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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Weit und breit war kein menschliches Wesen zu schauen. Ich
saß allein auf der hohen Bergspitze, und in der öden Einsamkeit
fühlte sich auch mein Herz öde und einsam. Die blauen Tannen^
gipfel aus dem Norden schienen so wehmüthig auf mich herüber zu
blicken, als wollten sie mir zurufen: "Bleib ein deutscher Jüngling,
und wandere nicht hinab in das unbekannte Land, in dem du ein
Paradies zu finden hoffst, und vielleicht -- einen Kerker mit Skla¬
venbanden findest." Die Worte des offenherzigen Benedictiners fielen
zum ersten Mal lastend auf meine Seele. Aber es war nur ein
kurzer Moment! Ich dachte wieder an die salbungsvollen Reden
des Lieutenants, an meine frommen Eltern und Geschwister, die in
meinem Entschluß ihre höchste Erdenseligkeit sahen. Ich dachte an
den Gram, den meine Rückkehr allen diesen guten Leuten bereiten
würde. Ich dachte an die Kosten der bereits zurückgelegten Reise,
deren Verantwortung mir aufs Herz siel. Die kindliche Liebe siegte,
das kleine Felleisen war wieder auf den Rücken geschnallt, und den
kräftigen Degenstock in der Hand, schritt ich stumm dem südlichen Ab¬
hänge zu, nicht ohne Bangen den Punkt erwartend, der die letzte
deutsche Bergspitze meinem Gesichtskreis entrücken sollte.


IV.

Nach kurzer Wanderschaft drehte sich der Weg um einen hohen
Felsen. Der Vorhang war hinter mir gefallen, und ich stand vor
der lombardischen Dogana. Ein hagerer Mann mit schwarzem Bart
und struppigen Haar donnerte mir mit tiefer Baßstimme' ein so
kräftiges """trat"" entgegen, daß ich vor Schrecken beinahe zu Bo¬
den sank. Indeß hielt ich es für rathsam, die Aufforderung nicht
widerholen zu lassen, und schritt rasch durch die niedre Thür in daS
finstre Gemach, gleich bereit, den Inhalt meines kleinen Gepäckes zu
zeigen. Der erste Gegenstand, welcher dabei zum Vorschein kam,
war die StereotvpauSgabe des Sophokles im Original- Der Hagre
fiel hastig über das Buch her, und schien nicht wenig verblüfft über
die Krirkrar, die er verkehrt in Händen hielt. Er musterte mich
nochmal von Kopf bis zu Fuß, gleichsam als wolle er sich überzeu¬
gen, ob wirklich das Embrvo eines Barbaren vor ihm stehe. Ich
mußte lächeln, und drehte das Buch, indem ich zu verstehen gab,
daß er wohl das Griechische nicht werde rücklings lesen können. Er


Weit und breit war kein menschliches Wesen zu schauen. Ich
saß allein auf der hohen Bergspitze, und in der öden Einsamkeit
fühlte sich auch mein Herz öde und einsam. Die blauen Tannen^
gipfel aus dem Norden schienen so wehmüthig auf mich herüber zu
blicken, als wollten sie mir zurufen: „Bleib ein deutscher Jüngling,
und wandere nicht hinab in das unbekannte Land, in dem du ein
Paradies zu finden hoffst, und vielleicht — einen Kerker mit Skla¬
venbanden findest." Die Worte des offenherzigen Benedictiners fielen
zum ersten Mal lastend auf meine Seele. Aber es war nur ein
kurzer Moment! Ich dachte wieder an die salbungsvollen Reden
des Lieutenants, an meine frommen Eltern und Geschwister, die in
meinem Entschluß ihre höchste Erdenseligkeit sahen. Ich dachte an
den Gram, den meine Rückkehr allen diesen guten Leuten bereiten
würde. Ich dachte an die Kosten der bereits zurückgelegten Reise,
deren Verantwortung mir aufs Herz siel. Die kindliche Liebe siegte,
das kleine Felleisen war wieder auf den Rücken geschnallt, und den
kräftigen Degenstock in der Hand, schritt ich stumm dem südlichen Ab¬
hänge zu, nicht ohne Bangen den Punkt erwartend, der die letzte
deutsche Bergspitze meinem Gesichtskreis entrücken sollte.


