Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch an eine umfassende Geschichte Belgiens hat man sich bereits
gewagt. Die Herren Mole und Theodor Juste gaben jeder eine
von den Zeiten des Tacitus bis auf die heutigen Tage reichende
"tllLtuire cle K"zlAu>u"z" heraus; jener mehr wissenschaftlich, dieser
mehr dilettantisch. Beide geben über bekannte Thatsachen eine gut
geschriebene Uebersicht; nur sind die Farben all zu stark und cnthu>-
siastisch aufgetragen. Die Hauptkunst dieser Herren und vieler An¬
derer, die in Einzelnarbeiten dieselbe Richtung einschlagen, besteht
darin, die Nachweisung zu liefern, daß das heutige Belgien als zu¬
sammenhangender Staat, seine Wurzeln schon in frühen Zeiten finde.
Zu dieser Richtung hat Nothomb in seinem Kösen den Impuls ge¬
geben, nur mit dem Unterschiede, daß er seine Beweise mit Schärfe
und wohlweislich in sehr mäßiger Auswahl herbeiholte, während
seine Nachfolger Alles über's Knie brechen wollen und durch Ueber¬
treibungen das Kind mit dem Bade verschütten. Für eine Geschichte
Belgiens ist der Zeitpunkt noch viel zu früh; zu viele Vorarbeiten
fehlen noch und zu viele Vorurtheile kleben noch.

Von philosophischer Literatur ist gar nicht die Rede. Einige
Studirende der Brüsseler Universität haben Anläufe im Geiste ihres
Lehrers Ahrens gemacht. Von jenem regen Leben, das unter der
vorigen Negierung auf dem Gebiete philosophischer Speculation sich
zeigte, ist Alles bis auf die letzte Spur verloren. Von den Herren
Van Meeren und Van de Weyer, den beiden Ueberresten jener Zeit,
ist der erste ein alter Mann, dem die Kräfte zur Arbeit fehlen;


Staaten nur einen Thaler, während der belgische Zolltarif folgender Gestalt
angesetzt ist:

Welch ein ungerechtes Mißverhältniß, und wie leicht wäre es gewesen, bei dem
Zoll-Vertrag vom I. Septbr. 1844, den Preußen im Namen des Zollvereins
mit Belgien abgeschlossen hat, eine Herabsetzung des Bücherzolls zu erhalten,
da Belgien dabei doch nur ein geringfügiges Opfer gebracht hätte. Abgesehen
von aller Billigkeit, wäre dem deutschen Büchermarkt dadurch ein größeres
Feld gewonnen worden und mancher Same deutscher Sprache und Literatur
fiele dadurch auf belgischen Boden; aber derlei Dinge kümmern unsere Diplo¬
matie sehr wenig.

Auch an eine umfassende Geschichte Belgiens hat man sich bereits
gewagt. Die Herren Mole und Theodor Juste gaben jeder eine
von den Zeiten des Tacitus bis auf die heutigen Tage reichende
„tllLtuire cle K«zlAu>u«z" heraus; jener mehr wissenschaftlich, dieser
mehr dilettantisch. Beide geben über bekannte Thatsachen eine gut
geschriebene Uebersicht; nur sind die Farben all zu stark und cnthu>-
siastisch aufgetragen. Die Hauptkunst dieser Herren und vieler An¬
derer, die in Einzelnarbeiten dieselbe Richtung einschlagen, besteht
darin, die Nachweisung zu liefern, daß das heutige Belgien als zu¬
sammenhangender Staat, seine Wurzeln schon in frühen Zeiten finde.
Zu dieser Richtung hat Nothomb in seinem Kösen den Impuls ge¬
geben, nur mit dem Unterschiede, daß er seine Beweise mit Schärfe
und wohlweislich in sehr mäßiger Auswahl herbeiholte, während
seine Nachfolger Alles über's Knie brechen wollen und durch Ueber¬
treibungen das Kind mit dem Bade verschütten. Für eine Geschichte
Belgiens ist der Zeitpunkt noch viel zu früh; zu viele Vorarbeiten
fehlen noch und zu viele Vorurtheile kleben noch.

