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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Schlangen, die Figuren scheinen des Bodens gar nicht zu bedürfen
und haben doch weder Flügel noch Drachenfüße, abgesehen davon, daß
man sie eben so gut, wo nicht besser, für Patagonier, als für grie¬
chische Helden halten könnte. Der noch berühmtere Gallait, der so
hübsche spanische Kavaliere zu malen weiß, hat einen Christus (halbe
Figur) ausgestellt, den man ohne die stereotype Heilandssrisur für
einen eleganten Geschäftsreisenden mit einem Bart !l I" j>"">! ?r"in:v
halten würde. Calame's Tempel zu Pästum macht vielleicht im
Ganzen die rühmlichste Ausnahme unter den Belgiern; es ist eine
herrliche Abendlandschaft. Der gefeierte Narbvckhoven malt auch im¬
mer seine Schafe, die zum Sprechen ähnlich sind. Allein er hat sichs
in den Kopf gesetzt, eben nichts als Schafe oder zur Abwechselung
einmal ein Paar Hunde oder ein Stück Nind zu malen. Seine Tech¬
nik ist tadellos, seine Komposition ist trostlos-eintönig. Er malt --
und dies ist ihm selbst von den hu sigcn Kritikern, seinen Verehrern,
vorgeworfen worden er malt Staffage ohne Gemälde dazu, ja fast
ohne Rahmen. Seine Schafe, Hunde und Ochsen würden sich, in
einer niederländischen Landschaft, gehörig vertheilt, sehr gut aufneh-
men. So aber sehen sie wie Portraits von Schafen, Hunden
und Ochsen aus und es scheint sogar, daß die Thiere ihm hübsch ru¬
hig gestanden haben, denn es ist keine Spur von Bewegung, von
charakteristischem Leben in ihnen. Wappcrs, de Ker/er und de Biefve
haben sich bei der Kunstausstellung gar nicht betheiligt- Die größten
Lichtpunkte dieser belgischen Kunstausstellung sind einige deutsche
Bilder: Becker's vom Blitz erschlagener Hirt, eine Landschaft von
Reifcnstein und ein Genrebild von Waldmüller, nehmen sich doppelt
schön aus mitten unter dem geistlosen Farbenchaos ringsum; , das
Auge erholt sich, wenn es auf ihnen verweilt, und man ist freudig
überrascht, unter Larven endlich eine fühlende Brust zu finden.*)

Nein, nicht in Literatur und Kunst sucht das heutige Belgien
seinen Glanz; obgleich die Negierung und die Magistrate in freigebi¬
ger Aufmunterung von Erziehungs- und Kunstinstituten wetteifern.
Belgien hat auch keine Zeit, an die "höhern" Interessen zu denken;
der Kampf gegen die Hierarchie und das rauschende Industriellen
absorbiren vor der Hand alle Kräfte. Ein Dampfmaschinenprojekt
taucht nach dem andern auf. Daß eine Privatgesellschaft damit um¬
geht, das Eisenbahnnetz über das ganze Land auszudehnen, d. h.
auch die Kommunalwege mit Schienen zu belegen, habe ich Ihnen schon
früher gemeldet. Jetzt will eine andere Gesellschaft, aus Engländern
und Belgiern bestehend, einen neuen Hafen bei Adinquerque, hart
an der französischen Grenze, nicht weit von Dünkirchen, anlegen, um



*) Wir glauben, unser Correspondent setzt aus Patriotismus die beli¬
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D. Red/ schen ?eater allzusehr herab. '

Schlangen, die Figuren scheinen des Bodens gar nicht zu bedürfen
und haben doch weder Flügel noch Drachenfüße, abgesehen davon, daß
man sie eben so gut, wo nicht besser, für Patagonier, als für grie¬
chische Helden halten könnte. Der noch berühmtere Gallait, der so
hübsche spanische Kavaliere zu malen weiß, hat einen Christus (halbe
Figur) ausgestellt, den man ohne die stereotype Heilandssrisur für
einen eleganten Geschäftsreisenden mit einem Bart !l I» j>»»>! ?r»in:v
halten würde. Calame's Tempel zu Pästum macht vielleicht im
Ganzen die rühmlichste Ausnahme unter den Belgiern; es ist eine
herrliche Abendlandschaft. Der gefeierte Narbvckhoven malt auch im¬
mer seine Schafe, die zum Sprechen ähnlich sind. Allein er hat sichs
in den Kopf gesetzt, eben nichts als Schafe oder zur Abwechselung
einmal ein Paar Hunde oder ein Stück Nind zu malen. Seine Tech¬
nik ist tadellos, seine Komposition ist trostlos-eintönig. Er malt —
und dies ist ihm selbst von den hu sigcn Kritikern, seinen Verehrern,
vorgeworfen worden er malt Staffage ohne Gemälde dazu, ja fast
ohne Rahmen. Seine Schafe, Hunde und Ochsen würden sich, in
einer niederländischen Landschaft, gehörig vertheilt, sehr gut aufneh-
men. So aber sehen sie wie Portraits von Schafen, Hunden
und Ochsen aus und es scheint sogar, daß die Thiere ihm hübsch ru¬
hig gestanden haben, denn es ist keine Spur von Bewegung, von
charakteristischem Leben in ihnen. Wappcrs, de Ker/er und de Biefve
haben sich bei der Kunstausstellung gar nicht betheiligt- Die größten
Lichtpunkte dieser belgischen Kunstausstellung sind einige deutsche
Bilder: Becker's vom Blitz erschlagener Hirt, eine Landschaft von
Reifcnstein und ein Genrebild von Waldmüller, nehmen sich doppelt
schön aus mitten unter dem geistlosen Farbenchaos ringsum; , das
Auge erholt sich, wenn es auf ihnen verweilt, und man ist freudig
überrascht, unter Larven endlich eine fühlende Brust zu finden.*)

