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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Thränen der Verzweiflung fiel sie den Beamten zu Füßen und be¬
schwor ihn, ihr den Gatten zu lassen. Der Kommissair hob sie ar¬
tig auf und sagte, daß er nur daS Werkzeug einer höhern Macht sei.
"Uebrigens," meinte er beruhigend, "würde die Sache wohl nicht
viel zu bedeuten haben."

In der That wurden auch die Besorgnisse Theresens -- wenig¬
stens für den Augenblick -- bald zerstreut, denn nach Verlauf von
einigen Stunden kehrte Paul von der Polizei zu seiner Gattin zu¬
rück.




Paul war ein Ausländer, ein deutscher nämlich. Als er sich
in K. verheirathet hatte, war er um Ertheilung des Bürgerrechtes
eingekommen, die Polizei aber hatte ihm den Bescheid gegeben, daß
man gegen seinen Aufenthalt in K. zwar nichts habe, ihm aber das
Bürgerrecht vorläufig nicht ertheilen könne. Da die Gemeinden zur
Aufnahme von Ausländern nicht verpflichtet sind, so hatte sich Paul
damals bei diesem Bescheide begnügen müssen. Als er jetzt nach der
Polizei gebracht wurde, nahm man einfach ein Protokoll über seine
Verhältnisse auf; sein Antrag: wenn irgend etwas gegen ihn vor¬
liege, ihn zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen, ward nicht be¬
achtet. Das Warum? mag der scharssinnige Leser selbst errathen.
Statt dessen aber erhielt Paul nach einigen Tagen die polizeiliche
Weisung, Stadt und Land zu verlassen.

Eine polizeiliche Ausweisung hat viel für sich. Es bedarf dazu
weder eines richterlichen Erkenntnisses, noch einer gesetzlichen Vor¬
lage, und man erreicht feinen Zweck zuweilen vollständiger, als
durch eine vorübergehende Hast. Der Flüchtige, der nicht weiß, wo¬
hin er sein Haupt legen soll, gewinnt selten Zeit zu sogenannten
Mißliebigkeiten. Faßt er dann auch in der Fremde Fuß. so hat er
doch den richtigen Blick sür die Verhältnisse seiner Heimath verloren,
und ist mindestens für die lokalen Ereignisse der Gegend unschädlich
gemacht, aus der man ihn vertrieben hat. In neuster Zeit hat man
denn auch die Nützlichkeit solcher Maßnehmungen wohl eingesehen,
und in gewissen Ländern breitet man diese Erfahrung auch dahin
aus, daß man mißliebige Beamte von einer Stadt zur andern ver¬
setzt, ohne sie zu Athem kommen zu lassen.

Als Paul die polizeiliche Ausweisung aus Stadt und Land er-


Thränen der Verzweiflung fiel sie den Beamten zu Füßen und be¬
schwor ihn, ihr den Gatten zu lassen. Der Kommissair hob sie ar¬
tig auf und sagte, daß er nur daS Werkzeug einer höhern Macht sei.
„Uebrigens," meinte er beruhigend, „würde die Sache wohl nicht
viel zu bedeuten haben."

In der That wurden auch die Besorgnisse Theresens — wenig¬
stens für den Augenblick — bald zerstreut, denn nach Verlauf von
einigen Stunden kehrte Paul von der Polizei zu seiner Gattin zu¬
rück.




Paul war ein Ausländer, ein deutscher nämlich. Als er sich
in K. verheirathet hatte, war er um Ertheilung des Bürgerrechtes
eingekommen, die Polizei aber hatte ihm den Bescheid gegeben, daß
man gegen seinen Aufenthalt in K. zwar nichts habe, ihm aber das
Bürgerrecht vorläufig nicht ertheilen könne. Da die Gemeinden zur
Aufnahme von Ausländern nicht verpflichtet sind, so hatte sich Paul
damals bei diesem Bescheide begnügen müssen. Als er jetzt nach der
Polizei gebracht wurde, nahm man einfach ein Protokoll über seine
Verhältnisse auf; sein Antrag: wenn irgend etwas gegen ihn vor¬
liege, ihn zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen, ward nicht be¬
achtet. Das Warum? mag der scharssinnige Leser selbst errathen.
Statt dessen aber erhielt Paul nach einigen Tagen die polizeiliche
Weisung, Stadt und Land zu verlassen.