Von philosophischer Literatur ist gar nicht die Rede. Einige
Studirende der Brüsseler Universität haben Anläufe im Geiste ihres
Lehrers Ahrens gemacht. Von jenem regen Leben, das unter der
vorigen Negierung auf dem Gebiete philosophischer Speculation sich
zeigte, ist Alles bis auf die letzte Spur verloren. Von den Herren
Van Meeren und Van de Weyer, den beiden Ueberresten jener Zeit,
ist der erste ein alter Mann, dem die Kräfte zur Arbeit fehlen;


Staaten nur einen Thaler, während der belgische Zolltarif folgender Gestalt
angesetzt ist:

Welch ein ungerechtes Mißverhältniß, und wie leicht wäre es gewesen, bei dem
Zoll-Vertrag vom I. Septbr. 1844, den Preußen im Namen des Zollvereins
mit Belgien abgeschlossen hat, eine Herabsetzung des Bücherzolls zu erhalten,
da Belgien dabei doch nur ein geringfügiges Opfer gebracht hätte. Abgesehen
von aller Billigkeit, wäre dem deutschen Büchermarkt dadurch ein größeres
Feld gewonnen worden und mancher Same deutscher Sprache und Literatur
fiele dadurch auf belgischen Boden; aber derlei Dinge kümmern unsere Diplo¬
matie sehr wenig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0122" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271383"/>
          <p xml:id="ID_287"> Auch an eine umfassende Geschichte Belgiens hat man sich bereits<lb/>
gewagt. Die Herren Mole und Theodor Juste gaben jeder eine<lb/>
von den Zeiten des Tacitus bis auf die heutigen Tage reichende<lb/>
&#x201E;tllLtuire cle K«zlAu&gt;u«z" heraus; jener mehr wissenschaftlich, dieser<lb/>
mehr dilettantisch. Beide geben über bekannte Thatsachen eine gut<lb/>
geschriebene Uebersicht; nur sind die Farben all zu stark und cnthu&gt;-<lb/>
siastisch aufgetragen. Die Hauptkunst dieser Herren und vieler An¬<lb/>
derer, die in Einzelnarbeiten dieselbe Richtung einschlagen, besteht<lb/>
darin, die Nachweisung zu liefern, daß das heutige Belgien als zu¬<lb/>
sammenhangender Staat, seine Wurzeln schon in frühen Zeiten finde.<lb/>
Zu dieser Richtung hat Nothomb in seinem Kösen den Impuls ge¬<lb/>
geben, nur mit dem Unterschiede, daß er seine Beweise mit Schärfe<lb/>
und wohlweislich in sehr mäßiger Auswahl herbeiholte, während<lb/>
seine Nachfolger Alles über's Knie brechen wollen und durch Ueber¬<lb/>
treibungen das Kind mit dem Bade verschütten. Für eine Geschichte<lb/>
Belgiens ist der Zeitpunkt noch viel zu früh; zu viele Vorarbeiten<lb/>
fehlen noch und zu viele Vorurtheile kleben noch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_288" next="#ID_289"> Von philosophischer Literatur ist gar nicht die Rede. Einige<lb/>
Studirende der Brüsseler Universität haben Anläufe im Geiste ihres<lb/>
Lehrers Ahrens gemacht. Von jenem regen Leben, das unter der<lb/>
vorigen Negierung auf dem Gebiete philosophischer Speculation sich<lb/>
zeigte, ist Alles bis auf die letzte Spur verloren. Von den Herren<lb/>
Van Meeren und Van de Weyer, den beiden Ueberresten jener Zeit,<lb/>
ist der erste ein alter Mann, dem die Kräfte zur Arbeit fehlen;</p><lb/>
          <note xml:id="FID_14" prev="#FID_13" place="foot"> Staaten nur einen Thaler, während der belgische Zolltarif folgender Gestalt<lb/>
