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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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warf meinen Dichter mürrich auf den Tisch, und fragte nach dem
I>it88ilporw. Da stand deutlich zu lesen: " ^luuno api collo^w
tZerni-tuico in K"in->." Dies genügte, mich ohne weitere Untersu¬
chung als keinen Landstreicher oder Schmuggler, sondern vielmehr
als guten Christen zu behandeln. Der Paß ward ohne Anstand
visirt, und mir noch obenein ein freundliches "du"" viaMv" nach¬
gerufen. Es ist manchmal doch gut, wenn der Sicherheitsschein
zugleich als Glaubensbekenntniß präsentirt werden kann! Uebrigens
würde der Hagre auch bei der strengsten Visitation außer der nöthi¬
gen Wäsche nur noch ein mit meinen eigenen schlechten Schülerpoe-
sien angefülltes Heft entdeckt haben. Diese hielt ich für kolossale
Meisterwerke, und versprach mir davon einen außerordentlichen Er¬
folg, wenn ich in der Metropole aller Klassicität noch die letzte Feile
an sie gelegt haben würde. Zum Glück für mich und das Publi¬
kum, dem es wahrlich an verschrobenen Söhnen Apollo's nicht fehlt,
wurde ich später noch zu rechter Zeit klug genug, meine Meister¬
werke ohne alle vorhergegangene Ceremonie eigenhändig in's Feuer
zu werfen.

Nach einer Stunde verfinsterte sich der Himmel, die Castanien-
hügel rechts und links, die mir kaum noch freundlich entgegenge^
lächelt, kleideten sich in Wolken, und ich schritt abwärts in einen un¬
durchdringlichen Nebel. Dies schien mir ein böses Omen. Mür¬
risch wie ein Kaufmann, der eben die Nachricht vom Untergange sei¬
nes Dreimasters, oder vom Bankerott seines Debitors erhalten, setzte
ich den nachmittägigen Marsch fort. Als sich aber gegen Abend die
Sonne wieder zeigte, beim Einbruch der Nacht die Sterne über die
fruchtbaren Gärten um Chiavenna glänzten, und im Gasthof mein
gesprächiger Wirth mir in Feigen und Orangen eine ganze Welt
von ungeahnten Süßigkeiten als Nachtisch aufsetzen ließ, war ich bald
wieder der Harm- und sorgenlose Schwabenstudio. In meinem
Schlafzimmer angekommen, schaute ich noch lange über die vom
Mondschein beleuchteten üppigen Gefilde hin, und malte dabei mei¬
nen Kampf auf den Höhen des Almitv 8j"In^a mit so kühnen Far¬
ben, daß mir die Einnahme des ersten Nachtlagers auf italienischem
Boden wirklich eine heldenmüthige That schien. Mein Heroismus
ward ohne Säumen durch zehn donnernde Alerandriner in meinem


Grenzboten, I8is. IV. 20

warf meinen Dichter mürrich auf den Tisch, und fragte nach dem
I>it88ilporw. Da stand deutlich zu lesen: „ ^luuno api collo^w
tZerni-tuico in K»in->." Dies genügte, mich ohne weitere Untersu¬
chung als keinen Landstreicher oder Schmuggler, sondern vielmehr
als guten Christen zu behandeln. Der Paß ward ohne Anstand
visirt, und mir noch obenein ein freundliches „du»« viaMv" nach¬
gerufen. Es ist manchmal doch gut, wenn der Sicherheitsschein
zugleich als Glaubensbekenntniß präsentirt werden kann! Uebrigens
würde der Hagre auch bei der strengsten Visitation außer der nöthi¬
gen Wäsche nur noch ein mit meinen eigenen schlechten Schülerpoe-
sien angefülltes Heft entdeckt haben. Diese hielt ich für kolossale
Meisterwerke, und versprach mir davon einen außerordentlichen Er¬
folg, wenn ich in der Metropole aller Klassicität noch die letzte Feile
an sie gelegt haben würde. Zum Glück für mich und das Publi¬
kum, dem es wahrlich an verschrobenen Söhnen Apollo's nicht fehlt,
wurde ich später noch zu rechter Zeit klug genug, meine Meister¬
werke ohne alle vorhergegangene Ceremonie eigenhändig in's Feuer
zu werfen.

