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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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sisicirung aller dem russischen Zepter unterworfenen Völkerschaften,
welche dermalen der unbewegliche Gedanke der russischen Negierungs-
politik ist. Was Cancrin durch das Prohibitivsystem und die eiserne
Grenzsperre auf der einen Seite zu erzielen wußte, nemlich die Ab¬
geschlossenheit der russischen Bevölkerung von der Strömung europäi¬
scher Gesittung und dem frischen Wellenschlag der Zeit, das strebte
der Geist Uwarows durch die gewaltsame und listige Einführung des
russischen Idioms als Unterrichtssprache in allen Lehranstalten des
Reiches zu befestigen und geistig zu vollenden. Ob dieser Plan der
russischen Politik gelingen wird und die Probe des nächsten europäi¬
schen Consules aushalten kann, lassen wir dahingestellt sein, so viel
ist indeß gewiß, daß das Gelingen des Nussisikationsplanes, der mit
der Aufgabe der griechischen Propaganda in Glaubensdingen zusam¬
menfällt, wesentlich bedingt ist von der Dauer des allgemeinen Frie¬
dens und der Aufrechthaltung der jetzigen Staatsverhältnisse.

Der Kaiser von Nußland hat die österreichische Hauptstadt auf
seinem Fluge nach Italien nicht berührt, sondern blos den Grafen
Nesselrode hieher gesandt, der mehrfache Besprechungen mit dem Für¬
sten Staatskanzler hatte und dann ebenfalls nach Italien eilte. Die
Ursache, warum der Kaiser, welcher bereits London und Berlin in der
jüngsten Zeit besucht hat, Wien umging und von Leipnik unmittelbar
nach Prag und Insbruck reiste, will man in den Verfolgungen der
katholischen Kirche, die jetzt im Reiche des Szars an der Tagesord¬
nung sind, und am hiesigen Hofe einen sehr peinlichen Eindruck her¬
vorbringen müssen, erblicken. Aus gleichem Grunde, meint man, habe
die Kaiserin auf ihrem Wege durch Baiern München vermieden; seltsam
ist in der That, wie sich die Reiseroute des russischen Monarchen zwi¬
schen Wien und München hindurchwindet. Daß der Zweck der Reise kein
anderer, als die Besprechung der katholischen Kirchenverhältnisse mit dem
heiligen Vater sei, ward hier schon lange als bekannt angenommen,
und es wird die Heilfahrt der russischen Kaiserin, welche, obschon im-
wer kränklich, sich doch lange nicht so schlecht, als die Nachrichten aus
Petersburg die Berliner anfangs glauben ließen, blos als ein guter
Vorwand zu der Romfahrt Nikolaus' betrachtet; auf dem Rückwege
glaube der Selbstherrscher, mit dem Papste ausgesöhnt, die ihm per¬
sönlich entfremdeten Höfe besuchen zu können. Man darf in je¬
dem Falle gespannt sein, welche Farbe das Verfahren der russischen
Negirrung gegen die Katholiken in Rußland in der Folge annehmen
wird.

Der Kaiser Nikolaus reist bekanntlich sehr schnell; den Weg von
Leipnik bis Insbruck legte er in zwei Tagen zurück. Die sprüch¬
wörtlich gewordene Freigebigkeit des Czarö findet in Oesterreich wenig
Anerkennung, denn die Postillons, an das Trinkgeld von zwei Du¬
katen von Seiten unserer Prinzen gewöhnt, äußern sich sehr unzufrie-


sisicirung aller dem russischen Zepter unterworfenen Völkerschaften,
welche dermalen der unbewegliche Gedanke der russischen Negierungs-
politik ist. Was Cancrin durch das Prohibitivsystem und die eiserne
Grenzsperre auf der einen Seite zu erzielen wußte, nemlich die Ab¬
geschlossenheit der russischen Bevölkerung von der Strömung europäi¬
scher Gesittung und dem frischen Wellenschlag der Zeit, das strebte
der Geist Uwarows durch die gewaltsame und listige Einführung des
russischen Idioms als Unterrichtssprache in allen Lehranstalten des
Reiches zu befestigen und geistig zu vollenden. Ob dieser Plan der
russischen Politik gelingen wird und die Probe des nächsten europäi¬
schen Consules aushalten kann, lassen wir dahingestellt sein, so viel
ist indeß gewiß, daß das Gelingen des Nussisikationsplanes, der mit
der Aufgabe der griechischen Propaganda in Glaubensdingen zusam¬
menfällt, wesentlich bedingt ist von der Dauer des allgemeinen Frie¬
dens und der Aufrechthaltung der jetzigen Staatsverhältnisse.