angesetzt ist:<lb/><p><formula facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341548_271260/figures/grenzboten_341548_271260_271383_004.jpg"> Für 100 Kilogramm broschirte Bücher 31 Francs 80 Cent. 15 x. X F Zuschlag ^ &#x201E;   80 &#x201E; 3» gebundene Bücher 42 Fr. 4V Cent. 16 p. X  ^&#x201E;  40 &#x201E; 47</formula></p><lb/>
Welch ein ungerechtes Mißverhältniß, und wie leicht wäre es gewesen, bei dem<lb/>
Zoll-Vertrag vom I. Septbr. 1844, den Preußen im Namen des Zollvereins<lb/>
mit Belgien abgeschlossen hat, eine Herabsetzung des Bücherzolls zu erhalten,<lb/>
da Belgien dabei doch nur ein geringfügiges Opfer gebracht hätte. Abgesehen<lb/>
von aller Billigkeit, wäre dem deutschen Büchermarkt dadurch ein größeres<lb/>
Feld gewonnen worden und mancher Same deutscher Sprache und Literatur<lb/>
fiele dadurch auf belgischen Boden; aber derlei Dinge kümmern unsere Diplo¬<lb/>
matie sehr wenig.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0122] Auch an eine umfassende Geschichte Belgiens hat man sich bereits gewagt. Die Herren Mole und Theodor Juste gaben jeder eine von den Zeiten des Tacitus bis auf die heutigen Tage reichende „tllLtuire cle K«zlAu>u«z" heraus; jener mehr wissenschaftlich, dieser mehr dilettantisch. Beide geben über bekannte Thatsachen eine gut geschriebene Uebersicht; nur sind die Farben all zu stark und cnthu>- siastisch aufgetragen. Die Hauptkunst dieser Herren und vieler An¬ derer, die in Einzelnarbeiten dieselbe Richtung einschlagen, besteht darin, die Nachweisung zu liefern, daß das heutige Belgien als zu¬ sammenhangender Staat, seine Wurzeln schon in frühen Zeiten finde. Zu dieser Richtung hat Nothomb in seinem Kösen den Impuls ge¬ geben, nur mit dem Unterschiede, daß er seine Beweise mit Schärfe und wohlweislich in sehr mäßiger Auswahl herbeiholte, während seine Nachfolger Alles über's Knie brechen wollen und durch Ueber¬ treibungen das Kind mit dem Bade verschütten. Für eine Geschichte Belgiens ist der Zeitpunkt noch viel zu früh; zu viele Vorarbeiten fehlen noch und zu viele Vorurtheile kleben noch. Von philosophischer Literatur ist gar nicht die Rede. Einige Studirende der Brüsseler Universität haben Anläufe im Geiste ihres Lehrers Ahrens gemacht. Von jenem regen Leben, das unter der vorigen Negierung auf dem Gebiete philosophischer Speculation sich zeigte, ist Alles bis auf die letzte Spur verloren. Von den Herren Van Meeren und Van de Weyer, den beiden Ueberresten jener Zeit, ist der erste ein alter Mann, dem die Kräfte zur Arbeit fehlen; Staaten nur einen Thaler, während der belgische Zolltarif folgender Gestalt angesetzt ist: [FORMEL] Welch ein ungerechtes Mißverhältniß, und wie leicht wäre es gewesen, bei dem Zoll-Vertrag vom I. Septbr. 1844, den Preußen im Namen des Zollvereins mit Belgien abgeschlossen hat, eine Herabsetzung des Bücherzolls zu erhalten, da Belgien dabei doch nur ein geringfügiges Opfer gebracht hätte. Abgesehen von aller Billigkeit, wäre dem deutschen Büchermarkt dadurch ein größeres Feld gewonnen worden und mancher Same deutscher Sprache und Literatur fiele dadurch auf belgischen Boden; aber derlei Dinge kümmern unsere Diplo¬ matie sehr wenig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/122
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/122>, abgerufen am 05.02.2025.