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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Priester geweihten Zögling beigesellt waren, entfaltete abermals die
Vortrefflichkeit des Kochs und Kellers. Die zwei einen Tag vor
mir angekommenen Gäste waren schon bereits wie zu Hause. Es
gefiel ihnen ganz vorzüglich, daß man hier nichts lernen müsse, was
nicht streng zum Fach gehöre! daß die Philosophie nur eine Wider¬
legung der philosophischen Systeme und geeignete Vorbereitung zur
Theologie sei, und daß endlich die Theologie selbst nur historisch und
polemisch vorgetragen werde als zweckdienliche Uebung zum spätern
ernsten Kampf. Auch die Auslegung des "n"n multii, "ed nullum"
besagte ihnen wie feines Zuckerbackwerk. Die eigenthümliche Ueber-
setzung lautet, wie ich jetzt beurtheilen kann: "Man gebe dem Zög¬
ling erst dann ein zweckdienliches Lehrbuch in die Hände, wenn man
seinen Verstand durch Betrachtung von Tod, Gericht, Himmel, Holle,
Engel und Teufel nach der Anweisung der ehrwürdigen Väter von
allem Irdischen gereinigt, und wohl verwahrt hat vor jedem mög¬
lichen Rückfall in dasselbe."

Mir verging alle Eßlust bei solchen Entdeckungen, die quer
durch alle meine Erwartungen liefen, ja selbst meinen Begriff von
katholischer Duldsamkeit niederstürzten. Ich hörte hier Aeußerungen,
die man sonst nur in der Geschichte des dreißigjährigen Krieges wie¬
der findet; und eiskalt lief es mir über den Rücken, daß ich nicht
ächt römisch sein sollte, weil ich die Protestanten (hier nur Ketzer
genannt) im Grund des Herzens doch nicht für schlecht halten konnte.
Die Apotheose des Collegs, mit welcher der ältere Zögling das Mahl
würzte, war für mich bittres Salz. Sie schloß mit den Worten:
"Wir bekommen täglich eine gefährlichere Stellung in unserm Vater¬
land. Die Mehrzahl unserer eigenen Glaubensbrüder ist nur noch
dem Namen nach römisch, und selbst ihre größten Theologen Möh-
ler und Döllinger haben in ihren Schriften manchen irrthümlichen
Satz aufgestellt, wie unser hochgelehrte Professor Pater Perrone in
seiner Dogmatica gründlich nachweist. Es ist so weit gekommen,
daß man nur noch in Rom ein guter Priester werden kann. Alle
deutschen Priester-Seminare und alle deutschen Regierungen halten
ein gottloses Regiment. Theils bestehen letztere aus Ketzern, theils
lassen sie ketzerische und gottschänderische Schriften ihres verderbten
ruchlosen Gelehrtenstandes ungehindert drucken und verkaufen. Meine
lieben Freunde, wir sind eine kleine Schaar Apostel in dem großen


Priester geweihten Zögling beigesellt waren, entfaltete abermals die
Vortrefflichkeit des Kochs und Kellers. Die zwei einen Tag vor
mir angekommenen Gäste waren schon bereits wie zu Hause. Es
gefiel ihnen ganz vorzüglich, daß man hier nichts lernen müsse, was
nicht streng zum Fach gehöre! daß die Philosophie nur eine Wider¬
legung der philosophischen Systeme und geeignete Vorbereitung zur
Theologie sei, und daß endlich die Theologie selbst nur historisch und
polemisch vorgetragen werde als zweckdienliche Uebung zum spätern
ernsten Kampf. Auch die Auslegung des „n»n multii, «ed nullum"
besagte ihnen wie feines Zuckerbackwerk. Die eigenthümliche Ueber-
setzung lautet, wie ich jetzt beurtheilen kann: „Man gebe dem Zög¬
ling erst dann ein zweckdienliches Lehrbuch in die Hände, wenn man
seinen Verstand durch Betrachtung von Tod, Gericht, Himmel, Holle,
Engel und Teufel nach der Anweisung der ehrwürdigen Väter von
allem Irdischen gereinigt, und wohl verwahrt hat vor jedem mög¬
lichen Rückfall in dasselbe."

