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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Ich fand den Grafen in einem großen, weißen Locale, welches
den Titel Saal führte. Er saß, aus einer langen Pfeife rauchend,
auf einem lehnloscn Sessel, und berieth mit drei Wirthschaftöaufsc-
hcrn, welche an der Thür des Saales in Colonne standen, über
eine Angelegenheit, die ich bald näher kennen lernte.

Als ich eintrat erhob sich der alte Graf, und trat mir mit den
gewohnheitlich, also ziemlich kahl und trocken hingesagten Worten:
"Ich grüße Dich Herr" entgegen. Ich küßte ihm die Hand, denn
so erforderte es die polnische Sitte in Erwägung seines ansehnlichen
Alters und meiner Jugend, und er küßte mir dafür die Achsel.
Ohne mehr etwas zu sagen oder zu fragen, kehrte er wieder auf
seinen Sessel zurück, und berieth, ohne alle Rücksicht auf mich, wei¬
ter mit seinen Wirthschaftern.

Die Berathung betraf eine Magd, welche zum zweiten Male
ihren Dienst verlassen und in ein entferntes Dorf geflüchtet war, um
dort bei deutschen Colonisten zu dienen. Diese nämlich geben einen
wett höheren Geldlohn, als die Edelleute, die ihre Knechte und
Mägde, die stets die Kinder ihrer Bauern sind, für nach dem Ra-
turrecht ihnen zugehörige Personen zu halten pflegen.

Erst als die Berathung zu Ende und die Wirthschaftsaufseher
entlassen waren, wendete sich der Graf wieder zu mir, aber nun ließ
er mir auch seine ganze Freundlichkeit und Hingebung zu Theil wer¬
den. Er führte mich zunächst in sein Wirtschaftsgebäude und machte
mich mit seinen ökonomischen Einrichtungen bekannt, die er als ganz
französischem Muster entsprechend, selbst sehr rühmte. Wir schritten
sodann unter Begleitung der beiden Fräuleins nach dem ziemlich ver¬
wilderten Baumgarten, in welchem zwei kleine, kaum weniger wilde
Blumengärtchen mir als die Pfleglinge der beiden Fräuleins präsen-
tirt wurden. Die Fräuleins wünschten von mir etwas über deutsche
Blumenzucht zu hören, ich konnte ihnen nichts mittheilen.

In einem der beiden Gärtchen fanden wir die Gattin des Gra¬
fen, eine bejahrte, aber ungemein liebenswürdige edle Donna, deren
Patriotismus sich in der letzten polnischen Revolution so groß und
unverhohlen gezeigt hat, daß sich die russische Behörde zu ihrer
Schmach nicht hat enthalten können, diese edle herrliche Frau vor
ihr Kriegsgericht zu ziehen, und mit einer bedeutenden Strafe zu
belegen, von welcher sie jedoch ein russischer Oberst, ein Kurländer,


Ich fand den Grafen in einem großen, weißen Locale, welches
den Titel Saal führte. Er saß, aus einer langen Pfeife rauchend,
auf einem lehnloscn Sessel, und berieth mit drei Wirthschaftöaufsc-
hcrn, welche an der Thür des Saales in Colonne standen, über
eine Angelegenheit, die ich bald näher kennen lernte.

Als ich eintrat erhob sich der alte Graf, und trat mir mit den
gewohnheitlich, also ziemlich kahl und trocken hingesagten Worten:
„Ich grüße Dich Herr" entgegen. Ich küßte ihm die Hand, denn
so erforderte es die polnische Sitte in Erwägung seines ansehnlichen
Alters und meiner Jugend, und er küßte mir dafür die Achsel.
Ohne mehr etwas zu sagen oder zu fragen, kehrte er wieder auf
seinen Sessel zurück, und berieth, ohne alle Rücksicht auf mich, wei¬
ter mit seinen Wirthschaftern.

Die Berathung betraf eine Magd, welche zum zweiten Male
ihren Dienst verlassen und in ein entferntes Dorf geflüchtet war, um
dort bei deutschen Colonisten zu dienen. Diese nämlich geben einen
wett höheren Geldlohn, als die Edelleute, die ihre Knechte und
Mägde, die stets die Kinder ihrer Bauern sind, für nach dem Ra-
turrecht ihnen zugehörige Personen zu halten pflegen.