IV.

Nach kurzer Wanderschaft drehte sich der Weg um einen hohen
Felsen. Der Vorhang war hinter mir gefallen, und ich stand vor
der lombardischen Dogana. Ein hagerer Mann mit schwarzem Bart
und struppigen Haar donnerte mir mit tiefer Baßstimme' ein so
kräftiges „«„trat»" entgegen, daß ich vor Schrecken beinahe zu Bo¬
den sank. Indeß hielt ich es für rathsam, die Aufforderung nicht
widerholen zu lassen, und schritt rasch durch die niedre Thür in daS
finstre Gemach, gleich bereit, den Inhalt meines kleinen Gepäckes zu
zeigen. Der erste Gegenstand, welcher dabei zum Vorschein kam,
war die StereotvpauSgabe des Sophokles im Original- Der Hagre
fiel hastig über das Buch her, und schien nicht wenig verblüfft über
die Krirkrar, die er verkehrt in Händen hielt. Er musterte mich
nochmal von Kopf bis zu Fuß, gleichsam als wolle er sich überzeu¬
gen, ob wirklich das Embrvo eines Barbaren vor ihm stehe. Ich
mußte lächeln, und drehte das Buch, indem ich zu verstehen gab,
daß er wohl das Griechische nicht werde rücklings lesen können. Er


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[0160] Weit und breit war kein menschliches Wesen zu schauen. Ich saß allein auf der hohen Bergspitze, und in der öden Einsamkeit fühlte sich auch mein Herz öde und einsam. Die blauen Tannen^ gipfel aus dem Norden schienen so wehmüthig auf mich herüber zu blicken, als wollten sie mir zurufen: „Bleib ein deutscher Jüngling, und wandere nicht hinab in das unbekannte Land, in dem du ein Paradies zu finden hoffst, und vielleicht — einen Kerker mit Skla¬ venbanden findest." Die Worte des offenherzigen Benedictiners fielen zum ersten Mal lastend auf meine Seele. Aber es war nur ein kurzer Moment! Ich dachte wieder an die salbungsvollen Reden des Lieutenants, an meine frommen Eltern und Geschwister, die in meinem Entschluß ihre höchste Erdenseligkeit sahen. Ich dachte an den Gram, den meine Rückkehr allen diesen guten Leuten bereiten würde. Ich dachte an die Kosten der bereits zurückgelegten Reise, deren Verantwortung mir aufs Herz siel. Die kindliche Liebe siegte, das kleine Felleisen war wieder auf den Rücken geschnallt, und den kräftigen Degenstock in der Hand, schritt ich stumm dem südlichen Ab¬ hänge zu, nicht ohne Bangen den Punkt erwartend, der die letzte deutsche Bergspitze meinem Gesichtskreis entrücken sollte. IV. Nach kurzer Wanderschaft drehte sich der Weg um einen hohen Felsen. Der Vorhang war hinter mir gefallen, und ich stand vor der lombardischen Dogana. Ein hagerer Mann mit schwarzem Bart und struppigen Haar donnerte mir mit tiefer Baßstimme' ein so kräftiges „«„trat»" entgegen, daß ich vor Schrecken beinahe zu Bo¬ den sank. Indeß hielt ich es für rathsam, die Aufforderung nicht widerholen zu lassen, und schritt rasch durch die niedre Thür in daS finstre Gemach, gleich bereit, den Inhalt meines kleinen Gepäckes zu zeigen. Der erste Gegenstand, welcher dabei zum Vorschein kam, war die StereotvpauSgabe des Sophokles im Original- Der Hagre fiel hastig über das Buch her, und schien nicht wenig verblüfft über die Krirkrar, die er verkehrt in Händen hielt. Er musterte mich nochmal von Kopf bis zu Fuß, gleichsam als wolle er sich überzeu¬ gen, ob wirklich das Embrvo eines Barbaren vor ihm stehe. Ich mußte lächeln, und drehte das Buch, indem ich zu verstehen gab, daß er wohl das Griechische nicht werde rücklings lesen können. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/160>, abgerufen am 05.02.2025.