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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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auf Gebäuden dem Wegweiser gegenüber in die Luft erheben, und
die Wimpel der Schiffe zeigen, daß, während "Vorwärts" gerufen ist,
der Wind entschieden rückwärts weht, nach der finsteren Seite hin,
nach der Nacht und den Burgen zu. Ein Dampfzug auf der hellen
Seite, anstatt pfeilgeschwind dahin zu fliegen, klettert, so scheint es,
nur mühsam einen Berg hinan. Und -- "hinten scheint die
Sonne." Brr! ein ander Bild!! Der Berliner muß doch immer
sarkastisch sein, auch wenn er es am wenigsten beabsichtigt, und wär's
auch nur ein Berliner Kalender.

-- In Havre erscheint jetzt ein Journal auf Leinwand gedruckt,
welches den Titel: (?o>nie"I II"nllIiercI>><.->) Politisches Schnupf¬
tuch führt. Wollte in Deutschland Jemand ein ähnliches Unterneh¬
men wagen, so würde ihm wahrscheinlich die Concession verweigert --
damit nicht alle Welt die Nase in- die Politik stecke.

-- Zum neuen Jahre sollen die europäischen Völker auf eine
großartige Weise überrascht werden. Die Wünsche und Forderungen
der Nationen werden gesammelt, geordnet, redigirt und publicirt wer¬
den. Jeder Staatsbürger wird sein Votum über alle Institutionen
des Staates abgeben müssen, und die Majorität der Stimmen wird
den Ausschlag geben. Nachdem man aus diesem Wege die getreuen
Wünsche der Unterthanen wird kennen gelernt haben -- wozu eine
kleine Frist von zehn Mal zehn Decennien vor der Hand bestimmt ist
-- wird Preußen die Knute abschaffen, Oesterreich ein allgemeines
Theatergesetz publiciren, Rußland Antigone aufführen lassen, Baiern
die Protestanten aus der Walhalla entfernen -- und Sachsen sich für
den geräuschlosesten, ruhigsten und bürgerlichsten Staat erklären. e"e-
tenuu eeiisulam äelenäiun esse censeo!

-- Seitdem ein Schneider als Verfechter des Communismus auf¬
getreten ist, scheinen viele seiner Genossen Elle, Nadel und Scheere
in die Ecke zu legen, um auf dem Gebiete der Tagesliteratur einen
Stich zu machen. So hat in Berlin ein Herr Zeller die religiösen
Reformen und Reformatoren mit der Elle der Kritik gemessen, die
Nadel der Forschung eingefädelt und die Scheere der Strenge an un¬
sere Zeit angelegt. Hochgestellte Personen versichern, daß die Regie¬
rungen ein besonderes Patent auf die Erzeugnisse der Schneider er¬
theilen werden, da die Letztern die Scheere sehr gut handhaben.




SZerlag von Fr. Lndw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich AndrS.

auf Gebäuden dem Wegweiser gegenüber in die Luft erheben, und
die Wimpel der Schiffe zeigen, daß, während „Vorwärts" gerufen ist,
der Wind entschieden rückwärts weht, nach der finsteren Seite hin,
nach der Nacht und den Burgen zu. Ein Dampfzug auf der hellen
Seite, anstatt pfeilgeschwind dahin zu fliegen, klettert, so scheint es,
nur mühsam einen Berg hinan. Und — „hinten scheint die
Sonne." Brr! ein ander Bild!! Der Berliner muß doch immer
sarkastisch sein, auch wenn er es am wenigsten beabsichtigt, und wär's
auch nur ein Berliner Kalender.

— In Havre erscheint jetzt ein Journal auf Leinwand gedruckt,
welches den Titel: (?o>nie»I II»nllIiercI>><.->) Politisches Schnupf¬
tuch führt. Wollte in Deutschland Jemand ein ähnliches Unterneh¬
men wagen, so würde ihm wahrscheinlich die Concession verweigert —
damit nicht alle Welt die Nase in- die Politik stecke.