Nein, nicht in Literatur und Kunst sucht das heutige Belgien
seinen Glanz; obgleich die Negierung und die Magistrate in freigebi¬
ger Aufmunterung von Erziehungs- und Kunstinstituten wetteifern.
Belgien hat auch keine Zeit, an die „höhern" Interessen zu denken;
der Kampf gegen die Hierarchie und das rauschende Industriellen
absorbiren vor der Hand alle Kräfte. Ein Dampfmaschinenprojekt
taucht nach dem andern auf. Daß eine Privatgesellschaft damit um¬
geht, das Eisenbahnnetz über das ganze Land auszudehnen, d. h.
auch die Kommunalwege mit Schienen zu belegen, habe ich Ihnen schon
früher gemeldet. Jetzt will eine andere Gesellschaft, aus Engländern
und Belgiern bestehend, einen neuen Hafen bei Adinquerque, hart
an der französischen Grenze, nicht weit von Dünkirchen, anlegen, um



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[0183] Schlangen, die Figuren scheinen des Bodens gar nicht zu bedürfen und haben doch weder Flügel noch Drachenfüße, abgesehen davon, daß man sie eben so gut, wo nicht besser, für Patagonier, als für grie¬ chische Helden halten könnte. Der noch berühmtere Gallait, der so hübsche spanische Kavaliere zu malen weiß, hat einen Christus (halbe Figur) ausgestellt, den man ohne die stereotype Heilandssrisur für einen eleganten Geschäftsreisenden mit einem Bart !l I» j>»»>! ?r»in:v halten würde. Calame's Tempel zu Pästum macht vielleicht im Ganzen die rühmlichste Ausnahme unter den Belgiern; es ist eine herrliche Abendlandschaft. Der gefeierte Narbvckhoven malt auch im¬ mer seine Schafe, die zum Sprechen ähnlich sind. Allein er hat sichs in den Kopf gesetzt, eben nichts als Schafe oder zur Abwechselung einmal ein Paar Hunde oder ein Stück Nind zu malen. Seine Tech¬ nik ist tadellos, seine Komposition ist trostlos-eintönig. Er malt — und dies ist ihm selbst von den hu sigcn Kritikern, seinen Verehrern, vorgeworfen worden er malt Staffage ohne Gemälde dazu, ja fast ohne Rahmen. Seine Schafe, Hunde und Ochsen würden sich, in einer niederländischen Landschaft, gehörig vertheilt, sehr gut aufneh- men. So aber sehen sie wie Portraits von Schafen, Hunden und Ochsen aus und es scheint sogar, daß die Thiere ihm hübsch ru¬ hig gestanden haben, denn es ist keine Spur von Bewegung, von charakteristischem Leben in ihnen. Wappcrs, de Ker/er und de Biefve haben sich bei der Kunstausstellung gar nicht betheiligt- Die größten Lichtpunkte dieser belgischen Kunstausstellung sind einige deutsche Bilder: Becker's vom Blitz erschlagener Hirt, eine Landschaft von Reifcnstein und ein Genrebild von Waldmüller, nehmen sich doppelt schön aus mitten unter dem geistlosen Farbenchaos ringsum; , das Auge erholt sich, wenn es auf ihnen verweilt, und man ist freudig überrascht, unter Larven endlich eine fühlende Brust zu finden.*) Nein, nicht in Literatur und Kunst sucht das heutige Belgien seinen Glanz; obgleich die Negierung und die Magistrate in freigebi¬ ger Aufmunterung von Erziehungs- und Kunstinstituten wetteifern. Belgien hat auch keine Zeit, an die „höhern" Interessen zu denken; der Kampf gegen die Hierarchie und das rauschende Industriellen absorbiren vor der Hand alle Kräfte. Ein Dampfmaschinenprojekt taucht nach dem andern auf. Daß eine Privatgesellschaft damit um¬ geht, das Eisenbahnnetz über das ganze Land auszudehnen, d. h. auch die Kommunalwege mit Schienen zu belegen, habe ich Ihnen schon früher gemeldet. Jetzt will eine andere Gesellschaft, aus Engländern und Belgiern bestehend, einen neuen Hafen bei Adinquerque, hart an der französischen Grenze, nicht weit von Dünkirchen, anlegen, um *) Wir glauben, unser Correspondent setzt aus Patriotismus die beli¬ g D. Red/ schen ?eater allzusehr herab. '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/183>, abgerufen am 05.02.2025.