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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Staat und Privatpersonen beschränkt; sie verlangen keine Constitu-
tion, sondern nur eine Reform der heillosen Wirthschaft im römischen
Gerichts-- und Erziehungswesen und zu diesem Zweck die Zulassung
von Laien zu öffentlichen Stellen; mit einem Wort, sie fordern nur
ein bischen vernünftige Administration, wie sie jeder ordentliche Staats¬
haushalt um seines eigenen Vortheils willen gewahrt, wie sie Oe¬
sterreich wiederholt empfohlen, und Pius VlI. feierlich versprochen hat.
-- Die Presse in Frankreich und England läßt daher deutlich durch¬
blicken, daß sie den italienischen Patrioten nur etwas mehr Geschick
wünscht und daß sie dem Papa der Christenheit eine kleine Lection
von Herzen gönnen möchte. Vor Allem hofft man eine diplomatische
oder vielmehr moralische Intervention der französischen und eng¬
lischen Regierung; vielleicht, sagt man, würden dann die wohlmei¬
nenden Rathschlage, welche Oesterreich dem Papste gegeben hat,
ernsthafter wirken. Die Democratie pacifique schlagt sogar einen per¬
manenten Congreß (nicht -V !,>, Lonxi'of <le V"r"n->) vor, um den
Italienern auf den Weg des gesetzlichen Fortschritts, den man
ihnen mit wohlfeilen Rath empfiehlt, durch wirkliche That zu helfen.
-- Sie wissen, wie das edle Benehmen des Großherzogs von Tos-
cana, der die flüchtigen Nomagnolen nach Frankreich schickte, statt sie
auszuliefern, von den Florentinern aufgenommen ward. Als er in
seine Loge im Theater Pergala trat, ward er vom Publikum unter
Thränen der Rührung, unter dem Jubel der Frauen und Kinder, mit
Rosen bekränzt und mit Blumen überschüttet. Hier konnte man
wirklich von ungeheuchelten Thränen und wahrhaftem Jubel eines
Volks über seinen Fürsten sprechen. Und diese köstliche Scene, für
die ein historischer Maler sein letztes Hemd weggeben dürfte, beweist
sie nicht ebenfalls, daß die Sache der italienischen Patrioten kein
bloßes Geschrei einzelner Abenteurer ist? -- Aber der Liberalismus, den
die Großherzoge Toscanas von jeher bewiesen, hat noch eine andere
lehrreiche Seite. Auch Italien ist zerstückelt, und wenn es keinen
sichtbaren italienischen Bundestag giebt, so giebt es eine sehr sicht¬
bare und große italienische Bundesmacht. Jedenfalls fehlt es in
Toscana nicht an Gelegenheit zu tausenderlei kleinen Rücksichten, und
die Großherzoge könnten bei Veranlassungen, wie die letzte war, ihre
Popularität recht wohlfeil retten und mit freundlichem Achselzucken
sagen: "Ihr wißt, wir sind liberal; wir möchten gern, aber wir
können nicht; wir sind ein kleiner Staat, eingeklemmt zwischen des¬
potischen Ländern, mit denen wir in gutem Einvernehmen bleiben
müssen, also ?c." Es giebt wirklich kleine liberale Staaten, die so
reden und innerlich froh sind, wenn sie von Andern gezwungen wer¬
den, gegen ihren angeblichen Liberalismus zu handeln. Toscana da¬
gegen meint es ernst und weil es sich nicht gern zwingen laßt, wird


Staat und Privatpersonen beschränkt; sie verlangen keine Constitu-
tion, sondern nur eine Reform der heillosen Wirthschaft im römischen
Gerichts-- und Erziehungswesen und zu diesem Zweck die Zulassung
von Laien zu öffentlichen Stellen; mit einem Wort, sie fordern nur
ein bischen vernünftige Administration, wie sie jeder ordentliche Staats¬
haushalt um seines eigenen Vortheils willen gewahrt, wie sie Oe¬
sterreich wiederholt empfohlen, und Pius VlI. feierlich versprochen hat.
— Die Presse in Frankreich und England läßt daher deutlich durch¬
blicken, daß sie den italienischen Patrioten nur etwas mehr Geschick
wünscht und daß sie dem Papa der Christenheit eine kleine Lection
von Herzen gönnen möchte. Vor Allem hofft man eine diplomatische
oder vielmehr moralische Intervention der französischen und eng¬
lischen Regierung; vielleicht, sagt man, würden dann die wohlmei¬
nenden Rathschlage, welche Oesterreich dem Papste gegeben hat,
ernsthafter wirken. Die Democratie pacifique schlagt sogar einen per¬
manenten Congreß (nicht -V !,>, Lonxi'of <le V«r«n->) vor, um den
Italienern auf den Weg des gesetzlichen Fortschritts, den man
ihnen mit wohlfeilen Rath empfiehlt, durch wirkliche That zu helfen.
