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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Eines Morgens erhielt Paul eine Zuschrift der städtischen Po¬
lizei, worin er aufgefordert wurde, einen Heimathschein für seine
Frau und seine Kinder beizubringen, indem man ihnen nur gegen
einen solchen Nachweis den Aufenthalt gestatten dürfe. Paul war
ziemlich entrüstet über diese fortgesetzte "Plackerei", wie er meinte.
Er schrieb an die Behörde zurück, daß er selbst Heimathrechte am
Orte besitze, und daß es für seine Frau und Kinder wohl weiter
keiner Nachweise bedürfe. Nach Verlauf einiger Tage erhielt er
eine neue Zuschrift, die ihn belehrte, daß seine im Auslande ihm an¬
getraute Gattin und deren Kinder kein Heimathrecht am Ort hät¬
ten; daß man ihnen den Aufenthalt nicht verweigern wolle, aber
zuvörderst ihre Heimathverhältnisse kennen müsse, damit sie bei etwa
eintretender Verarmung nicht der Gemeinde zur Last fielen, Paul
begann nun einzusehen, von welcher Seite diese Angelegenheit be¬
trieben werde, und wendete sich mit einer ausführlichen Beschwerde
an das Ministerium. Es währte einige Wochen, bevor er von die¬
sem beschieden wurde, und als er die Entschließung erhielt, erfuhr
er, daß seine Beschwerde für unbegründet befunden worden sei.

"Seine Frau und Kinder," hieß es, "hätten gesetzlich ein Hei¬
mathrecht in den kurhessischen Landen nicht anzusprechen, und da die
Gemeinden zur Aufnahme von Ausländern nicht verpflichtet seien,
so könne sich der Minister auch nicht für ermächtigt halten, die Ent¬
schließung der... Behörde in irgend einer Weise abzuändern."

Gleichzeitig aber mit dieser Bescheidung Pauls traf ein Schrei¬
ben an die Polizeibehörde ein, wonach diese angewiesen wurde, Pauls
Gattin und Kinder, welchen von der Gemeinde die Aufnahme ver¬
sagt worden sei, sofort nach ihrer Heimath zu verweisen. Vielleicht
hatten die harten Worte in Pauls Beschwerde diese schnelle Ma߬
nahme hervorgerufen, -- wenigstens meinte der Polizeibeamte, der
den Befehl an Paul überbrachte, daß es wohl anders gekommen
wäre, wenn Paul statt sich zu beschweren, bittend eingekommen.
Selbst Konrad war von dieser Wendung überrascht. Da er von
Natur nicht boshaft war, hatte er einen solchen Ausgang gar nicht
bezweckt. Seine Absicht war vielmehr einzig die gewesen, Paul seine
Macht fühlen zu lassen, und ihm eine Art Ergebenheit abzuzwingen.
Paul empfing die Nachricht stumm und schweigend. Er ließ The-


Eines Morgens erhielt Paul eine Zuschrift der städtischen Po¬
lizei, worin er aufgefordert wurde, einen Heimathschein für seine
Frau und seine Kinder beizubringen, indem man ihnen nur gegen
einen solchen Nachweis den Aufenthalt gestatten dürfe. Paul war
ziemlich entrüstet über diese fortgesetzte „Plackerei", wie er meinte.
Er schrieb an die Behörde zurück, daß er selbst Heimathrechte am
Orte besitze, und daß es für seine Frau und Kinder wohl weiter
keiner Nachweise bedürfe. Nach Verlauf einiger Tage erhielt er
eine neue Zuschrift, die ihn belehrte, daß seine im Auslande ihm an¬
getraute Gattin und deren Kinder kein Heimathrecht am Ort hät¬
ten; daß man ihnen den Aufenthalt nicht verweigern wolle, aber
zuvörderst ihre Heimathverhältnisse kennen müsse, damit sie bei etwa
eintretender Verarmung nicht der Gemeinde zur Last fielen, Paul
begann nun einzusehen, von welcher Seite diese Angelegenheit be¬
trieben werde, und wendete sich mit einer ausführlichen Beschwerde
an das Ministerium. Es währte einige Wochen, bevor er von die¬
sem beschieden wurde, und als er die Entschließung erhielt, erfuhr
er, daß seine Beschwerde für unbegründet befunden worden sei.

