Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Rückkehr ins Kloster werden alle drei vom Rector besonders verhört,
und müssen einzeln genauen Bericht erstatten über jedes kleinste vor¬
gefallene Ereigniß.

So getrennt von allem Leben, getrennt von jeder nicht zum
Zwecke des Ordens passenden Wissenschaft, getrennt von aller Poesie
deö Daseins, gehemmt nicht nur in der Freiheit des Handelns, son¬
dern auch des Willens, wird der Zögling zu seinem Beruf einge¬
weiht. Man sollte hier lauter unfreiwillig gebundene Jünglinge ver¬
muthen! und doch ists nicht so. Der größere Theil der ältern
Alumnen schätzt sich wahrhaft glücklich. Die Erziehungsart ist so
zweckdienlich erdacht, als die oben berührte vielverzweigte Ordens-
ketie selbst. Nur wer ein solches Institut aus eigner Anschauung
kennt, und, wie ich, mit den Donnern asketischer Erbauungs- und
SchrcckenSredcn Sturm laufen sah gegen sein eignes Herz, wird mich
begreifen. Der Mensch wird hier in wenig Jahren ein andrer.
Alle Gefühle, die man bei uns edel und erhaben nennt, verstum-
pfen, und er ist's gewohnt, in dem Willen der Vorgesetzten nichts
anderes mehr, als die lebendige Stimme seines Gottes zu erkennen. Wir
alle beugen uns in Demuth vor Gott. Die ganze Kunst besteht
also darin, an die Seite des allwaltenden, gütigen Vaters über den
Sternen die Constitutionen des Jesuitengenerals zu pflanzen. Dies
gelingt in unserer Propaganda vollkommen, und die Propagandisten
kämpfen für ihre Ueberzeugung, wie wir alle nach unserer Ueber¬
zeugung handeln, denn jede Ueberzeugung bleibt, trotz aller philoso¬
phischen Definitionen, in Religionssachen immer mehr oder weniger
individuell.

Wie weit schon in wenigen Jahren ein solches Leben führt, will
ich nur an zwei Beispielen der mehr erwähnten piav vonsuetullinos
zeigen. Ein Alumnus kniet während der Tischzeit mitten in den
Speisesaal, und spricht die offene Schuld. Dann kriecht er auf allen
Vieren unter den Tischen hin, und küßt jedem Zöglinge die Füße.
Diese Buße hat er sich selbst freiwillig, aber mit vorher eingeholter
Erlaubniß der Vorstände aufgelegt. -- Ein anderer tritt auf den
Katheder, und legt vor allen Alumnen ein offenes Bekenntniß seiner
Sünden (offene Beichte) ab: dies ist ebenfalls eine freiwillige Buße
und zugleich ein Mittel zur Bekämpfung der Selbstliebe. Auch er
handelte mit Erlaubniß der Obern. Das habe ich mit eignen An-


Rückkehr ins Kloster werden alle drei vom Rector besonders verhört,
und müssen einzeln genauen Bericht erstatten über jedes kleinste vor¬
gefallene Ereigniß.

So getrennt von allem Leben, getrennt von jeder nicht zum
Zwecke des Ordens passenden Wissenschaft, getrennt von aller Poesie
deö Daseins, gehemmt nicht nur in der Freiheit des Handelns, son¬
dern auch des Willens, wird der Zögling zu seinem Beruf einge¬
weiht. Man sollte hier lauter unfreiwillig gebundene Jünglinge ver¬
muthen! und doch ists nicht so. Der größere Theil der ältern
Alumnen schätzt sich wahrhaft glücklich. Die Erziehungsart ist so
zweckdienlich erdacht, als die oben berührte vielverzweigte Ordens-
ketie selbst. Nur wer ein solches Institut aus eigner Anschauung
kennt, und, wie ich, mit den Donnern asketischer Erbauungs- und
SchrcckenSredcn Sturm laufen sah gegen sein eignes Herz, wird mich
begreifen. Der Mensch wird hier in wenig Jahren ein andrer.
Alle Gefühle, die man bei uns edel und erhaben nennt, verstum-
pfen, und er ist's gewohnt, in dem Willen der Vorgesetzten nichts
anderes mehr, als die lebendige Stimme seines Gottes zu erkennen. Wir
alle beugen uns in Demuth vor Gott. Die ganze Kunst besteht
also darin, an die Seite des allwaltenden, gütigen Vaters über den
Sternen die Constitutionen des Jesuitengenerals zu pflanzen. Dies
gelingt in unserer Propaganda vollkommen, und die Propagandisten
kämpfen für ihre Ueberzeugung, wie wir alle nach unserer Ueber¬
zeugung handeln, denn jede Ueberzeugung bleibt, trotz aller philoso¬
phischen Definitionen, in Religionssachen immer mehr oder weniger
individuell.