— Sie wissen, wie das edle Benehmen des Großherzogs von Tos-
cana, der die flüchtigen Nomagnolen nach Frankreich schickte, statt sie
auszuliefern, von den Florentinern aufgenommen ward. Als er in
seine Loge im Theater Pergala trat, ward er vom Publikum unter
Thränen der Rührung, unter dem Jubel der Frauen und Kinder, mit
Rosen bekränzt und mit Blumen überschüttet. Hier konnte man
wirklich von ungeheuchelten Thränen und wahrhaftem Jubel eines
Volks über seinen Fürsten sprechen. Und diese köstliche Scene, für
die ein historischer Maler sein letztes Hemd weggeben dürfte, beweist
sie nicht ebenfalls, daß die Sache der italienischen Patrioten kein
bloßes Geschrei einzelner Abenteurer ist? — Aber der Liberalismus, den
die Großherzoge Toscanas von jeher bewiesen, hat noch eine andere
lehrreiche Seite. Auch Italien ist zerstückelt, und wenn es keinen
sichtbaren italienischen Bundestag giebt, so giebt es eine sehr sicht¬
bare und große italienische Bundesmacht. Jedenfalls fehlt es in
Toscana nicht an Gelegenheit zu tausenderlei kleinen Rücksichten, und
die Großherzoge könnten bei Veranlassungen, wie die letzte war, ihre
Popularität recht wohlfeil retten und mit freundlichem Achselzucken
sagen: „Ihr wißt, wir sind liberal; wir möchten gern, aber wir
können nicht; wir sind ein kleiner Staat, eingeklemmt zwischen des¬
potischen Ländern, mit denen wir in gutem Einvernehmen bleiben
müssen, also ?c." Es giebt wirklich kleine liberale Staaten, die so
reden und innerlich froh sind, wenn sie von Andern gezwungen wer¬
den, gegen ihren angeblichen Liberalismus zu handeln. Toscana da¬
gegen meint es ernst und weil es sich nicht gern zwingen laßt, wird


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[0272] Staat und Privatpersonen beschränkt; sie verlangen keine Constitu- tion, sondern nur eine Reform der heillosen Wirthschaft im römischen Gerichts-- und Erziehungswesen und zu diesem Zweck die Zulassung von Laien zu öffentlichen Stellen; mit einem Wort, sie fordern nur ein bischen vernünftige Administration, wie sie jeder ordentliche Staats¬ haushalt um seines eigenen Vortheils willen gewahrt, wie sie Oe¬ sterreich wiederholt empfohlen, und Pius VlI. feierlich versprochen hat. — Die Presse in Frankreich und England läßt daher deutlich durch¬ blicken, daß sie den italienischen Patrioten nur etwas mehr Geschick wünscht und daß sie dem Papa der Christenheit eine kleine Lection von Herzen gönnen möchte. Vor Allem hofft man eine diplomatische oder vielmehr moralische Intervention der französischen und eng¬ lischen Regierung; vielleicht, sagt man, würden dann die wohlmei¬ nenden Rathschlage, welche Oesterreich dem Papste gegeben hat, ernsthafter wirken. Die Democratie pacifique schlagt sogar einen per¬ manenten Congreß (nicht -V !,>, Lonxi'of <le V«r«n->) vor, um den Italienern auf den Weg des gesetzlichen Fortschritts, den man ihnen mit wohlfeilen Rath empfiehlt, durch wirkliche That zu helfen. — Sie wissen, wie das edle Benehmen des Großherzogs von Tos- cana, der die flüchtigen Nomagnolen nach Frankreich schickte, statt sie auszuliefern, von den Florentinern aufgenommen ward. Als er in seine Loge im Theater Pergala trat, ward er vom Publikum unter Thränen der Rührung, unter dem Jubel der Frauen und Kinder, mit Rosen bekränzt und mit Blumen überschüttet. Hier konnte man wirklich von ungeheuchelten Thränen und wahrhaftem Jubel eines Volks über seinen Fürsten sprechen. Und diese köstliche Scene, für die ein historischer Maler sein letztes Hemd weggeben dürfte, beweist sie nicht ebenfalls, daß die Sache der italienischen Patrioten kein bloßes Geschrei einzelner Abenteurer ist? — Aber der Liberalismus, den die Großherzoge Toscanas von jeher bewiesen, hat noch eine andere lehrreiche Seite. Auch Italien ist zerstückelt, und wenn es keinen sichtbaren italienischen Bundestag giebt, so giebt es eine sehr sicht¬ bare und große italienische Bundesmacht. Jedenfalls fehlt es in Toscana nicht an Gelegenheit zu tausenderlei kleinen Rücksichten, und die Großherzoge könnten bei Veranlassungen, wie die letzte war, ihre Popularität recht wohlfeil retten und mit freundlichem Achselzucken sagen: „Ihr wißt, wir sind liberal; wir möchten gern, aber wir können nicht; wir sind ein kleiner Staat, eingeklemmt zwischen des¬ potischen Ländern, mit denen wir in gutem Einvernehmen bleiben müssen, also ?c." Es giebt wirklich kleine liberale Staaten, die so reden und innerlich froh sind, wenn sie von Andern gezwungen wer¬ den, gegen ihren angeblichen Liberalismus zu handeln. Toscana da¬ gegen meint es ernst und weil es sich nicht gern zwingen laßt, wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/272>, abgerufen am 05.02.2025.