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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Censor manchen Gedanken durchzuschmuggeln, den dieser in seiner
eigentlichen Tendenz, eben wegen seiner Beschränktheit, nicht versteht.
Er kann häufig das Bedenklichste durchbringen, wenn er ihm nur
eine unschuldige Form zu geben weiß. Aber wie unwürdig, wie
lästig, immer auf die Einfalt eines Andern speculiren zu müssen?
Wie folternd, das offen und ehrlich Gedachte in unehrliche Form
maskiren zu müssen! Wie jede tüchtige, geistige Thätigfeit störend
und hemmend, wenn man sich nicht nur bemühen muß, seine Ge¬
danken und Empfindungen möglichst sich selber klar zu machen, son¬
dern wenn man sie alsdann auch noch wieder ins Unklare übersetzen
muß! Das ist zu viel verlangt von einem Menschen. Man kann
nicht wahr und lügnerisch zu gleicher Zeit sein.

Bei einem geistreichen Censor kann man mit einiger Gewißheit
vorher wissen, was durchgehen wird, was nicht; man kann sich
darnach einrichten. Bei einem geistlosen Censor ist das völlig unmög¬
lich. Heute läßt er das Bedenklichste durch, morgen streicht er das
Unbedeutendste und Unschuldigste. Der Journalist ist in ewiger Unge¬
wißheit) nie kann er wissen, ob er nicht vergeblich arbeitet; kein
einziges Wort kann er mit Sicherheit für die Oeffentlichkeit nieder¬
schreiben. Seine ganze Thätigkeit wird durch das Jncommensurable
der Dummheit paralysirt.

Wie tief entwürdigend, wie gehässig muß es sein, -- ich rede
natürlich nicht aus eigener Erfahrung -- wenn man sich nach bloßer
Laune und Willkür von einem Menschen, der in jeder Beziehung
vielleicht tief unter uns steht, jeden Augenblick den Mund verbieten
lassen muß? Kommt dazu noch eine felle Liebedienerei, die auch daS
für das Gemeinwesen Unschädlichste und am wenigsten Aufregende
aus serviler Rücksicht gegen einzelne Personen, aus Furcht daß man
hie und da doch unangenehm dadurch berührt werden könnte, ohne
Weiteres streicht, so muß man gestehen, daß die Stellung eines
publizistischen Journalisten unter einem solchen Censor eine höchst uner¬
trägliche und alle Geduld erschöpfende sein muß. Gottlob! daß ich
noch nicht solche Erfahrungen gemacht habe; ich hielte es nicht aus!

Der publicistische Journalist, wenn wir diesen Titel, der eigent¬
lich mit Recht in Deutschland noch gar nicht eristirt, für uns w
Anspruch nehmen dürfen, empfindet das niederdrückende, wahrhaft


Censor manchen Gedanken durchzuschmuggeln, den dieser in seiner
eigentlichen Tendenz, eben wegen seiner Beschränktheit, nicht versteht.
Er kann häufig das Bedenklichste durchbringen, wenn er ihm nur
eine unschuldige Form zu geben weiß. Aber wie unwürdig, wie
lästig, immer auf die Einfalt eines Andern speculiren zu müssen?
Wie folternd, das offen und ehrlich Gedachte in unehrliche Form
maskiren zu müssen! Wie jede tüchtige, geistige Thätigfeit störend
und hemmend, wenn man sich nicht nur bemühen muß, seine Ge¬
danken und Empfindungen möglichst sich selber klar zu machen, son¬
dern wenn man sie alsdann auch noch wieder ins Unklare übersetzen
muß! Das ist zu viel verlangt von einem Menschen. Man kann
nicht wahr und lügnerisch zu gleicher Zeit sein.

Bei einem geistreichen Censor kann man mit einiger Gewißheit
vorher wissen, was durchgehen wird, was nicht; man kann sich
darnach einrichten. Bei einem geistlosen Censor ist das völlig unmög¬
lich. Heute läßt er das Bedenklichste durch, morgen streicht er das
Unbedeutendste und Unschuldigste. Der Journalist ist in ewiger Unge¬
wißheit) nie kann er wissen, ob er nicht vergeblich arbeitet; kein
einziges Wort kann er mit Sicherheit für die Oeffentlichkeit nieder¬
schreiben. Seine ganze Thätigkeit wird durch das Jncommensurable
der Dummheit paralysirt.