— Zum neuen Jahre sollen die europäischen Völker auf eine
großartige Weise überrascht werden. Die Wünsche und Forderungen
der Nationen werden gesammelt, geordnet, redigirt und publicirt wer¬
den. Jeder Staatsbürger wird sein Votum über alle Institutionen
des Staates abgeben müssen, und die Majorität der Stimmen wird
den Ausschlag geben. Nachdem man aus diesem Wege die getreuen
Wünsche der Unterthanen wird kennen gelernt haben — wozu eine
kleine Frist von zehn Mal zehn Decennien vor der Hand bestimmt ist
— wird Preußen die Knute abschaffen, Oesterreich ein allgemeines
Theatergesetz publiciren, Rußland Antigone aufführen lassen, Baiern
die Protestanten aus der Walhalla entfernen — und Sachsen sich für
den geräuschlosesten, ruhigsten und bürgerlichsten Staat erklären. e»e-
tenuu eeiisulam äelenäiun esse censeo!

— Seitdem ein Schneider als Verfechter des Communismus auf¬
getreten ist, scheinen viele seiner Genossen Elle, Nadel und Scheere
in die Ecke zu legen, um auf dem Gebiete der Tagesliteratur einen
Stich zu machen. So hat in Berlin ein Herr Zeller die religiösen
Reformen und Reformatoren mit der Elle der Kritik gemessen, die
Nadel der Forschung eingefädelt und die Scheere der Strenge an un¬
sere Zeit angelegt. Hochgestellte Personen versichern, daß die Regie¬
rungen ein besonderes Patent auf die Erzeugnisse der Schneider er¬
theilen werden, da die Letztern die Scheere sehr gut handhaben.




SZerlag von Fr. Lndw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich AndrS.
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[0192] auf Gebäuden dem Wegweiser gegenüber in die Luft erheben, und die Wimpel der Schiffe zeigen, daß, während „Vorwärts" gerufen ist, der Wind entschieden rückwärts weht, nach der finsteren Seite hin, nach der Nacht und den Burgen zu. Ein Dampfzug auf der hellen Seite, anstatt pfeilgeschwind dahin zu fliegen, klettert, so scheint es, nur mühsam einen Berg hinan. Und — „hinten scheint die Sonne." Brr! ein ander Bild!! Der Berliner muß doch immer sarkastisch sein, auch wenn er es am wenigsten beabsichtigt, und wär's auch nur ein Berliner Kalender. — In Havre erscheint jetzt ein Journal auf Leinwand gedruckt, welches den Titel: (?o>nie»I II»nllIiercI>><.->) Politisches Schnupf¬ tuch führt. Wollte in Deutschland Jemand ein ähnliches Unterneh¬ men wagen, so würde ihm wahrscheinlich die Concession verweigert — damit nicht alle Welt die Nase in- die Politik stecke. — Zum neuen Jahre sollen die europäischen Völker auf eine großartige Weise überrascht werden. Die Wünsche und Forderungen der Nationen werden gesammelt, geordnet, redigirt und publicirt wer¬ den. Jeder Staatsbürger wird sein Votum über alle Institutionen des Staates abgeben müssen, und die Majorität der Stimmen wird den Ausschlag geben. Nachdem man aus diesem Wege die getreuen Wünsche der Unterthanen wird kennen gelernt haben — wozu eine kleine Frist von zehn Mal zehn Decennien vor der Hand bestimmt ist — wird Preußen die Knute abschaffen, Oesterreich ein allgemeines Theatergesetz publiciren, Rußland Antigone aufführen lassen, Baiern die Protestanten aus der Walhalla entfernen — und Sachsen sich für den geräuschlosesten, ruhigsten und bürgerlichsten Staat erklären. e»e- tenuu eeiisulam äelenäiun esse censeo! — Seitdem ein Schneider als Verfechter des Communismus auf¬ getreten ist, scheinen viele seiner Genossen Elle, Nadel und Scheere in die Ecke zu legen, um auf dem Gebiete der Tagesliteratur einen Stich zu machen. So hat in Berlin ein Herr Zeller die religiösen Reformen und Reformatoren mit der Elle der Kritik gemessen, die Nadel der Forschung eingefädelt und die Scheere der Strenge an un¬ sere Zeit angelegt. Hochgestellte Personen versichern, daß die Regie¬ rungen ein besonderes Patent auf die Erzeugnisse der Schneider er¬ theilen werden, da die Letztern die Scheere sehr gut handhaben. SZerlag von Fr. Lndw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich AndrS.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/192>, abgerufen am 05.02.2025.