Wie weit schon in wenigen Jahren ein solches Leben führt, will
ich nur an zwei Beispielen der mehr erwähnten piav vonsuetullinos
zeigen. Ein Alumnus kniet während der Tischzeit mitten in den
Speisesaal, und spricht die offene Schuld. Dann kriecht er auf allen
Vieren unter den Tischen hin, und küßt jedem Zöglinge die Füße.
Diese Buße hat er sich selbst freiwillig, aber mit vorher eingeholter
Erlaubniß der Vorstände aufgelegt. — Ein anderer tritt auf den
Katheder, und legt vor allen Alumnen ein offenes Bekenntniß seiner
Sünden (offene Beichte) ab: dies ist ebenfalls eine freiwillige Buße
und zugleich ein Mittel zur Bekämpfung der Selbstliebe. Auch er
handelte mit Erlaubniß der Obern. Das habe ich mit eignen An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271520"/>
              <p xml:id="ID_723" prev="#ID_722"> Rückkehr ins Kloster werden alle drei vom Rector besonders verhört,<lb/>
und müssen einzeln genauen Bericht erstatten über jedes kleinste vor¬<lb/>
gefallene Ereigniß.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_724"> So getrennt von allem Leben, getrennt von jeder nicht zum<lb/>
Zwecke des Ordens passenden Wissenschaft, getrennt von aller Poesie<lb/>
deö Daseins, gehemmt nicht nur in der Freiheit des Handelns, son¬<lb/>
dern auch des Willens, wird der Zögling zu seinem Beruf einge¬<lb/>
weiht. Man sollte hier lauter unfreiwillig gebundene Jünglinge ver¬<lb/>
muthen! und doch ists nicht so. Der größere Theil der ältern<lb/>
Alumnen schätzt sich wahrhaft glücklich. Die Erziehungsart ist so<lb/>
zweckdienlich erdacht, als die oben berührte vielverzweigte Ordens-<lb/>
ketie selbst. Nur wer ein solches Institut aus eigner Anschauung<lb/>
kennt, und, wie ich, mit den Donnern asketischer Erbauungs- und<lb/>
SchrcckenSredcn Sturm laufen sah gegen sein eignes Herz, wird mich<lb/>
begreifen. Der Mensch wird hier in wenig Jahren ein andrer.<lb/>
Alle Gefühle, die man bei uns edel und erhaben nennt, verstum-<lb/>
pfen, und er ist's gewohnt, in dem Willen der Vorgesetzten nichts<lb/>
anderes mehr, als die lebendige Stimme seines Gottes zu erkennen. Wir<lb/>
alle beugen uns in Demuth vor Gott. Die ganze Kunst besteht<lb/>
also darin, an die Seite des allwaltenden, gütigen Vaters über den<lb/>
Sternen die Constitutionen des Jesuitengenerals zu pflanzen. Dies<lb/>
gelingt in unserer Propaganda vollkommen, und die Propagandisten<lb/>
kämpfen für ihre Ueberzeugung, wie wir alle nach unserer Ueber¬<lb/>
zeugung handeln, denn jede Ueberzeugung bleibt, trotz aller philoso¬<lb/>
phischen Definitionen, in Religionssachen immer mehr oder weniger<lb/>
individuell.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_725" next="#ID_726"> Wie weit schon in wenigen Jahren ein solches Leben führt, will<lb/>
ich nur an zwei Beispielen der mehr erwähnten piav vonsuetullinos<lb/>
zeigen. Ein Alumnus kniet während der Tischzeit mitten in den<lb/>
Speisesaal, und spricht die offene Schuld. Dann kriecht er auf allen<lb/>