Wie tief entwürdigend, wie gehässig muß es sein, — ich rede
natürlich nicht aus eigener Erfahrung — wenn man sich nach bloßer
Laune und Willkür von einem Menschen, der in jeder Beziehung
vielleicht tief unter uns steht, jeden Augenblick den Mund verbieten
lassen muß? Kommt dazu noch eine felle Liebedienerei, die auch daS
für das Gemeinwesen Unschädlichste und am wenigsten Aufregende
aus serviler Rücksicht gegen einzelne Personen, aus Furcht daß man
hie und da doch unangenehm dadurch berührt werden könnte, ohne
Weiteres streicht, so muß man gestehen, daß die Stellung eines
publizistischen Journalisten unter einem solchen Censor eine höchst uner¬
trägliche und alle Geduld erschöpfende sein muß. Gottlob! daß ich
noch nicht solche Erfahrungen gemacht habe; ich hielte es nicht aus!

Der publicistische Journalist, wenn wir diesen Titel, der eigent¬
lich mit Recht in Deutschland noch gar nicht eristirt, für uns w
Anspruch nehmen dürfen, empfindet das niederdrückende, wahrhaft


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[0012] Censor manchen Gedanken durchzuschmuggeln, den dieser in seiner eigentlichen Tendenz, eben wegen seiner Beschränktheit, nicht versteht. Er kann häufig das Bedenklichste durchbringen, wenn er ihm nur eine unschuldige Form zu geben weiß. Aber wie unwürdig, wie lästig, immer auf die Einfalt eines Andern speculiren zu müssen? Wie folternd, das offen und ehrlich Gedachte in unehrliche Form maskiren zu müssen! Wie jede tüchtige, geistige Thätigfeit störend und hemmend, wenn man sich nicht nur bemühen muß, seine Ge¬ danken und Empfindungen möglichst sich selber klar zu machen, son¬ dern wenn man sie alsdann auch noch wieder ins Unklare übersetzen muß! Das ist zu viel verlangt von einem Menschen. Man kann nicht wahr und lügnerisch zu gleicher Zeit sein. Bei einem geistreichen Censor kann man mit einiger Gewißheit vorher wissen, was durchgehen wird, was nicht; man kann sich darnach einrichten. Bei einem geistlosen Censor ist das völlig unmög¬ lich. Heute läßt er das Bedenklichste durch, morgen streicht er das Unbedeutendste und Unschuldigste. Der Journalist ist in ewiger Unge¬ wißheit) nie kann er wissen, ob er nicht vergeblich arbeitet; kein einziges Wort kann er mit Sicherheit für die Oeffentlichkeit nieder¬ schreiben. Seine ganze Thätigkeit wird durch das Jncommensurable der Dummheit paralysirt. Wie tief entwürdigend, wie gehässig muß es sein, — ich rede natürlich nicht aus eigener Erfahrung — wenn man sich nach bloßer Laune und Willkür von einem Menschen, der in jeder Beziehung vielleicht tief unter uns steht, jeden Augenblick den Mund verbieten lassen muß? Kommt dazu noch eine felle Liebedienerei, die auch daS für das Gemeinwesen Unschädlichste und am wenigsten Aufregende aus serviler Rücksicht gegen einzelne Personen, aus Furcht daß man hie und da doch unangenehm dadurch berührt werden könnte, ohne Weiteres streicht, so muß man gestehen, daß die Stellung eines publizistischen Journalisten unter einem solchen Censor eine höchst uner¬ trägliche und alle Geduld erschöpfende sein muß. Gottlob! daß ich noch nicht solche Erfahrungen gemacht habe; ich hielte es nicht aus! Der publicistische Journalist, wenn wir diesen Titel, der eigent¬ lich mit Recht in Deutschland noch gar nicht eristirt, für uns w Anspruch nehmen dürfen, empfindet das niederdrückende, wahrhaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/12>, abgerufen am 05.02.2025.