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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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den ersten Waaren, welche den Weg von Prag hierher auf der Eisen¬
bahn zurücklegten, befand sich seltsamer Weise auch eine trächtige
Hündin, welche ein speculativer Kopf aus Böhmen mittelst Fracht¬
brief nach der Hauptstadt spediren ließ, um dergestalt ihre zu erwar¬
tende Nachkommenschaft vortheilhaft zu verkaufen.

Auf derselben Bahn ereignete sich unlängst folgender komischer
Vorfall, dessen Wahrheit wir verbürgen können. Ein Tyroler machte
in seiner Landestracht die Reise nach Mähren, und der Platz im
Waggon mußte ihm sehr bequem dünken, was bei der Einrichtung
der Waggons auf der Nordbahn freilich haltbar genug ist, denn er
schlief bald ein. Durch das Kopfnicken des Schläfers stieg die Brief¬
tasche in seiner Jacke allmählig aus der Seitentasche und siel auf den
Boden. Ihm gegenüber saßen ein Paar junge Damen, welche, wie
man sagt, dem Stande der Galanterie angehörten, und kaum hatte
eine von ihnen den Sturz des Portefeuilles wahrgenommen, als sie,
nach kurzer Recognoscirung aller anwesenden Gesichter, das herrenlose
Gut ganz leise in ihre verschwiegene Obhut nahm. Gleichwohl hatte
die verschmitzte Diebin einen aufmerksamen Beobachter gefunden, wel¬
cher, in die Wagenecke gelehnt, eine ganz gleichgilrige Miene zur
Schau trug; doch als auf der nächsten Station die beiden Damen
ausstiegen, beeilte er sich, den schlummernden Tyroler zu wecken, und
ihm die Thäterin zu bezeichnen. Der ehrliche Tyroler war nicht we¬
nig verwundert über den ihm gespielten Streich und humpelte auf
der Stelle der Diebin nach, die er auch sogleich erhaschte und sobald
er ihr das unter dem Shwal verborgene Portefeuille glücklich entrissen
hatte, fo schritt er auch schnell zu einer Execution, welche darin bestand,
daß er die Deliquentin höchst ungalant im Angesichts der aus den
Waggons zusehenden gesammten Reisegesellschaft über das Knie bog
und nach Entfernung aller untern Kleidungsstücke auf dem entblößten
Theil mit flacher Hand einige wohlberechnete, weithin schallende Streiche
führte. Unter dem lauten Gelächter der Zuschauer stieg der Tyroler
wieder in den Waggon und nahm phlegmatisch Platz, zufrieden, in
den Besitz seiner Brieftasche gekommen zu sein und ohne sich um die
Glossen zu kümmern, die über die eigenthümliche Art jener Bestra¬
fung gemacht wurden, welche man wegen der Raschheit ihres Her¬
gangs mit Recht eine Eisenbahn-Justiz nennen könnte.

Von liccrarischen Gästen erwarten wir Herrn Laube, welcher auf
die Einladung des Fürsten Friedrich von Schwarzenberg über Mün¬
chen und Salzburg auf die Güter des Fürsten Lamberg in Steier-
mark gereist ist, um dort einige Zeit der Jagd zu widmen, welche
allerdings in den Alpen noch in alter romantischer Weise geübt wird,
während sie sonst in der Regel in ein aueh - und gefahrloses Ab¬
schlachten des Wildes ausgeartet ist, an dem eine kühne Männersecle
kaum mehr ein Vergnügen finden kann. Auf der Heimreise wird


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den ersten Waaren, welche den Weg von Prag hierher auf der Eisen¬
bahn zurücklegten, befand sich seltsamer Weise auch eine trächtige
Hündin, welche ein speculativer Kopf aus Böhmen mittelst Fracht¬
brief nach der Hauptstadt spediren ließ, um dergestalt ihre zu erwar¬
tende Nachkommenschaft vortheilhaft zu verkaufen.

Auf derselben Bahn ereignete sich unlängst folgender komischer
Vorfall, dessen Wahrheit wir verbürgen können. Ein Tyroler machte
in seiner Landestracht die Reise nach Mähren, und der Platz im
Waggon mußte ihm sehr bequem dünken, was bei der Einrichtung
der Waggons auf der Nordbahn freilich haltbar genug ist, denn er
schlief bald ein. Durch das Kopfnicken des Schläfers stieg die Brief¬
tasche in seiner Jacke allmählig aus der Seitentasche und siel auf den
Boden. Ihm gegenüber saßen ein Paar junge Damen, welche, wie
man sagt, dem Stande der Galanterie angehörten, und kaum hatte
eine von ihnen den Sturz des Portefeuilles wahrgenommen, als sie,
nach kurzer Recognoscirung aller anwesenden Gesichter, das herrenlose
Gut ganz leise in ihre verschwiegene Obhut nahm. Gleichwohl hatte
die verschmitzte Diebin einen aufmerksamen Beobachter gefunden, wel¬
cher, in die Wagenecke gelehnt, eine ganz gleichgilrige Miene zur
Schau trug; doch als auf der nächsten Station die beiden Damen
ausstiegen, beeilte er sich, den schlummernden Tyroler zu wecken, und
ihm die Thäterin zu bezeichnen. Der ehrliche Tyroler war nicht we¬
nig verwundert über den ihm gespielten Streich und humpelte auf
der Stelle der Diebin nach, die er auch sogleich erhaschte und sobald
er ihr das unter dem Shwal verborgene Portefeuille glücklich entrissen
hatte, fo schritt er auch schnell zu einer Execution, welche darin bestand,
daß er die Deliquentin höchst ungalant im Angesichts der aus den
Waggons zusehenden gesammten Reisegesellschaft über das Knie bog
und nach Entfernung aller untern Kleidungsstücke auf dem entblößten
Theil mit flacher Hand einige wohlberechnete, weithin schallende Streiche
führte. Unter dem lauten Gelächter der Zuschauer stieg der Tyroler
wieder in den Waggon und nahm phlegmatisch Platz, zufrieden, in
den Besitz seiner Brieftasche gekommen zu sein und ohne sich um die
Glossen zu kümmern, die über die eigenthümliche Art jener Bestra¬
fung gemacht wurden, welche man wegen der Raschheit ihres Her¬
gangs mit Recht eine Eisenbahn-Justiz nennen könnte.

