Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den Donnerschlägen, aus dem Pfeifen der Winde, und dem raschen
Sturmgeläute einer einsamstehenden Glocke harmonische Instrumental-
Effekte heraus, welche ich vergebens in den Hörnern, Trompeten,
Bauten, Kesselpecken und türkischen Trommeln der großen Opern wie¬
derzufinden suchte. Daraus folgt, daß eine der blendendsten und
berühmtesten Eigenthümlichkeiten von Meyerbeers Genius, nämlich die
"Orchestration" für mich häufig ein Buch mit sieben Siegeln ist. Es
giebt Augenblicke, in denen mein Ohr vor dieser Titanen Masse
scharfer Töne, in welchen das Messing vorherrscht, sich schließt, sso
wie es mein Auge vor gewissen Bildern von übertriebenen und blen¬
dendem Colorite thut. Ich besitze nicht jenes Vorrecht, welches nur
den Adlern verliehen ward, und Mittags schaue ich daher nicht gern
in die Sonne. Aber da ich nicht jenem Kritiker gleichen will, wel¬
cher sich bemüht, eine Eiche zu fällen, um ein Zündhölzchen daraus
zu schneiden, so entschließe ich mich, meinem Charakter als Sammler
von Daten und Facken treu zu bleiben und bei dem Anfange an¬
zufangen.

Es ist etwas länger als vierzig Jahre her, daß die Leipziger
musikalische Zeitung in einer Berliner Korrespondenz vom 14. October
18V1 sich lobend über einen jungen Künstler von neun Jahren, einen
kleinen Juden Namens Liebmann Beer, äußerte, welcher wie Mozart
begann, und dessen seltenes und frühreifes Talent für's Piano die
Berliner Kunstliebhaber in Erstaunen setzte; zwei Jahre später kam
die genannte Zeitung noch mehrmals auf ihren kleinen Schützling
zurück, dessen Ruf zunahm, und der, wie sie sagte, was Gewandt¬
heit und Zierlichkeit deö Vortrags betrifft, nichts zu wünschen übrig
lasse. Wie man steht, gab die Presse zeitig genug ein Vorspiel zu
jenem ungeheurem Sturm von Lobeserhebungen, welcher später den
berühmten Tondichter Roberts des Teufels und der Hugenotten um-
brausen sollte. Und doch, so allgemein, so pompös auch dieses
Hosiannah war, so zweifle ich doch, daß es die Ohren des großen
Componisten je so angenehm kitzelte, als jene wenigen Zeilen zu
Gunsten des Wunderkindes in der guten Leipziger musicalischen
Zeitung.

Meyerbeer hieß damals Meyer Liebmann Beer, und da mehrere
Zeitungen, besonders die schon erwähnte Leipziger musicalische, durch¬
aus Bär statt Beer schrieben, so ergab sich aus einer Verbindung


den Donnerschlägen, aus dem Pfeifen der Winde, und dem raschen
Sturmgeläute einer einsamstehenden Glocke harmonische Instrumental-
Effekte heraus, welche ich vergebens in den Hörnern, Trompeten,
Bauten, Kesselpecken und türkischen Trommeln der großen Opern wie¬
derzufinden suchte. Daraus folgt, daß eine der blendendsten und
berühmtesten Eigenthümlichkeiten von Meyerbeers Genius, nämlich die
„Orchestration" für mich häufig ein Buch mit sieben Siegeln ist. Es
giebt Augenblicke, in denen mein Ohr vor dieser Titanen Masse
scharfer Töne, in welchen das Messing vorherrscht, sich schließt, sso
wie es mein Auge vor gewissen Bildern von übertriebenen und blen¬
dendem Colorite thut. Ich besitze nicht jenes Vorrecht, welches nur
den Adlern verliehen ward, und Mittags schaue ich daher nicht gern
in die Sonne. Aber da ich nicht jenem Kritiker gleichen will, wel¬
cher sich bemüht, eine Eiche zu fällen, um ein Zündhölzchen daraus
zu schneiden, so entschließe ich mich, meinem Charakter als Sammler
von Daten und Facken treu zu bleiben und bei dem Anfange an¬
zufangen.

