Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.den über die Hälfte dieser Summe, welche ihnen die russische Gro߬ Der Bürgermeister Czapka ist von seiner Reise durch Deutsch¬ Wenn ich hiermit das Kapitel der städtischen Desideria schließe, so ge- den über die Hälfte dieser Summe, welche ihnen die russische Gro߬ Der Bürgermeister Czapka ist von seiner Reise durch Deutsch¬ Wenn ich hiermit das Kapitel der städtischen Desideria schließe, so ge- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271490"/> <p xml:id="ID_646" prev="#ID_645"> den über die Hälfte dieser Summe, welche ihnen die russische Gro߬<lb/> muth zu Theil werden ließ. Es wurden wieder mehre Pferde zu<lb/> Tode gejagt, deren Verlust natürlich den Postmeistern vergütet ward.</p><lb/> <p xml:id="ID_647"> Der Bürgermeister Czapka ist von seiner Reise durch Deutsch¬<lb/> land und Frankreich zurückgekehrt und wie man hört, stehen unserem<lb/> Ocmcindewesen mancherlei Reformen bevor, die unter allen Umstanden<lb/> sehr wünschenswert!) erscheinen. Das Wichtigste wäre wohl die Auf¬<lb/> hebung der jetzt bestehenden Grundgerichtsbarkeiten in den verschiedenen<lb/> Vorstädten und deren Uebergabe zur Verwaltung an den Magistrat<lb/> selbst. Die Buntscheckigkeit der städtischen Verwaltung hemmt alle<lb/> gleichförmige Entwickelung und macht die totale Durchführung vieler<lb/> Verschönerungsplane und anderer nützlicher Unternehmungen ganz un¬<lb/> möglich, weil die eine Gemeindebehörde billigt, was die andere ver¬<lb/> wirft. Selbst die Gemeindelasten sind ungleich, und während in die¬<lb/> ser Vorstadt blos zwei Kreuzer vom Gulden des Miethbetrages ge¬<lb/> fordert werden, zahlt man in jener fünf Kreuzer vom Gulden. Daß<lb/> bei der Vielfältigkeit der Gemeindeverwaltung nichts gespart wird, be¬<lb/> darf wohl keines Beweises, und die Feststellung eines einheitlichen<lb/> Gemeindevcrwaltungssvstemes wäre ohne Zweifel eine große Wohlthat<lb/> für die gesammte Bevölkerung. Ein Anderes endlich ist noch die Ar¬<lb/> menpflege, in welcher zur Stunde viel Mißbrauch getrieben<lb/> wird, denn über 70,000 Individuen beziehen das sogenannte Armen-<lb/> institutengeld, welches freilich nur gering ausfällt, aber eben nur de߬<lb/> halb zersplittert werden muß, weil eine Anzahl Leute, die dieser Un¬<lb/> terstützung nicht bedürfen, damit betheilt werden. Ein träges, arbeit¬<lb/> scheues Gesindel, das jede Gelegenheit zum Verdienst unter dem Ver¬<lb/> wände der Kränklichkeit von sich stößt, lebt von der öffentlichen Mild¬<lb/> thätigkeit ein ziemlich luxuriöses Leben, welches sich tausend ehrliche<lb/> Menschen im Schweiße des Angesichts mühsam erwerben müssen und<lb/> oftmals nicht können. Ein Gerücht spricht von der allgemeinen Ein¬<lb/> stellung dieser Monatsgelder, welche nur die Faulheit unterstützen, und<lb/> dafür sollen Freitische gestiftet werden, bei denen Jeder, der mit einer Ar¬<lb/> menkarte versehen ist, Jutritt erhalte. Auf diese Weise würde für das<lb/> nothwendigste Bedürfniß der Leute gesorgt sein und Niemand könnte dann<lb/> sagen: Ich habe aus Hunger gestohlen, zugleich würde auch die Zahl der<lb/> jetzigen Armen, die, nebenbei gesagt, einen sehr leckern Gaumen zu<lb/> haben scheinen, in Bälde vielleicht auf 15,000 herabsinken, denn die große<lb/> Mehrzahl der nach dem gegenwärtigen System Betheilten, wovon<lb/> Viele die Summe insgeheim 'beziehen und für Battschuhe und Glacee-<lb/> handschuhe ausgeben, würde sich schämen, öffentlich unter der Klasse<lb/> der Dürftigen zu erscheinen, und würde wegbleiben. Auch möchte der Ma¬<lb/> gen Mancher, die an Braten und Thee gewöhnt waren, die Speisen<lb/> der Armentafeln sehr unschmackhaft finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_648" next="#ID_649"> Wenn ich hiermit das Kapitel der städtischen Desideria schließe, so ge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0229]
den über die Hälfte dieser Summe, welche ihnen die russische Gro߬
muth zu Theil werden ließ. Es wurden wieder mehre Pferde zu
Tode gejagt, deren Verlust natürlich den Postmeistern vergütet ward.