„Seine Frau und Kinder," hieß es, „hätten gesetzlich ein Hei¬
mathrecht in den kurhessischen Landen nicht anzusprechen, und da die
Gemeinden zur Aufnahme von Ausländern nicht verpflichtet seien,
so könne sich der Minister auch nicht für ermächtigt halten, die Ent¬
schließung der... Behörde in irgend einer Weise abzuändern."

Gleichzeitig aber mit dieser Bescheidung Pauls traf ein Schrei¬
ben an die Polizeibehörde ein, wonach diese angewiesen wurde, Pauls
Gattin und Kinder, welchen von der Gemeinde die Aufnahme ver¬
sagt worden sei, sofort nach ihrer Heimath zu verweisen. Vielleicht
hatten die harten Worte in Pauls Beschwerde diese schnelle Ma߬
nahme hervorgerufen, — wenigstens meinte der Polizeibeamte, der
den Befehl an Paul überbrachte, daß es wohl anders gekommen
wäre, wenn Paul statt sich zu beschweren, bittend eingekommen.
Selbst Konrad war von dieser Wendung überrascht. Da er von
Natur nicht boshaft war, hatte er einen solchen Ausgang gar nicht
bezweckt. Seine Absicht war vielmehr einzig die gewesen, Paul seine
Macht fühlen zu lassen, und ihm eine Art Ergebenheit abzuzwingen.
Paul empfing die Nachricht stumm und schweigend. Er ließ The-


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[0223] Eines Morgens erhielt Paul eine Zuschrift der städtischen Po¬ lizei, worin er aufgefordert wurde, einen Heimathschein für seine Frau und seine Kinder beizubringen, indem man ihnen nur gegen einen solchen Nachweis den Aufenthalt gestatten dürfe. Paul war ziemlich entrüstet über diese fortgesetzte „Plackerei", wie er meinte. Er schrieb an die Behörde zurück, daß er selbst Heimathrechte am Orte besitze, und daß es für seine Frau und Kinder wohl weiter keiner Nachweise bedürfe. Nach Verlauf einiger Tage erhielt er eine neue Zuschrift, die ihn belehrte, daß seine im Auslande ihm an¬ getraute Gattin und deren Kinder kein Heimathrecht am Ort hät¬ ten; daß man ihnen den Aufenthalt nicht verweigern wolle, aber zuvörderst ihre Heimathverhältnisse kennen müsse, damit sie bei etwa eintretender Verarmung nicht der Gemeinde zur Last fielen, Paul begann nun einzusehen, von welcher Seite diese Angelegenheit be¬ trieben werde, und wendete sich mit einer ausführlichen Beschwerde an das Ministerium. Es währte einige Wochen, bevor er von die¬ sem beschieden wurde, und als er die Entschließung erhielt, erfuhr er, daß seine Beschwerde für unbegründet befunden worden sei. „Seine Frau und Kinder," hieß es, „hätten gesetzlich ein Hei¬ mathrecht in den kurhessischen Landen nicht anzusprechen, und da die Gemeinden zur Aufnahme von Ausländern nicht verpflichtet seien, so könne sich der Minister auch nicht für ermächtigt halten, die Ent¬ schließung der... Behörde in irgend einer Weise abzuändern." Gleichzeitig aber mit dieser Bescheidung Pauls traf ein Schrei¬ ben an die Polizeibehörde ein, wonach diese angewiesen wurde, Pauls Gattin und Kinder, welchen von der Gemeinde die Aufnahme ver¬ sagt worden sei, sofort nach ihrer Heimath zu verweisen. Vielleicht hatten die harten Worte in Pauls Beschwerde diese schnelle Ma߬ nahme hervorgerufen, — wenigstens meinte der Polizeibeamte, der den Befehl an Paul überbrachte, daß es wohl anders gekommen wäre, wenn Paul statt sich zu beschweren, bittend eingekommen. Selbst Konrad war von dieser Wendung überrascht. Da er von Natur nicht boshaft war, hatte er einen solchen Ausgang gar nicht bezweckt. Seine Absicht war vielmehr einzig die gewesen, Paul seine Macht fühlen zu lassen, und ihm eine Art Ergebenheit abzuzwingen. Paul empfing die Nachricht stumm und schweigend. Er ließ The-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/223>, abgerufen am 05.02.2025.