Es ist etwas länger als vierzig Jahre her, daß die Leipziger
musikalische Zeitung in einer Berliner Korrespondenz vom 14. October
18V1 sich lobend über einen jungen Künstler von neun Jahren, einen
kleinen Juden Namens Liebmann Beer, äußerte, welcher wie Mozart
begann, und dessen seltenes und frühreifes Talent für's Piano die
Berliner Kunstliebhaber in Erstaunen setzte; zwei Jahre später kam
die genannte Zeitung noch mehrmals auf ihren kleinen Schützling
zurück, dessen Ruf zunahm, und der, wie sie sagte, was Gewandt¬
heit und Zierlichkeit deö Vortrags betrifft, nichts zu wünschen übrig
lasse. Wie man steht, gab die Presse zeitig genug ein Vorspiel zu
jenem ungeheurem Sturm von Lobeserhebungen, welcher später den
berühmten Tondichter Roberts des Teufels und der Hugenotten um-
brausen sollte. Und doch, so allgemein, so pompös auch dieses
Hosiannah war, so zweifle ich doch, daß es die Ohren des großen
Componisten je so angenehm kitzelte, als jene wenigen Zeilen zu
Gunsten des Wunderkindes in der guten Leipziger musicalischen
Zeitung.

Meyerbeer hieß damals Meyer Liebmann Beer, und da mehrere
Zeitungen, besonders die schon erwähnte Leipziger musicalische, durch¬
aus Bär statt Beer schrieben, so ergab sich aus einer Verbindung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271387"/>
          <p xml:id="ID_293" prev="#ID_292"> den Donnerschlägen, aus dem Pfeifen der Winde, und dem raschen<lb/>
Sturmgeläute einer einsamstehenden Glocke harmonische Instrumental-<lb/>
Effekte heraus, welche ich vergebens in den Hörnern, Trompeten,<lb/>
Bauten, Kesselpecken und türkischen Trommeln der großen Opern wie¬<lb/>
derzufinden suchte. Daraus folgt, daß eine der blendendsten und<lb/>
berühmtesten Eigenthümlichkeiten von Meyerbeers Genius, nämlich die<lb/>
&#x201E;Orchestration" für mich häufig ein Buch mit sieben Siegeln ist. Es<lb/>
giebt Augenblicke, in denen mein Ohr vor dieser Titanen Masse<lb/>
scharfer Töne, in welchen das Messing vorherrscht, sich schließt, sso<lb/>
wie es mein Auge vor gewissen Bildern von übertriebenen und blen¬<lb/>
dendem Colorite thut. Ich besitze nicht jenes Vorrecht, welches nur<lb/>
den Adlern verliehen ward, und Mittags schaue ich daher nicht gern<lb/>
in die Sonne. Aber da ich nicht jenem Kritiker gleichen will, wel¬<lb/>
cher sich bemüht, eine Eiche zu fällen, um ein Zündhölzchen daraus<lb/>
zu schneiden, so entschließe ich mich, meinem Charakter als Sammler<lb/>
von Daten und Facken treu zu bleiben und bei dem Anfange an¬<lb/>
zufangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_294"> Es ist etwas länger als vierzig Jahre her, daß die Leipziger<lb/>
musikalische Zeitung in einer Berliner Korrespondenz vom 14. October<lb/>
18V1 sich lobend über einen jungen Künstler von neun Jahren, einen<lb/>
kleinen Juden Namens Liebmann Beer, äußerte, welcher wie Mozart<lb/>
begann, und dessen seltenes und frühreifes Talent für's Piano die<lb/>
Berliner Kunstliebhaber in Erstaunen setzte; zwei Jahre später kam<lb/>
die genannte Zeitung noch mehrmals auf ihren kleinen Schützling<lb/>
zurück, dessen Ruf zunahm, und der, wie sie sagte, was Gewandt¬<lb/>
heit und Zierlichkeit deö Vortrags betrifft, nichts zu wünschen übrig<lb/>
lasse. Wie man steht, gab die Presse zeitig genug ein Vorspiel zu<lb/>