Nach einer Stunde verfinsterte sich der Himmel, die Castanien-
hügel rechts und links, die mir kaum noch freundlich entgegenge^
lächelt, kleideten sich in Wolken, und ich schritt abwärts in einen un¬
durchdringlichen Nebel. Dies schien mir ein böses Omen. Mür¬
risch wie ein Kaufmann, der eben die Nachricht vom Untergange sei¬
nes Dreimasters, oder vom Bankerott seines Debitors erhalten, setzte
ich den nachmittägigen Marsch fort. Als sich aber gegen Abend die
Sonne wieder zeigte, beim Einbruch der Nacht die Sterne über die
fruchtbaren Gärten um Chiavenna glänzten, und im Gasthof mein
gesprächiger Wirth mir in Feigen und Orangen eine ganze Welt
von ungeahnten Süßigkeiten als Nachtisch aufsetzen ließ, war ich bald
wieder der Harm- und sorgenlose Schwabenstudio. In meinem
Schlafzimmer angekommen, schaute ich noch lange über die vom
Mondschein beleuchteten üppigen Gefilde hin, und malte dabei mei¬
nen Kampf auf den Höhen des Almitv 8j»In^a mit so kühnen Far¬
ben, daß mir die Einnahme des ersten Nachtlagers auf italienischem
Boden wirklich eine heldenmüthige That schien. Mein Heroismus
ward ohne Säumen durch zehn donnernde Alerandriner in meinem


Grenzboten, I8is. IV. 20
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[0161] warf meinen Dichter mürrich auf den Tisch, und fragte nach dem I>it88ilporw. Da stand deutlich zu lesen: „ ^luuno api collo^w tZerni-tuico in K»in->." Dies genügte, mich ohne weitere Untersu¬ chung als keinen Landstreicher oder Schmuggler, sondern vielmehr als guten Christen zu behandeln. Der Paß ward ohne Anstand visirt, und mir noch obenein ein freundliches „du»« viaMv" nach¬ gerufen. Es ist manchmal doch gut, wenn der Sicherheitsschein zugleich als Glaubensbekenntniß präsentirt werden kann! Uebrigens würde der Hagre auch bei der strengsten Visitation außer der nöthi¬ gen Wäsche nur noch ein mit meinen eigenen schlechten Schülerpoe- sien angefülltes Heft entdeckt haben. Diese hielt ich für kolossale Meisterwerke, und versprach mir davon einen außerordentlichen Er¬ folg, wenn ich in der Metropole aller Klassicität noch die letzte Feile an sie gelegt haben würde. Zum Glück für mich und das Publi¬ kum, dem es wahrlich an verschrobenen Söhnen Apollo's nicht fehlt, wurde ich später noch zu rechter Zeit klug genug, meine Meister¬ werke ohne alle vorhergegangene Ceremonie eigenhändig in's Feuer zu werfen. Nach einer Stunde verfinsterte sich der Himmel, die Castanien- hügel rechts und links, die mir kaum noch freundlich entgegenge^ lächelt, kleideten sich in Wolken, und ich schritt abwärts in einen un¬ durchdringlichen Nebel. Dies schien mir ein böses Omen. Mür¬ risch wie ein Kaufmann, der eben die Nachricht vom Untergange sei¬ nes Dreimasters, oder vom Bankerott seines Debitors erhalten, setzte ich den nachmittägigen Marsch fort. Als sich aber gegen Abend die Sonne wieder zeigte, beim Einbruch der Nacht die Sterne über die fruchtbaren Gärten um Chiavenna glänzten, und im Gasthof mein gesprächiger Wirth mir in Feigen und Orangen eine ganze Welt von ungeahnten Süßigkeiten als Nachtisch aufsetzen ließ, war ich bald wieder der Harm- und sorgenlose Schwabenstudio. In meinem Schlafzimmer angekommen, schaute ich noch lange über die vom Mondschein beleuchteten üppigen Gefilde hin, und malte dabei mei¬ nen Kampf auf den Höhen des Almitv 8j»In^a mit so kühnen Far¬ ben, daß mir die Einnahme des ersten Nachtlagers auf italienischem Boden wirklich eine heldenmüthige That schien. Mein Heroismus ward ohne Säumen durch zehn donnernde Alerandriner in meinem Grenzboten, I8is. IV. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/161>, abgerufen am 05.02.2025.