenten der Universitv
libre oder gar den Aöglingrn des Athenäums aufgebürdet. Jeden
Augenblick mußte der Studienpräsekt mit Erklärungen auftreten, um
zu beweisen, daß 1V - 12jährige Knaben aus anständigen Familien
schwerlich die Leute sein könnten, die um Mitternacht sich mit Be¬
trunkenen herumschlagen; oder, daß die Studenten der Universitv
libre gewisse Lokale niemals besuchen. Dergleichen Angriffe haben auf¬
gehört, oder geschehen nicht mehr aus dem Wege der Presse, son¬
dern im Beichtstuhl und auf den Kanzeln der Docfkirchen. Viel ha¬
ben dazu die Concurse beigetragen, die jährlich veranstaltet werden.
Jedes freie Gymnasium oder Athenäum, wie es hier heißt, stellt seine
Bewerber; die Preise werden durch eine Prüfungsjury (si"-> d'>!xui""n)
welcher die Namen der Concurrenten unbekannt bleiben, den besten
Ausarbeitungen zuerkannt. Aehnliche Concurse finden zwischen den
Universitäten von Brüssel, Gent und Lüttich statt. Aber nie haben
die katholischen Erziehungsanstalten oder die Universität von Löwen,
sich bei diesem geistigen Wettkampf zu betheiligen den Muth ge¬
habt!... Noch vor drei Jahren bestand vor dem Laekener Thore ein
großes Auskunftscomptoir, wo Dienstboten ihre Stellen und Familien
sich ihre Dienstboten suchten. Da wurde denn gar streng nach dem
kirchlichen Prinzip verfahren. Familien, die nicht streng katholisch
waren, wurden nicht nur nicht bedient, sondern förmlich in die Acht
gethan; die Köche und Köchinnen, die Kutscher und die Ammen, die
Mägde und Knechte, alle wurden unter sorgsamer Contcole gehalten.
Wehe Dem, der bei Ketzern oder Lauer jemals gedient hätte, der
nicht fleißig zur Beichte ging oder sich zu rapportiren weigerte, was
im Hause seiner Herrschaft vorging! Er bekam nie wieder eine
Stelle, nie eine Unterstützung. Nun, diese wohlthätige und tolerante
Anstalt ist im Herrn entschlafen. Eben so andere fromme Etablisse¬
ments, z. B. gewisse Estaminets, wo den auserwählten Gläubigen



*) In vielen Kreisen ist hier die Meinung verbreitet, der Großherzog von
Toscana habe nicht ohne die Zustimmung Oesterreichs gehandelt.

es auch nicht gezwungen.*) Allerdings gehört es, obwohl ohne Con-
stittttion, zu den gebildetsten und freiesten Ländern Italiens, so daß
man es mit Sachsen zu vergleichen pflegte. Neuere Touristen ver¬
gleichen es, treffender, mit Würtemverg.

Hier natürlich ist die kirchliche Partei entschieden für Rom. —
Uebrigens giebt es Erscheinungen, die, man möchte sagen, eine Ab¬
nahme des clericalischen Einflusses verrathen. A. B. Man erinnert sich
noch der Zeit, wo die ultramontane Presse die Erziehungsanstalten
des Staats anzuschwärzen, den Eltern, die ihre Söhne hinschickten,
Raupen in den Kopf zu setzen und die Sittlichkeit der Zöglinge auf
die unsinnigste Weise zu verleumden suchte. nächtliche Skandale
und grobe Excesse wurden regelmäßig den Studenten der Universitv
libre oder gar den Aöglingrn des Athenäums aufgebürdet. Jeden
Augenblick mußte der Studienpräsekt mit Erklärungen auftreten, um
zu beweisen, daß 1V - 12jährige Knaben aus anständigen Familien
schwerlich die Leute sein könnten, die um Mitternacht sich mit Be¬
trunkenen herumschlagen; oder, daß die Studenten der Universitv
libre gewisse Lokale niemals besuchen. Dergleichen Angriffe haben auf¬
gehört, oder geschehen nicht mehr aus dem Wege der Presse, son¬
dern im Beichtstuhl und auf den Kanzeln der Docfkirchen. Viel ha¬
ben dazu die Concurse beigetragen, die jährlich veranstaltet werden.
Jedes freie Gymnasium oder Athenäum, wie es hier heißt, stellt seine
Bewerber; die Preise werden durch eine Prüfungsjury (si»-> d'>!xui»«n)
welcher die Namen der Concurrenten unbekannt bleiben, den besten
Ausarbeitungen zuerkannt. Aehnliche Concurse finden zwischen den
Universitäten von Brüssel, Gent und Lüttich statt. Aber nie haben
die katholischen Erziehungsanstalten oder die Universität von Löwen,
sich bei diesem geistigen Wettkampf zu betheiligen den Muth ge¬
habt!... Noch vor drei Jahren bestand vor dem Laekener Thore ein
großes Auskunftscomptoir, wo Dienstboten ihre Stellen und Familien
sich ihre Dienstboten suchten. Da wurde denn gar streng nach dem
kirchlichen Prinzip verfahren. Familien, die nicht streng katholisch
waren, wurden nicht nur nicht bedient, sondern förmlich in die Acht
gethan; die Köche und Köchinnen, die Kutscher und die Ammen, die
Mägde und Knechte, alle wurden unter sorgsamer Contcole gehalten.
Wehe Dem, der bei Ketzern oder Lauer jemals gedient hätte, der
nicht fleißig zur Beichte ging oder sich zu rapportiren weigerte, was
im Hause seiner Herrschaft vorging! Er bekam nie wieder eine
Stelle, nie eine Unterstützung. Nun, diese wohlthätige und tolerante
Anstalt ist im Herrn entschlafen. Eben so andere fromme Etablisse¬
ments, z. B. gewisse Estaminets, wo den auserwählten Gläubigen