Der Bürgermeister Czapka ist von seiner Reise durch Deutsch¬
land und Frankreich zurückgekehrt und wie man hört, stehen unserem
Ocmcindewesen mancherlei Reformen bevor, die unter allen Umstanden
sehr wünschenswert!) erscheinen. Das Wichtigste wäre wohl die Auf¬
hebung der jetzt bestehenden Grundgerichtsbarkeiten in den verschiedenen
Vorstädten und deren Uebergabe zur Verwaltung an den Magistrat
selbst. Die Buntscheckigkeit der städtischen Verwaltung hemmt alle
gleichförmige Entwickelung und macht die totale Durchführung vieler
Verschönerungsplane und anderer nützlicher Unternehmungen ganz un¬
möglich, weil die eine Gemeindebehörde billigt, was die andere ver¬
wirft. Selbst die Gemeindelasten sind ungleich, und während in die¬
ser Vorstadt blos zwei Kreuzer vom Gulden des Miethbetrages ge¬
fordert werden, zahlt man in jener fünf Kreuzer vom Gulden. Daß
bei der Vielfältigkeit der Gemeindeverwaltung nichts gespart wird, be¬
darf wohl keines Beweises, und die Feststellung eines einheitlichen
Gemeindevcrwaltungssvstemes wäre ohne Zweifel eine große Wohlthat
für die gesammte Bevölkerung. Ein Anderes endlich ist noch die Ar¬
menpflege, in welcher zur Stunde viel Mißbrauch getrieben
wird, denn über 70,000 Individuen beziehen das sogenannte Armen-
institutengeld, welches freilich nur gering ausfällt, aber eben nur de߬
halb zersplittert werden muß, weil eine Anzahl Leute, die dieser Un¬
terstützung nicht bedürfen, damit betheilt werden. Ein träges, arbeit¬
scheues Gesindel, das jede Gelegenheit zum Verdienst unter dem Ver¬
wände der Kränklichkeit von sich stößt, lebt von der öffentlichen Mild¬
thätigkeit ein ziemlich luxuriöses Leben, welches sich tausend ehrliche
Menschen im Schweiße des Angesichts mühsam erwerben müssen und
oftmals nicht können. Ein Gerücht spricht von der allgemeinen Ein¬
stellung dieser Monatsgelder, welche nur die Faulheit unterstützen, und
dafür sollen Freitische gestiftet werden, bei denen Jeder, der mit einer Ar¬
menkarte versehen ist, Jutritt erhalte. Auf diese Weise würde für das
nothwendigste Bedürfniß der Leute gesorgt sein und Niemand könnte dann
sagen: Ich habe aus Hunger gestohlen, zugleich würde auch die Zahl der
jetzigen Armen, die, nebenbei gesagt, einen sehr leckern Gaumen zu
haben scheinen, in Bälde vielleicht auf 15,000 herabsinken, denn die große
Mehrzahl der nach dem gegenwärtigen System Betheilten, wovon
Viele die Summe insgeheim 'beziehen und für Battschuhe und Glacee-
handschuhe ausgeben, würde sich schämen, öffentlich unter der Klasse
der Dürftigen zu erscheinen, und würde wegbleiben. Auch möchte der Ma¬
gen Mancher, die an Braten und Thee gewöhnt waren, die Speisen
der Armentafeln sehr unschmackhaft finden.
Wenn ich hiermit das Kapitel der städtischen Desideria schließe, so ge-
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