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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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eine direktere und weniger unsichere Verbindung mit England herzu¬
stellen. Zugleich soll eine Eisenbahn von Adinquerque nach Gent ge¬
baut werden. Man würde dann in 12 -- 14 Stunden von hier in
London sein, da ein Dampfboot aus dem neuen Hafen nach Dower
nur drei Minuten brausen würde. Ostende hat nicht immer Wasser
genug und die Dampfer gehen von dort im nilergünstigsten Falle
fünf bis sechs, bei schlechtem Wetter dagegen acht bis neun Stunden
nach Dover, da sie bis auf die Höhe vor Dünkirchen längs der Küste
hin mit Vorsicht fahren müssen. Viele Engländer gehen daher jetzt
über Dünkirchen oder Calais nach dem Eontinent, wahrend Atm?
querque gewiß einen neuen Verkehrsstrom über Belgien bieten wird.

Nach Allem, was ich da vorbrachte, werden Sie glauben, daß
ich Belgien für ein trübseliges, prosaisches Land halte? Nicht doch.
Brüssel silbst, das pour >>>ju>l der Eingeborenen, die niedliche Anti-
chambre von Paris und London, Vrüss-l mit seinem weder flämischen
noch wallonischen Charakter, mit seiner französischen Eleganz und sei¬
ner unsranzösischen Nüchternheit; Brüssel ist ziemlich monoton und
wäre ohne den zahlreichen Schwarm interessanter Fremder, die hier
wohnen oder durchreisen, sehr langweilig süe den müßigen Touristen.

Belgien im Ganzen aber verdient den Nuf, den es in Deutsch¬
land hat. Der Pariser stößt sich hier an dem (!"i>rir <Jo ein,-!"-,', wie
er den belgischen Eommunalgeist nennt, der Engländer oder Ameri¬
kaner findet das politische und industrielle Leben kleinlich im Vergleich
mit dem seiner Heimath; der Deutsche aber hat keinen Grund zu
solchen Nasenrümpfen, er findet bei jedem Schritt die lehrreichste An¬
regung. Es ist wahr, die Flamänder leiden an Philosophie und
Sentimentalität sehr wenig; unter allen Germanen sind sie der ma¬
teriellste und unidealste Menschenschlag; sie sind gutmüthig und grob,
gar fleißige Arbeiter, gefeierte Mägen und durstige Kehlen; potenziere
Meklenburger. Roh und plump, wie die flandrischen Augpferde mit
den bebuschten Hufen, tiefkatholisch ohne Phantasie und lärmend ohne
Feuer, so sind die untern Classen. Auch der wohlhabende Mittel¬
stand zeichnet sich eben nicht durch besondere Bildung aus. Und doch
ist dem Volke ein tüchtiger Fond, ein gemüthlicher Sinn für Musik
und Plastik nicht abzustreiten, der bei glücklicher Pflege vielleicht wie¬
der so schöne Blüthen treiben könnte, wie vor Alters. Aber wenn
das Volk auch zehnmal weniger unterrichtet und noch zwanzigmal
materialistischer wäre, als es ist: dennoch müßte der Deutsche sich
eine Zeit lang wohl fühlen bei ihm und sich an der behaglichen Frei¬
heit weiden, die es ohne alle Philosophie und Aesthetik sich geschaffen
hat; blos mit einem bischen Männlichkeit und gemeinem Verstand.
Die hiesigen Zeitungen beschäftigen sich sehr wenig mit deutscher Po¬
litik; der Zollverein und die neuesten Zolluneinigkeitcn allein sind Ge¬
genstände der öffentlichen Aufmerksamkeit. In der That versteht man


eine direktere und weniger unsichere Verbindung mit England herzu¬
stellen. Zugleich soll eine Eisenbahn von Adinquerque nach Gent ge¬
baut werden. Man würde dann in 12 — 14 Stunden von hier in
London sein, da ein Dampfboot aus dem neuen Hafen nach Dower
nur drei Minuten brausen würde. Ostende hat nicht immer Wasser
genug und die Dampfer gehen von dort im nilergünstigsten Falle
fünf bis sechs, bei schlechtem Wetter dagegen acht bis neun Stunden
nach Dover, da sie bis auf die Höhe vor Dünkirchen längs der Küste
hin mit Vorsicht fahren müssen. Viele Engländer gehen daher jetzt
über Dünkirchen oder Calais nach dem Eontinent, wahrend Atm?
querque gewiß einen neuen Verkehrsstrom über Belgien bieten wird.

Nach Allem, was ich da vorbrachte, werden Sie glauben, daß
ich Belgien für ein trübseliges, prosaisches Land halte? Nicht doch.
Brüssel silbst, das pour >>>ju>l der Eingeborenen, die niedliche Anti-
chambre von Paris und London, Vrüss-l mit seinem weder flämischen
noch wallonischen Charakter, mit seiner französischen Eleganz und sei¬
ner unsranzösischen Nüchternheit; Brüssel ist ziemlich monoton und
wäre ohne den zahlreichen Schwarm interessanter Fremder, die hier
wohnen oder durchreisen, sehr langweilig süe den müßigen Touristen.