Eine polizeiliche Ausweisung hat viel für sich. Es bedarf dazu
weder eines richterlichen Erkenntnisses, noch einer gesetzlichen Vor¬
lage, und man erreicht feinen Zweck zuweilen vollständiger, als
durch eine vorübergehende Hast. Der Flüchtige, der nicht weiß, wo¬
hin er sein Haupt legen soll, gewinnt selten Zeit zu sogenannten
Mißliebigkeiten. Faßt er dann auch in der Fremde Fuß. so hat er
doch den richtigen Blick sür die Verhältnisse seiner Heimath verloren,
und ist mindestens für die lokalen Ereignisse der Gegend unschädlich
gemacht, aus der man ihn vertrieben hat. In neuster Zeit hat man
denn auch die Nützlichkeit solcher Maßnehmungen wohl eingesehen,
und in gewissen Ländern breitet man diese Erfahrung auch dahin
aus, daß man mißliebige Beamte von einer Stadt zur andern ver¬
setzt, ohne sie zu Athem kommen zu lassen.

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[0220] Thränen der Verzweiflung fiel sie den Beamten zu Füßen und be¬ schwor ihn, ihr den Gatten zu lassen. Der Kommissair hob sie ar¬ tig auf und sagte, daß er nur daS Werkzeug einer höhern Macht sei. „Uebrigens," meinte er beruhigend, „würde die Sache wohl nicht viel zu bedeuten haben." In der That wurden auch die Besorgnisse Theresens — wenig¬ stens für den Augenblick — bald zerstreut, denn nach Verlauf von einigen Stunden kehrte Paul von der Polizei zu seiner Gattin zu¬ rück. Paul war ein Ausländer, ein deutscher nämlich. Als er sich in K. verheirathet hatte, war er um Ertheilung des Bürgerrechtes eingekommen, die Polizei aber hatte ihm den Bescheid gegeben, daß man gegen seinen Aufenthalt in K. zwar nichts habe, ihm aber das Bürgerrecht vorläufig nicht ertheilen könne. Da die Gemeinden zur Aufnahme von Ausländern nicht verpflichtet sind, so hatte sich Paul damals bei diesem Bescheide begnügen müssen. Als er jetzt nach der Polizei gebracht wurde, nahm man einfach ein Protokoll über seine Verhältnisse auf; sein Antrag: wenn irgend etwas gegen ihn vor¬ liege, ihn zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen, ward nicht be¬ achtet. Das Warum? mag der scharssinnige Leser selbst errathen. Statt dessen aber erhielt Paul nach einigen Tagen die polizeiliche Weisung, Stadt und Land zu verlassen. Eine polizeiliche Ausweisung hat viel für sich. Es bedarf dazu weder eines richterlichen Erkenntnisses, noch einer gesetzlichen Vor¬ lage, und man erreicht feinen Zweck zuweilen vollständiger, als durch eine vorübergehende Hast. Der Flüchtige, der nicht weiß, wo¬ hin er sein Haupt legen soll, gewinnt selten Zeit zu sogenannten Mißliebigkeiten. Faßt er dann auch in der Fremde Fuß. so hat er doch den richtigen Blick sür die Verhältnisse seiner Heimath verloren, und ist mindestens für die lokalen Ereignisse der Gegend unschädlich gemacht, aus der man ihn vertrieben hat. In neuster Zeit hat man denn auch die Nützlichkeit solcher Maßnehmungen wohl eingesehen, und in gewissen Ländern breitet man diese Erfahrung auch dahin aus, daß man mißliebige Beamte von einer Stadt zur andern ver¬ setzt, ohne sie zu Athem kommen zu lassen. Als Paul die polizeiliche Ausweisung aus Stadt und Land er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/220>, abgerufen am 05.02.2025.