Von liccrarischen Gästen erwarten wir Herrn Laube, welcher auf
die Einladung des Fürsten Friedrich von Schwarzenberg über Mün¬
chen und Salzburg auf die Güter des Fürsten Lamberg in Steier-
mark gereist ist, um dort einige Zeit der Jagd zu widmen, welche
allerdings in den Alpen noch in alter romantischer Weise geübt wird,
während sie sonst in der Regel in ein aueh - und gefahrloses Ab¬
schlachten des Wildes ausgeartet ist, an dem eine kühne Männersecle
kaum mehr ein Vergnügen finden kann. Auf der Heimreise wird


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[0187] den ersten Waaren, welche den Weg von Prag hierher auf der Eisen¬ bahn zurücklegten, befand sich seltsamer Weise auch eine trächtige Hündin, welche ein speculativer Kopf aus Böhmen mittelst Fracht¬ brief nach der Hauptstadt spediren ließ, um dergestalt ihre zu erwar¬ tende Nachkommenschaft vortheilhaft zu verkaufen. Auf derselben Bahn ereignete sich unlängst folgender komischer Vorfall, dessen Wahrheit wir verbürgen können. Ein Tyroler machte in seiner Landestracht die Reise nach Mähren, und der Platz im Waggon mußte ihm sehr bequem dünken, was bei der Einrichtung der Waggons auf der Nordbahn freilich haltbar genug ist, denn er schlief bald ein. Durch das Kopfnicken des Schläfers stieg die Brief¬ tasche in seiner Jacke allmählig aus der Seitentasche und siel auf den Boden. Ihm gegenüber saßen ein Paar junge Damen, welche, wie man sagt, dem Stande der Galanterie angehörten, und kaum hatte eine von ihnen den Sturz des Portefeuilles wahrgenommen, als sie, nach kurzer Recognoscirung aller anwesenden Gesichter, das herrenlose Gut ganz leise in ihre verschwiegene Obhut nahm. Gleichwohl hatte die verschmitzte Diebin einen aufmerksamen Beobachter gefunden, wel¬ cher, in die Wagenecke gelehnt, eine ganz gleichgilrige Miene zur Schau trug; doch als auf der nächsten Station die beiden Damen ausstiegen, beeilte er sich, den schlummernden Tyroler zu wecken, und ihm die Thäterin zu bezeichnen. Der ehrliche Tyroler war nicht we¬ nig verwundert über den ihm gespielten Streich und humpelte auf der Stelle der Diebin nach, die er auch sogleich erhaschte und sobald er ihr das unter dem Shwal verborgene Portefeuille glücklich entrissen hatte, fo schritt er auch schnell zu einer Execution, welche darin bestand, daß er die Deliquentin höchst ungalant im Angesichts der aus den Waggons zusehenden gesammten Reisegesellschaft über das Knie bog und nach Entfernung aller untern Kleidungsstücke auf dem entblößten Theil mit flacher Hand einige wohlberechnete, weithin schallende Streiche führte. Unter dem lauten Gelächter der Zuschauer stieg der Tyroler wieder in den Waggon und nahm phlegmatisch Platz, zufrieden, in den Besitz seiner Brieftasche gekommen zu sein und ohne sich um die Glossen zu kümmern, die über die eigenthümliche Art jener Bestra¬ fung gemacht wurden, welche man wegen der Raschheit ihres Her¬ gangs mit Recht eine Eisenbahn-Justiz nennen könnte. Von liccrarischen Gästen erwarten wir Herrn Laube, welcher auf die Einladung des Fürsten Friedrich von Schwarzenberg über Mün¬ chen und Salzburg auf die Güter des Fürsten Lamberg in Steier- mark gereist ist, um dort einige Zeit der Jagd zu widmen, welche allerdings in den Alpen noch in alter romantischer Weise geübt wird, während sie sonst in der Regel in ein aueh - und gefahrloses Ab¬ schlachten des Wildes ausgeartet ist, an dem eine kühne Männersecle kaum mehr ein Vergnügen finden kann. Auf der Heimreise wird 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/187>, abgerufen am 05.02.2025.