Vieren unter den Tischen hin, und küßt jedem Zöglinge die Füße.<lb/>
Diese Buße hat er sich selbst freiwillig, aber mit vorher eingeholter<lb/>
Erlaubniß der Vorstände aufgelegt. &#x2014; Ein anderer tritt auf den<lb/>
Katheder, und legt vor allen Alumnen ein offenes Bekenntniß seiner<lb/>
Sünden (offene Beichte) ab: dies ist ebenfalls eine freiwillige Buße<lb/>
und zugleich ein Mittel zur Bekämpfung der Selbstliebe. Auch er<lb/>
handelte mit Erlaubniß der Obern. Das habe ich mit eignen An-</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] Rückkehr ins Kloster werden alle drei vom Rector besonders verhört, und müssen einzeln genauen Bericht erstatten über jedes kleinste vor¬ gefallene Ereigniß. So getrennt von allem Leben, getrennt von jeder nicht zum Zwecke des Ordens passenden Wissenschaft, getrennt von aller Poesie deö Daseins, gehemmt nicht nur in der Freiheit des Handelns, son¬ dern auch des Willens, wird der Zögling zu seinem Beruf einge¬ weiht. Man sollte hier lauter unfreiwillig gebundene Jünglinge ver¬ muthen! und doch ists nicht so. Der größere Theil der ältern Alumnen schätzt sich wahrhaft glücklich. Die Erziehungsart ist so zweckdienlich erdacht, als die oben berührte vielverzweigte Ordens- ketie selbst. Nur wer ein solches Institut aus eigner Anschauung kennt, und, wie ich, mit den Donnern asketischer Erbauungs- und SchrcckenSredcn Sturm laufen sah gegen sein eignes Herz, wird mich begreifen. Der Mensch wird hier in wenig Jahren ein andrer. Alle Gefühle, die man bei uns edel und erhaben nennt, verstum- pfen, und er ist's gewohnt, in dem Willen der Vorgesetzten nichts anderes mehr, als die lebendige Stimme seines Gottes zu erkennen. Wir alle beugen uns in Demuth vor Gott. Die ganze Kunst besteht also darin, an die Seite des allwaltenden, gütigen Vaters über den Sternen die Constitutionen des Jesuitengenerals zu pflanzen. Dies gelingt in unserer Propaganda vollkommen, und die Propagandisten kämpfen für ihre Ueberzeugung, wie wir alle nach unserer Ueber¬ zeugung handeln, denn jede Ueberzeugung bleibt, trotz aller philoso¬ phischen Definitionen, in Religionssachen immer mehr oder weniger individuell. Wie weit schon in wenigen Jahren ein solches Leben führt, will ich nur an zwei Beispielen der mehr erwähnten piav vonsuetullinos zeigen. Ein Alumnus kniet während der Tischzeit mitten in den Speisesaal, und spricht die offene Schuld. Dann kriecht er auf allen Vieren unter den Tischen hin, und küßt jedem Zöglinge die Füße. Diese Buße hat er sich selbst freiwillig, aber mit vorher eingeholter Erlaubniß der Vorstände aufgelegt. — Ein anderer tritt auf den Katheder, und legt vor allen Alumnen ein offenes Bekenntniß seiner Sünden (offene Beichte) ab: dies ist ebenfalls eine freiwillige Buße und zugleich ein Mittel zur Bekämpfung der Selbstliebe. Auch er handelte mit Erlaubniß der Obern. Das habe ich mit eignen An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/259>, abgerufen am 05.02.2025.