Belgien im Ganzen aber verdient den Nuf, den es in Deutsch¬
land hat. Der Pariser stößt sich hier an dem (!«i>rir <Jo ein,-!»-,', wie
er den belgischen Eommunalgeist nennt, der Engländer oder Ameri¬
kaner findet das politische und industrielle Leben kleinlich im Vergleich
mit dem seiner Heimath; der Deutsche aber hat keinen Grund zu
solchen Nasenrümpfen, er findet bei jedem Schritt die lehrreichste An¬
regung. Es ist wahr, die Flamänder leiden an Philosophie und
Sentimentalität sehr wenig; unter allen Germanen sind sie der ma¬
teriellste und unidealste Menschenschlag; sie sind gutmüthig und grob,
gar fleißige Arbeiter, gefeierte Mägen und durstige Kehlen; potenziere
Meklenburger. Roh und plump, wie die flandrischen Augpferde mit
den bebuschten Hufen, tiefkatholisch ohne Phantasie und lärmend ohne
Feuer, so sind die untern Classen. Auch der wohlhabende Mittel¬
stand zeichnet sich eben nicht durch besondere Bildung aus. Und doch
ist dem Volke ein tüchtiger Fond, ein gemüthlicher Sinn für Musik
und Plastik nicht abzustreiten, der bei glücklicher Pflege vielleicht wie¬
der so schöne Blüthen treiben könnte, wie vor Alters. Aber wenn
das Volk auch zehnmal weniger unterrichtet und noch zwanzigmal
materialistischer wäre, als es ist: dennoch müßte der Deutsche sich
eine Zeit lang wohl fühlen bei ihm und sich an der behaglichen Frei¬
heit weiden, die es ohne alle Philosophie und Aesthetik sich geschaffen
hat; blos mit einem bischen Männlichkeit und gemeinem Verstand.
Die hiesigen Zeitungen beschäftigen sich sehr wenig mit deutscher Po¬
litik; der Zollverein und die neuesten Zolluneinigkeitcn allein sind Ge¬
genstände der öffentlichen Aufmerksamkeit. In der That versteht man


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[0184] eine direktere und weniger unsichere Verbindung mit England herzu¬ stellen. Zugleich soll eine Eisenbahn von Adinquerque nach Gent ge¬ baut werden. Man würde dann in 12 — 14 Stunden von hier in London sein, da ein Dampfboot aus dem neuen Hafen nach Dower nur drei Minuten brausen würde. Ostende hat nicht immer Wasser genug und die Dampfer gehen von dort im nilergünstigsten Falle fünf bis sechs, bei schlechtem Wetter dagegen acht bis neun Stunden nach Dover, da sie bis auf die Höhe vor Dünkirchen längs der Küste hin mit Vorsicht fahren müssen. Viele Engländer gehen daher jetzt über Dünkirchen oder Calais nach dem Eontinent, wahrend Atm? querque gewiß einen neuen Verkehrsstrom über Belgien bieten wird. Nach Allem, was ich da vorbrachte, werden Sie glauben, daß ich Belgien für ein trübseliges, prosaisches Land halte? Nicht doch. Brüssel silbst, das pour >>>ju>l der Eingeborenen, die niedliche Anti- chambre von Paris und London, Vrüss-l mit seinem weder flämischen noch wallonischen Charakter, mit seiner französischen Eleganz und sei¬ ner unsranzösischen Nüchternheit; Brüssel ist ziemlich monoton und wäre ohne den zahlreichen Schwarm interessanter Fremder, die hier wohnen oder durchreisen, sehr langweilig süe den müßigen Touristen. Belgien im Ganzen aber verdient den Nuf, den es in Deutsch¬ land hat. Der Pariser stößt sich hier an dem (!«i>rir <Jo ein,-!»-,', wie er den belgischen Eommunalgeist nennt, der Engländer oder Ameri¬ kaner findet das politische und industrielle Leben kleinlich im Vergleich mit dem seiner Heimath; der Deutsche aber hat keinen Grund zu solchen Nasenrümpfen, er findet bei jedem Schritt die lehrreichste An¬ regung. Es ist wahr, die Flamänder leiden an Philosophie und Sentimentalität sehr wenig; unter allen Germanen sind sie der ma¬ teriellste und unidealste Menschenschlag; sie sind gutmüthig und grob, gar fleißige Arbeiter, gefeierte Mägen und durstige Kehlen; potenziere Meklenburger. Roh und plump, wie die flandrischen Augpferde mit den bebuschten Hufen, tiefkatholisch ohne Phantasie und lärmend ohne Feuer, so sind die untern Classen. Auch der wohlhabende Mittel¬ stand zeichnet sich eben nicht durch besondere Bildung aus. Und doch ist dem Volke ein tüchtiger Fond, ein gemüthlicher Sinn für Musik und Plastik nicht abzustreiten, der bei glücklicher Pflege vielleicht wie¬ der so schöne Blüthen treiben könnte, wie vor Alters. Aber wenn das Volk auch zehnmal weniger unterrichtet und noch zwanzigmal materialistischer wäre, als es ist: dennoch müßte der Deutsche sich eine Zeit lang wohl fühlen bei ihm und sich an der behaglichen Frei¬ heit weiden, die es ohne alle Philosophie und Aesthetik sich geschaffen hat; blos mit einem bischen Männlichkeit und gemeinem Verstand. Die hiesigen Zeitungen beschäftigen sich sehr wenig mit deutscher Po¬ litik; der Zollverein und die neuesten Zolluneinigkeitcn allein sind Ge¬ genstände der öffentlichen Aufmerksamkeit. In der That versteht man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/184>, abgerufen am 05.02.2025.