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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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kündigt hatte, erwartete, den Zeitungen zu: "Anna, Schwester Anna
siehst du noch nichts kommen?" Nichts kam; Meyerbeer ist einer
voir denjenigen, welche leichte Dinge schwer thun, er eilt mit Weile,
und verdankt die Begeisterung nur angestrengtem Nachdenken und,
Arbeit; endlich wurde die Oper die Hugenotten einstudirt, und zum
ersten Male im März 1836 aufgeführt.

Dieses Werk ist ebenfalls ein Werk des Genie'S; aber da bei
Meyerbeer der musikalische Gedanke, obgleich im Grunde einer, fast
immer der wahre Ausdruck der Situation ist, so mußte sich in der
Musik dieser beiden Werke derselbe Unterschied vorfinden, wie in dem
Ideengange, in welchem sich die beiden Terte bewegen. Die Hand¬
lung der Hugenotten ist die eines ganz gewöhnlichen Drama's; es
ist nichts besonders Erhabenes in den Situationen. Die Liebe ist
die einzige Leidenschaft, welche die am meisten dramatische Rolle des
Werkes trägt. In Robert kommt die Aufregung von höher her und
dringt tiefer in uns ein. Gott und Teufel, das Gute und das
Böse sind gleichsam die ersten Schauspieler dieses wunderbaren Dra¬
ma's, und welche Theilnahme man auch an den anziehenden Ueber-
gangSzuständen einer leidenschaftlichen Liebe haben mag, so ist es
doch schwer, zwei Schöpfungen von so verschiedenem Character in
eine Reihe zu stellen. Marcel, dieser rauhe Soldat, welcher nicht
nur den Lutheraner, sondern vielmehr den Sectirer in der allgemein¬
sten Bedeutung dieses Wortes darstellt, steht als Sinnbild doch weit
unter dem Sinnbilde Bertram, welcher den Genius deö Bösen in
seiner erhabensten poetischen Bedeutung darstellt. Valentine, dieses
große braune und anmuthige Mädchen, welches George Sand so
sehr liebt, vielleicht weil sie etwas von der Sylvia und Lelia an
sich hat, reizt mich weit weniger, als die sanfte Alice, welche ihre
Kraft aus ihrer Unschuld und ihrem Glauben schöpft, und am Fuße
des Kreuzes, das sie küßt, auf ihren Knieen betet. Raoul endlich,
dieses vorlaute und sinnlose Wesen, dieser sentimentale Maikäfer, wel¬
cher drei Acte hindurch einem Weibe nach dem andern nachläuft, ist
der ein Sinnbild, welches man mit Robert, der zwischen Himmel
und Hölle schwankt, vergleichen könnte; und endlich der kleine Page,
welche traurige Rolle: und die Sopha- und Ohnmachts-Scene
welche die Wirkung jenes schönen Duets zwischen Raoul und Va-


kündigt hatte, erwartete, den Zeitungen zu: „Anna, Schwester Anna
siehst du noch nichts kommen?" Nichts kam; Meyerbeer ist einer
voir denjenigen, welche leichte Dinge schwer thun, er eilt mit Weile,
und verdankt die Begeisterung nur angestrengtem Nachdenken und,
Arbeit; endlich wurde die Oper die Hugenotten einstudirt, und zum
ersten Male im März 1836 aufgeführt.

Dieses Werk ist ebenfalls ein Werk des Genie'S; aber da bei
Meyerbeer der musikalische Gedanke, obgleich im Grunde einer, fast
immer der wahre Ausdruck der Situation ist, so mußte sich in der
Musik dieser beiden Werke derselbe Unterschied vorfinden, wie in dem
Ideengange, in welchem sich die beiden Terte bewegen. Die Hand¬
lung der Hugenotten ist die eines ganz gewöhnlichen Drama's; es
ist nichts besonders Erhabenes in den Situationen. Die Liebe ist
die einzige Leidenschaft, welche die am meisten dramatische Rolle des
Werkes trägt. In Robert kommt die Aufregung von höher her und
dringt tiefer in uns ein. Gott und Teufel, das Gute und das
Böse sind gleichsam die ersten Schauspieler dieses wunderbaren Dra¬
ma's, und welche Theilnahme man auch an den anziehenden Ueber-
gangSzuständen einer leidenschaftlichen Liebe haben mag, so ist es
doch schwer, zwei Schöpfungen von so verschiedenem Character in
eine Reihe zu stellen. Marcel, dieser rauhe Soldat, welcher nicht
nur den Lutheraner, sondern vielmehr den Sectirer in der allgemein¬
sten Bedeutung dieses Wortes darstellt, steht als Sinnbild doch weit
unter dem Sinnbilde Bertram, welcher den Genius deö Bösen in
seiner erhabensten poetischen Bedeutung darstellt. Valentine, dieses
große braune und anmuthige Mädchen, welches George Sand so
sehr liebt, vielleicht weil sie etwas von der Sylvia und Lelia an
sich hat, reizt mich weit weniger, als die sanfte Alice, welche ihre
Kraft aus ihrer Unschuld und ihrem Glauben schöpft, und am Fuße
des Kreuzes, das sie küßt, auf ihren Knieen betet. Raoul endlich,
dieses vorlaute und sinnlose Wesen, dieser sentimentale Maikäfer, wel¬
cher drei Acte hindurch einem Weibe nach dem andern nachläuft, ist
der ein Sinnbild, welches man mit Robert, der zwischen Himmel
und Hölle schwankt, vergleichen könnte; und endlich der kleine Page,
welche traurige Rolle: und die Sopha- und Ohnmachts-Scene
welche die Wirkung jenes schönen Duets zwischen Raoul und Va-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/135>, abgerufen am 05.02.2025.