jenem ungeheurem Sturm von Lobeserhebungen, welcher später den<lb/>
berühmten Tondichter Roberts des Teufels und der Hugenotten um-<lb/>
brausen sollte. Und doch, so allgemein, so pompös auch dieses<lb/>
Hosiannah war, so zweifle ich doch, daß es die Ohren des großen<lb/>
Componisten je so angenehm kitzelte, als jene wenigen Zeilen zu<lb/>
Gunsten des Wunderkindes in der guten Leipziger musicalischen<lb/>
Zeitung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_295" next="#ID_296"> Meyerbeer hieß damals Meyer Liebmann Beer, und da mehrere<lb/>
Zeitungen, besonders die schon erwähnte Leipziger musicalische, durch¬<lb/>
aus Bär statt Beer schrieben, so ergab sich aus einer Verbindung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0126] den Donnerschlägen, aus dem Pfeifen der Winde, und dem raschen Sturmgeläute einer einsamstehenden Glocke harmonische Instrumental- Effekte heraus, welche ich vergebens in den Hörnern, Trompeten, Bauten, Kesselpecken und türkischen Trommeln der großen Opern wie¬ derzufinden suchte. Daraus folgt, daß eine der blendendsten und berühmtesten Eigenthümlichkeiten von Meyerbeers Genius, nämlich die „Orchestration" für mich häufig ein Buch mit sieben Siegeln ist. Es giebt Augenblicke, in denen mein Ohr vor dieser Titanen Masse scharfer Töne, in welchen das Messing vorherrscht, sich schließt, sso wie es mein Auge vor gewissen Bildern von übertriebenen und blen¬ dendem Colorite thut. Ich besitze nicht jenes Vorrecht, welches nur den Adlern verliehen ward, und Mittags schaue ich daher nicht gern in die Sonne. Aber da ich nicht jenem Kritiker gleichen will, wel¬ cher sich bemüht, eine Eiche zu fällen, um ein Zündhölzchen daraus zu schneiden, so entschließe ich mich, meinem Charakter als Sammler von Daten und Facken treu zu bleiben und bei dem Anfange an¬ zufangen. Es ist etwas länger als vierzig Jahre her, daß die Leipziger musikalische Zeitung in einer Berliner Korrespondenz vom 14. October 18V1 sich lobend über einen jungen Künstler von neun Jahren, einen kleinen Juden Namens Liebmann Beer, äußerte, welcher wie Mozart begann, und dessen seltenes und frühreifes Talent für's Piano die Berliner Kunstliebhaber in Erstaunen setzte; zwei Jahre später kam die genannte Zeitung noch mehrmals auf ihren kleinen Schützling zurück, dessen Ruf zunahm, und der, wie sie sagte, was Gewandt¬ heit und Zierlichkeit deö Vortrags betrifft, nichts zu wünschen übrig lasse. Wie man steht, gab die Presse zeitig genug ein Vorspiel zu jenem ungeheurem Sturm von Lobeserhebungen, welcher später den berühmten Tondichter Roberts des Teufels und der Hugenotten um- brausen sollte. Und doch, so allgemein, so pompös auch dieses Hosiannah war, so zweifle ich doch, daß es die Ohren des großen Componisten je so angenehm kitzelte, als jene wenigen Zeilen zu Gunsten des Wunderkindes in der guten Leipziger musicalischen Zeitung. Meyerbeer hieß damals Meyer Liebmann Beer, und da mehrere Zeitungen, besonders die schon erwähnte Leipziger musicalische, durch¬ aus Bär statt Beer schrieben, so ergab sich aus einer Verbindung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/126
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/126>, abgerufen am 05.02.2025.