Der Kaiser von Nußland hat die österreichische Hauptstadt auf
seinem Fluge nach Italien nicht berührt, sondern blos den Grafen
Nesselrode hieher gesandt, der mehrfache Besprechungen mit dem Für¬
sten Staatskanzler hatte und dann ebenfalls nach Italien eilte. Die
Ursache, warum der Kaiser, welcher bereits London und Berlin in der
jüngsten Zeit besucht hat, Wien umging und von Leipnik unmittelbar
nach Prag und Insbruck reiste, will man in den Verfolgungen der
katholischen Kirche, die jetzt im Reiche des Szars an der Tagesord¬
nung sind, und am hiesigen Hofe einen sehr peinlichen Eindruck her¬
vorbringen müssen, erblicken. Aus gleichem Grunde, meint man, habe
die Kaiserin auf ihrem Wege durch Baiern München vermieden; seltsam
ist in der That, wie sich die Reiseroute des russischen Monarchen zwi¬
schen Wien und München hindurchwindet. Daß der Zweck der Reise kein
anderer, als die Besprechung der katholischen Kirchenverhältnisse mit dem
heiligen Vater sei, ward hier schon lange als bekannt angenommen,
und es wird die Heilfahrt der russischen Kaiserin, welche, obschon im-
wer kränklich, sich doch lange nicht so schlecht, als die Nachrichten aus
Petersburg die Berliner anfangs glauben ließen, blos als ein guter
Vorwand zu der Romfahrt Nikolaus' betrachtet; auf dem Rückwege
glaube der Selbstherrscher, mit dem Papste ausgesöhnt, die ihm per¬
sönlich entfremdeten Höfe besuchen zu können. Man darf in je¬
dem Falle gespannt sein, welche Farbe das Verfahren der russischen
Negirrung gegen die Katholiken in Rußland in der Folge annehmen
wird.

Der Kaiser Nikolaus reist bekanntlich sehr schnell; den Weg von
Leipnik bis Insbruck legte er in zwei Tagen zurück. Die sprüch¬
wörtlich gewordene Freigebigkeit des Czarö findet in Oesterreich wenig
Anerkennung, denn die Postillons, an das Trinkgeld von zwei Du¬
katen von Seiten unserer Prinzen gewöhnt, äußern sich sehr unzufrie-


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[0228] sisicirung aller dem russischen Zepter unterworfenen Völkerschaften, welche dermalen der unbewegliche Gedanke der russischen Negierungs- politik ist. Was Cancrin durch das Prohibitivsystem und die eiserne Grenzsperre auf der einen Seite zu erzielen wußte, nemlich die Ab¬ geschlossenheit der russischen Bevölkerung von der Strömung europäi¬ scher Gesittung und dem frischen Wellenschlag der Zeit, das strebte der Geist Uwarows durch die gewaltsame und listige Einführung des russischen Idioms als Unterrichtssprache in allen Lehranstalten des Reiches zu befestigen und geistig zu vollenden. Ob dieser Plan der russischen Politik gelingen wird und die Probe des nächsten europäi¬ schen Consules aushalten kann, lassen wir dahingestellt sein, so viel ist indeß gewiß, daß das Gelingen des Nussisikationsplanes, der mit der Aufgabe der griechischen Propaganda in Glaubensdingen zusam¬ menfällt, wesentlich bedingt ist von der Dauer des allgemeinen Frie¬ dens und der Aufrechthaltung der jetzigen Staatsverhältnisse. Der Kaiser von Nußland hat die österreichische Hauptstadt auf seinem Fluge nach Italien nicht berührt, sondern blos den Grafen Nesselrode hieher gesandt, der mehrfache Besprechungen mit dem Für¬ sten Staatskanzler hatte und dann ebenfalls nach Italien eilte. Die Ursache, warum der Kaiser, welcher bereits London und Berlin in der jüngsten Zeit besucht hat, Wien umging und von Leipnik unmittelbar nach Prag und Insbruck reiste, will man in den Verfolgungen der katholischen Kirche, die jetzt im Reiche des Szars an der Tagesord¬ nung sind, und am hiesigen Hofe einen sehr peinlichen Eindruck her¬ vorbringen müssen, erblicken. Aus gleichem Grunde, meint man, habe die Kaiserin auf ihrem Wege durch Baiern München vermieden; seltsam ist in der That, wie sich die Reiseroute des russischen Monarchen zwi¬ schen Wien und München hindurchwindet. Daß der Zweck der Reise kein anderer, als die Besprechung der katholischen Kirchenverhältnisse mit dem heiligen Vater sei, ward hier schon lange als bekannt angenommen, und es wird die Heilfahrt der russischen Kaiserin, welche, obschon im- wer kränklich, sich doch lange nicht so schlecht, als die Nachrichten aus Petersburg die Berliner anfangs glauben ließen, blos als ein guter Vorwand zu der Romfahrt Nikolaus' betrachtet; auf dem Rückwege glaube der Selbstherrscher, mit dem Papste ausgesöhnt, die ihm per¬ sönlich entfremdeten Höfe besuchen zu können. Man darf in je¬ dem Falle gespannt sein, welche Farbe das Verfahren der russischen Negirrung gegen die Katholiken in Rußland in der Folge annehmen wird. Der Kaiser Nikolaus reist bekanntlich sehr schnell; den Weg von Leipnik bis Insbruck legte er in zwei Tagen zurück. Die sprüch¬ wörtlich gewordene Freigebigkeit des Czarö findet in Oesterreich wenig Anerkennung, denn die Postillons, an das Trinkgeld von zwei Du¬ katen von Seiten unserer Prinzen gewöhnt, äußern sich sehr unzufrie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/228>, abgerufen am 05.02.2025.