*) In vielen Kreisen ist hier die Meinung verbreitet, der Großherzog von
Toscana habe nicht ohne die Zustimmung Oesterreichs gehandelt.
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[0273] es auch nicht gezwungen.*) Allerdings gehört es, obwohl ohne Con- stittttion, zu den gebildetsten und freiesten Ländern Italiens, so daß man es mit Sachsen zu vergleichen pflegte. Neuere Touristen ver¬ gleichen es, treffender, mit Würtemverg. Hier natürlich ist die kirchliche Partei entschieden für Rom. — Uebrigens giebt es Erscheinungen, die, man möchte sagen, eine Ab¬ nahme des clericalischen Einflusses verrathen. A. B. Man erinnert sich noch der Zeit, wo die ultramontane Presse die Erziehungsanstalten des Staats anzuschwärzen, den Eltern, die ihre Söhne hinschickten, Raupen in den Kopf zu setzen und die Sittlichkeit der Zöglinge auf die unsinnigste Weise zu verleumden suchte. nächtliche Skandale und grobe Excesse wurden regelmäßig den Studenten der Universitv libre oder gar den Aöglingrn des Athenäums aufgebürdet. Jeden Augenblick mußte der Studienpräsekt mit Erklärungen auftreten, um zu beweisen, daß 1V - 12jährige Knaben aus anständigen Familien schwerlich die Leute sein könnten, die um Mitternacht sich mit Be¬ trunkenen herumschlagen; oder, daß die Studenten der Universitv libre gewisse Lokale niemals besuchen. Dergleichen Angriffe haben auf¬ gehört, oder geschehen nicht mehr aus dem Wege der Presse, son¬ dern im Beichtstuhl und auf den Kanzeln der Docfkirchen. Viel ha¬ ben dazu die Concurse beigetragen, die jährlich veranstaltet werden. Jedes freie Gymnasium oder Athenäum, wie es hier heißt, stellt seine Bewerber; die Preise werden durch eine Prüfungsjury (si»-> d'>!xui»«n) welcher die Namen der Concurrenten unbekannt bleiben, den besten Ausarbeitungen zuerkannt. Aehnliche Concurse finden zwischen den Universitäten von Brüssel, Gent und Lüttich statt. Aber nie haben die katholischen Erziehungsanstalten oder die Universität von Löwen, sich bei diesem geistigen Wettkampf zu betheiligen den Muth ge¬ habt!... Noch vor drei Jahren bestand vor dem Laekener Thore ein großes Auskunftscomptoir, wo Dienstboten ihre Stellen und Familien sich ihre Dienstboten suchten. Da wurde denn gar streng nach dem kirchlichen Prinzip verfahren. Familien, die nicht streng katholisch waren, wurden nicht nur nicht bedient, sondern förmlich in die Acht gethan; die Köche und Köchinnen, die Kutscher und die Ammen, die Mägde und Knechte, alle wurden unter sorgsamer Contcole gehalten. Wehe Dem, der bei Ketzern oder Lauer jemals gedient hätte, der nicht fleißig zur Beichte ging oder sich zu rapportiren weigerte, was im Hause seiner Herrschaft vorging! Er bekam nie wieder eine Stelle, nie eine Unterstützung. Nun, diese wohlthätige und tolerante Anstalt ist im Herrn entschlafen. Eben so andere fromme Etablisse¬ ments, z. B. gewisse Estaminets, wo den auserwählten Gläubigen *) In vielen Kreisen ist hier die Meinung verbreitet, der Großherzog von Toscana habe nicht ohne die Zustimmung Oesterreichs gehandelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/273>, abgerufen am 05.02.2025.