Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.gerben Farbensinn: in der Malerei hat sie dieser zu einer bedeuten¬ Fast alle diese Novellistik ist nach Einem Recepte, nach Einer 14*
gerben Farbensinn: in der Malerei hat sie dieser zu einer bedeuten¬ Fast alle diese Novellistik ist nach Einem Recepte, nach Einer 14*
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gerben Farbensinn: in der Malerei hat sie dieser zu einer bedeuten¬
den Kunststufe erhoben. Wenn die belgischen Maler den Deutschen
an Gefühl, den Franzosen an Geist nachstehen, so überflügeln sie
beide durch den Reichthum der Palette, durch die Kunst, die Lust
und den angebornen Instinkt die Farben zu mischen. In der Poesie
jedoch ist diese Farbenlust, wenn ihr Inhalt und Gedanke fehlt, wi¬
derlich wie ein bemalter Sarg und ungenießbar wie eine vergoldete
Hohlnuß. Man muß die Geduld haben, eine Reihe belgischer No¬
vellen zu lesen und man wird erstaunen über die barocke Lackirung,
über die langen Beschreibungen von Gegenden, Gebäuden und Klei¬
dungsstücken, hinter denen sich die poetische Gehalt- und Gestalten-
losigkeit verbirgt. Unter dem ganzen Stoß von novellistischen Di¬
lettantismus und Handwerksfabrikaten der seit 1830 in Belgien ge¬
druckt wurde, ist auch nicht eine poetische Gestalt, die sich der Phan¬
tasie dauernd einprägen könnte, nicht eine eigenthümliche Charakteri¬
stik, geschweige ein durchgeführter Roman. Das beste novellistische
Talent ist der ehemalige Gärtnerbursche Heinrich Conscience
in Antwerpen; eben weil er weniger eingeimpfte französische Bil¬
dung hat und mehr den Naturlauten folgt, macht er eine frische
Ausnahme von dem ganzen Haufen französisch vergoldeter Schaum¬
bildung. Einige seiner Novellen sind vor kurzem in's Deutsche über¬
setzt worden. Aber zu einem Roman hat 'auch er es nicht gebracht
und sein oft citirter „Löwe von Flandern" ist mehr enthusiastisch
scenirte Historie als poetisches Productz Charaktere, Individualitäten,
Situationserfindung sind auch darin nicht zu finden.
Fast alle diese Novellistik ist nach Einem Recepte, nach Einer
Patrone gearbeitet. Carl V., Egmont, Busch- und Wassergeusen,
oder einer von den zweihundert Malern zwischen Van Eyk und Van
Dyk sind die gewöhnlichen Helden aller belgischen Novellen. Alle
diese Helden sind fir und fertig wie die Puppen und Haubenstöcke
in den Ateliers der Maler, und man wirft ihnen nur ein Gewand
um. Um Jnduvidnalisirung, psychologische Durcharbeitung, Inner¬
lichkeit, durchgeführte Grundgedanken kümmert sich Niemand. Eine
Liebschaft, eine romantische Gegend, glänzende Costüme und Waffen
(deren Beschreibung gewöhnlich am gelungensten ist), wo möglich
ein Volkstumult mit dem Geschrei: Freiheit! Noel! es lebe das
Volk u. s. w. — dies Alles so locker als möglich an einander ge-
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