Mir verging alle Eßlust bei solchen Entdeckungen, die quer
durch alle meine Erwartungen liefen, ja selbst meinen Begriff von
katholischer Duldsamkeit niederstürzten. Ich hörte hier Aeußerungen,
die man sonst nur in der Geschichte des dreißigjährigen Krieges wie¬
der findet; und eiskalt lief es mir über den Rücken, daß ich nicht
ächt römisch sein sollte, weil ich die Protestanten (hier nur Ketzer
genannt) im Grund des Herzens doch nicht für schlecht halten konnte.
Die Apotheose des Collegs, mit welcher der ältere Zögling das Mahl
würzte, war für mich bittres Salz. Sie schloß mit den Worten:
„Wir bekommen täglich eine gefährlichere Stellung in unserm Vater¬
land. Die Mehrzahl unserer eigenen Glaubensbrüder ist nur noch
dem Namen nach römisch, und selbst ihre größten Theologen Möh-
ler und Döllinger haben in ihren Schriften manchen irrthümlichen
Satz aufgestellt, wie unser hochgelehrte Professor Pater Perrone in
seiner Dogmatica gründlich nachweist. Es ist so weit gekommen,
daß man nur noch in Rom ein guter Priester werden kann. Alle
deutschen Priester-Seminare und alle deutschen Regierungen halten
ein gottloses Regiment. Theils bestehen letztere aus Ketzern, theils
lassen sie ketzerische und gottschänderische Schriften ihres verderbten
ruchlosen Gelehrtenstandes ungehindert drucken und verkaufen. Meine
lieben Freunde, wir sind eine kleine Schaar Apostel in dem großen


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[0199] Priester geweihten Zögling beigesellt waren, entfaltete abermals die Vortrefflichkeit des Kochs und Kellers. Die zwei einen Tag vor mir angekommenen Gäste waren schon bereits wie zu Hause. Es gefiel ihnen ganz vorzüglich, daß man hier nichts lernen müsse, was nicht streng zum Fach gehöre! daß die Philosophie nur eine Wider¬ legung der philosophischen Systeme und geeignete Vorbereitung zur Theologie sei, und daß endlich die Theologie selbst nur historisch und polemisch vorgetragen werde als zweckdienliche Uebung zum spätern ernsten Kampf. Auch die Auslegung des „n»n multii, «ed nullum" besagte ihnen wie feines Zuckerbackwerk. Die eigenthümliche Ueber- setzung lautet, wie ich jetzt beurtheilen kann: „Man gebe dem Zög¬ ling erst dann ein zweckdienliches Lehrbuch in die Hände, wenn man seinen Verstand durch Betrachtung von Tod, Gericht, Himmel, Holle, Engel und Teufel nach der Anweisung der ehrwürdigen Väter von allem Irdischen gereinigt, und wohl verwahrt hat vor jedem mög¬ lichen Rückfall in dasselbe." Mir verging alle Eßlust bei solchen Entdeckungen, die quer durch alle meine Erwartungen liefen, ja selbst meinen Begriff von katholischer Duldsamkeit niederstürzten. Ich hörte hier Aeußerungen, die man sonst nur in der Geschichte des dreißigjährigen Krieges wie¬ der findet; und eiskalt lief es mir über den Rücken, daß ich nicht ächt römisch sein sollte, weil ich die Protestanten (hier nur Ketzer genannt) im Grund des Herzens doch nicht für schlecht halten konnte. Die Apotheose des Collegs, mit welcher der ältere Zögling das Mahl würzte, war für mich bittres Salz. Sie schloß mit den Worten: „Wir bekommen täglich eine gefährlichere Stellung in unserm Vater¬ land. Die Mehrzahl unserer eigenen Glaubensbrüder ist nur noch dem Namen nach römisch, und selbst ihre größten Theologen Möh- ler und Döllinger haben in ihren Schriften manchen irrthümlichen Satz aufgestellt, wie unser hochgelehrte Professor Pater Perrone in seiner Dogmatica gründlich nachweist. Es ist so weit gekommen, daß man nur noch in Rom ein guter Priester werden kann. Alle deutschen Priester-Seminare und alle deutschen Regierungen halten ein gottloses Regiment. Theils bestehen letztere aus Ketzern, theils lassen sie ketzerische und gottschänderische Schriften ihres verderbten ruchlosen Gelehrtenstandes ungehindert drucken und verkaufen. Meine lieben Freunde, wir sind eine kleine Schaar Apostel in dem großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/199>, abgerufen am 05.02.2025.