Erst als die Berathung zu Ende und die Wirthschaftsaufseher
entlassen waren, wendete sich der Graf wieder zu mir, aber nun ließ
er mir auch seine ganze Freundlichkeit und Hingebung zu Theil wer¬
den. Er führte mich zunächst in sein Wirtschaftsgebäude und machte
mich mit seinen ökonomischen Einrichtungen bekannt, die er als ganz
französischem Muster entsprechend, selbst sehr rühmte. Wir schritten
sodann unter Begleitung der beiden Fräuleins nach dem ziemlich ver¬
wilderten Baumgarten, in welchem zwei kleine, kaum weniger wilde
Blumengärtchen mir als die Pfleglinge der beiden Fräuleins präsen-
tirt wurden. Die Fräuleins wünschten von mir etwas über deutsche
Blumenzucht zu hören, ich konnte ihnen nichts mittheilen.

In einem der beiden Gärtchen fanden wir die Gattin des Gra¬
fen, eine bejahrte, aber ungemein liebenswürdige edle Donna, deren
Patriotismus sich in der letzten polnischen Revolution so groß und
unverhohlen gezeigt hat, daß sich die russische Behörde zu ihrer
Schmach nicht hat enthalten können, diese edle herrliche Frau vor
ihr Kriegsgericht zu ziehen, und mit einer bedeutenden Strafe zu
belegen, von welcher sie jedoch ein russischer Oberst, ein Kurländer,


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[0018] Ich fand den Grafen in einem großen, weißen Locale, welches den Titel Saal führte. Er saß, aus einer langen Pfeife rauchend, auf einem lehnloscn Sessel, und berieth mit drei Wirthschaftöaufsc- hcrn, welche an der Thür des Saales in Colonne standen, über eine Angelegenheit, die ich bald näher kennen lernte. Als ich eintrat erhob sich der alte Graf, und trat mir mit den gewohnheitlich, also ziemlich kahl und trocken hingesagten Worten: „Ich grüße Dich Herr" entgegen. Ich küßte ihm die Hand, denn so erforderte es die polnische Sitte in Erwägung seines ansehnlichen Alters und meiner Jugend, und er küßte mir dafür die Achsel. Ohne mehr etwas zu sagen oder zu fragen, kehrte er wieder auf seinen Sessel zurück, und berieth, ohne alle Rücksicht auf mich, wei¬ ter mit seinen Wirthschaftern. Die Berathung betraf eine Magd, welche zum zweiten Male ihren Dienst verlassen und in ein entferntes Dorf geflüchtet war, um dort bei deutschen Colonisten zu dienen. Diese nämlich geben einen wett höheren Geldlohn, als die Edelleute, die ihre Knechte und Mägde, die stets die Kinder ihrer Bauern sind, für nach dem Ra- turrecht ihnen zugehörige Personen zu halten pflegen. Erst als die Berathung zu Ende und die Wirthschaftsaufseher entlassen waren, wendete sich der Graf wieder zu mir, aber nun ließ er mir auch seine ganze Freundlichkeit und Hingebung zu Theil wer¬ den. Er führte mich zunächst in sein Wirtschaftsgebäude und machte mich mit seinen ökonomischen Einrichtungen bekannt, die er als ganz französischem Muster entsprechend, selbst sehr rühmte. Wir schritten sodann unter Begleitung der beiden Fräuleins nach dem ziemlich ver¬ wilderten Baumgarten, in welchem zwei kleine, kaum weniger wilde Blumengärtchen mir als die Pfleglinge der beiden Fräuleins präsen- tirt wurden. Die Fräuleins wünschten von mir etwas über deutsche Blumenzucht zu hören, ich konnte ihnen nichts mittheilen. In einem der beiden Gärtchen fanden wir die Gattin des Gra¬ fen, eine bejahrte, aber ungemein liebenswürdige edle Donna, deren Patriotismus sich in der letzten polnischen Revolution so groß und unverhohlen gezeigt hat, daß sich die russische Behörde zu ihrer Schmach nicht hat enthalten können, diese edle herrliche Frau vor ihr Kriegsgericht zu ziehen, und mit einer bedeutenden Strafe zu belegen, von welcher sie jedoch ein russischer Oberst, ein Kurländer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/18>, abgerufen am 05.02.2025.